Gefahr durch Asbest: »Die Dunkelziffer ist riesig«

In Deutschland sind viele Bauarbeiter lebensbedrohlichen Gefahren durch Asbest ausgesetzt

  • Felix Sassmannshausen
  • Lesedauer: 3 Min.

Am Rande einer Baustelle in Berlin-Friedrichshain machen drei polnische Bauarbeiter Pause und rauchen eine Zigarette in der Sonne. Die Abbrucharbeiter können kein Deutsch, einer von ihnen spricht gebrochenes Englisch. Nach Asbest gefragt, gibt er zu verstehen, dass sie davon noch nie gehört haben. »Fragen Sie die Firmenleitung, wenn Sie dazu etwas wissen wollen«, sagt er. Über die Gefahren, die von dem Baustoff ausgehen, scheinen sie von der zuständigen Firma nicht hinreichend informiert worden zu sein.

Kurz zuvor war am Donnerstag eine Pressekonferenz der Industriegewerkschaft Bau zur »unsichtbaren Gefahr Asbest« zu Ende gegangen. »Es ist geiles Zeug, hat eine extrem gute Bindewirkung. Aber es ist krebserregend und lebensgefährlich«, sagte Carsten Burkhardt eindrucksvoll zum Auftakt der Konferenz. Er ist Teil des Bundesvorstandes der Baugewerkschaft und für den Arbeitsschutz zuständig. Asbestfasern wurden aufgrund der Bindewirkung jahrzehntelang im Bau genutzt. Laut Gewerkschaft importierten und verbauten Unternehmen zwischen 1950 und 1995 etwa 4,4 Millionen Tonnen Asbest.

Angaben der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin zufolge sterben in Deutschland jährlich über 1500 Menschen an den Spätfolgen eines beruflichen Kontakts mit Asbest. Am häufigsten leiden Arbeiter unter Lungenkrebs. Meist handelt es sich um Spätfolgen, die erst Jahrzehnte nach dem Kontakt mit dem Bauzusatzstoff auftreten. Bis dahin bleibt die Erkrankung in der Regel unentdeckt. Unternehmen für die Berufskrankheit haftbar zu machen, gestaltet sich darum meist schwierig.

Aufgrund der lebensbedrohlichen Gefahren, die von Asbest ausgehen, ist es seit 1993 in Deutschland verboten, das Material zu importieren oder zu verarbeiten. Auch gelten für die Sanierung oder den Abbruch vom Altbaubestand seitdem strenge Vorschriften. Unternehmen müssen ihren Beschäftigten eine persönliche Schutzausrüstung und Staubschleusen zur Verfügung stellen. Zudem müssen sie über die Gefahren aufklären und die Beschäftigten schulen. Für die Entsorgung von kontaminierten Abfällen gelten strikte Vorschriften.

Dennoch kommt es immer wieder vor, dass Unternehmen ihre Beschäftigten nicht hinreichend schützen. »Wissentlich oder unwissentlich«, sagt der gelernte Maurer Wolfgang Leihner-Weygand auf der Pressekonferenz der Baugewerkschaft. Er kam in den 1980er Jahren beruflich mit Asbest in Kontakt und erkrankte an Lungenkrebs. »Nach meiner Arbeit als Maurer war ich im Arbeitsschutz tätig«, sagt er auf »nd«-Nachfrage. »Es ist immer wieder eine Herausforderung, Unternehmen dazu zu bringen, sicher zu arbeiten. Dafür müssen spezielle Maschinen eingesetzt werden.« Bis zu 10 000 Euro kann das Schutzmaterial kosten.

Unternehmen, die die Schutzmaßnahmen auf Baustellen umgehen, werden nicht hinreichend kontrolliert, weil es an Personal fehlt, kritisiert Carsten Burkhardt von der Baugewerkschaft. »Aktuell ist ein Kontrolleur für über 23 000 Beschäftigte zuständig.« Nötig wären aber rund doppelt so viele. Darüber, wie viele Unternehmen die Arbeits- und Gesundheitsschutzbestimmungen umgehen, hat die Gewerkschaft keine Zahlen. Aber betroffen seien insbesondere migrantische Bauarbeiter aus Osteuropa, vor allem Bulgarien und Rumänien, die meist prekär beschäftigt sind, sagt Burkhardt nach der Pressekonferenz im Gespräch mit »nd«. »Die Dunkelziffer ist riesig.«

Darum fordert die Baugewerkschaft neben strengeren Kontrollen auch staatliche Zuschüsse für die sichere Beseitigung von Asbest und eine Informationskampagne für die bevorstehende Sanierungswelle. Wichtig sei, dass die Informationen in der Muttersprache der jeweiligen Arbeiter verfügbar sind. Etwa auf Polnisch, wie für die drei Abbrucharbeiter in Friedrichshain, die sich nach ihrer Pause wieder an die Arbeit machen.

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