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Auf einmal bist du nur eine Kopie

Probleme des Teleportierens und der Thesenliteratur: »Der Apparat« von J. O. Morgan

  • Michael Wolf
  • Lesedauer: 4 Min.
»Beam me up, Scotty«, der legendäre Spruch aus »Raumschiff Enterprise« ist heute nicht mehr so unrealistisch wie 1967.
»Beam me up, Scotty«, der legendäre Spruch aus »Raumschiff Enterprise« ist heute nicht mehr so unrealistisch wie 1967.

Science-Fiction-Autoren pflegen ein ambivalentes Verhältnis zur Technologie. Sie sind einerseits Enthusiasten, die der Wissenschaft alles Mögliche zutrauen, von der Zeitreise über die Besiedlung ferner Galaxien bis zur Erschaffung alternativer Welten. Andererseits führen sie auch die Schattenseiten ihrer Fantasien vor. Die technischen Errungenschaften der von ihnen beschriebenen Gesellschaften sind meist zugleich deren Geißeln. Sie geraten in die Hände böser Kräfte, werden zur Überwachung oder Unterdrückung eingesetzt oder die Menschen erweisen sich der Macht in ihren Händen nicht würdig.

Der schottische Autor J. O. Morgan ist noch einmal ein spezieller Fall. Bei ihm ist gar keine Begeisterung für den titelgebenden »Apparat« zu erkennen, der es den Menschen erlaubt, Gegenstände in Sekundenschnelle durch die Welt zu schicken. Die Erfindung ist aus berühmten filmischen und literarischen Werken als »Teleportation« oder auch als »Beamen« bekannt. In Morgans alternativ entworfener Gesellschaft gehört sie zum Alltag. Zunächst ist das neue Transportsystem vor allem für den Frachtverkehr interessant, der Endverbraucher nutzt sie lediglich für Umzüge. Später können auch Personen verschickt werden, Flughäfen werden zu Terminals für die Versendung von Menschen umgebaut. Eine Reise um die Welt dauert nun keine 80 Sekunden mehr. Das klingt praktisch und äußerst bequem, aber der Autor will keine Freude aufkommen lassen. Er ermahnt seine Leserschaft zur Skepsis.

Die jeweils in sich geschlossenen 14 Kapitel berichten mit wechselndem Personal von der Entwicklung und Verbreitung der Apparate, von den sozialen, ökonomischen und ganz persönlichen Folgen, die das Beamen mit sich bringt. Oftmals geht dabei etwas schief. So hackt sich ein junges Computergenie in das System, um auf einen Sicherheitsfehler aufmerksam zu machen. Mit dem Ergebnis, dass nicht nur die Weltwirtschaft stockt, sondern auch Menschen ohne ihre Herzschrittmacher am Ziel ihrer Reisen ankommen. In einer weiteren Erzählung kehrt ein Ehemann nach einer Teleportation als jüngere Version seiner selbst zurück nach Hause, was immerhin die Gattin äußerst erfreut zur Erkenntnis nimmt. In einer anderen verschwindet eine Schülerin nach einem Ausflug spurlos. Zuletzt war sie gesehen worden, wie sie in einen Apparat stieg, an der anderen Seite kam sie niemals an.

Die Texte bilden als Ganzes eine Parabel auf unsere technologisch hochgerüstete Gegenwart. Nicht zufällig gibt es in Morgans Geschichte kein Internet. Die Teleportation soll als Folie dienen, als Anstoß, die Nebenwirkungen tatsächlich verwendeter Hard- und Software zu reflektieren. Es handelt sich bei »Der Apparat« also nur bedingt um Science-Fiction, weil der Autor sich kaum für die Zukunft und ihre Möglichkeiten interessiert. Seine Poetik atmet eher auch eine gewisse Technophobie. Das Beamen greift bei ihm den wahren Kern der Welt an. Wenn eine Person sich teleportieren lässt, kommt sie am anderen Ende der Leitung nicht als sie selbst, sondern als Kopie wieder heraus. Unschwer lässt sich das als eine Warnung vor der Virtualisierung verstehen, um einen Angriff auf das Eigene und Eigentlichkeit schlechthin.

Genereller arbeitet sich das Buch kritisch an einem Fortschrittsdenken ab, das jede Neuerung befürwortet, auch dann, wenn gar nicht klar ist, was in Maschinen und Algorithmen abläuft. Hauptsache es gibt etwas Neues zu verkaufen, ein gesellschaftlicher Nutzen ist überhaupt nicht das Ziel. So hat die breite Bevölkerung letztlich wenig von der Einführung der Apparate. Ihr Weg zur Arbeitsstelle ist kürzer, auch wenn diese auf einem anderen Kontinent liegt. Und sie können sich zu jeder Zeit frisch gepflückte Früchte aus aller Welt leisten. Ansonsten bleibt alles mehr oder weniger beim Alten. Die größten Innovationen lassen die bestehenden Verhältnisse also unangetastet, so die Botschaft.

Wobei, ganz folgenlos bleiben sie nicht, immerhin wechseln die Chefs. Die Menschheit ist bei Morgan völlig an ihre Maschinen gebunden, am Ende besiedelt sie sogar den Mond, nur um dort Mineralien für die Fertigung neuer Modelle abzubauen. Die Krone der Schöpfung erweist sich also als eine Ansammlung von Sklaven im Dienste ihrer eigenen Erfindungen. Man mag diese Kritik auch hinsichtlich der jüngsten Diskussion um Künstliche Intelligenz als aktuell verstehen, reichlich didaktisch kommt sie aber auch daher. Das liegt vor allem an Morgans drögem Stil. Die meisten seiner Figuren sind selbst Apparate. Als windschief konstruierte Thesenträger stolpern sie über die Seiten, als Beispiele für blinde Technologiegläubigkeit oder hilflose Ergebenheit in die Verhältnisse. Eine intellektuell, emotional und politisch zutiefst korrumpierte Welt steckt da zwischen den Buchdeckeln. Man schließt sie letztlich nickend, aber auch mit einem müden Schulterzucken.

J. O. Morgan: Der Apparat. A. d. Engl. v. Jan Schönherr. Rowohlt, 240 S., geb., 24 €.

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