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Ohrfeige für Frankreichs Innenminister
Oberstes Verfassungsgericht setzt Verbot von Umweltbewegung aus
Das Oberste Verwaltungsgericht in Frankreich hat das vom Innenminister Gérald Darmanin erlassene Dekret über die Auflösung des Umweltverbandes »Soulèvements de la Terre« (Aufstände der Erde) bis auf Weiteres aufgehoben. Das Verfahren zum Inhalt des Rechtsstreits wird im Herbst stattfinden, entschied der Staatsrat am Freitag per einstweiliger Verfügung. Es liege keine akute Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit vor, heißt es zur Begründung. Der Minister habe nicht nachweisen können, dass die Vereinigung mitschuldig war an den Zusammenstößen bei einer nicht genehmigten Protestaktion gegen den Bau eines gigantischen Wasserrückhaltebeckens in Sainte-Soline im westfranzösischen Departement Deus-Sèvres. Dort standen am 25. März 15 000 Demonstranten und 3000 Polizisten gegenüber.
»Weder durch Dokumente noch durch Aussagen vor Gericht konnte nachgewiesen werden, dass die Vereinigung in irgendeiner Weise Gewalt gegen Personen gutheißt«, wird in der Entscheidung des Staatsrates festgestellt. Die Richter bescheinigen der Umweltbewegung auch, dass ihre Aktionen, soweit sie zu materiellen Schäden geführt hätten, im selbstgewählten Rahmen des »zivilen Ungehorsams« und der »Deaktivierung von umweltschädlichen Anlagen« blieben. Innenminister Darmanin erklärte in einem Kommuniqué, er »nehme die Gerichtsentscheidung zur Kenntnis und warte das Ergebnis des Prozesses im Herbst ab«.
Bei am Rande der Protestaktion erfolgten Zusammenstößen in Sainte-Soline wurden im März rund 200 Demonstranten und 27 Polizisten verletzt. Tage später hatte der Minister dem von ihm als »Gruppierung« abqualifizierten Umweltnetzwerk, das laut eigener Aussage rund 150 000 Anhänger zählt, in einer Rede vor der Nationalversammlung »Ökoterrorismus« vorgeworfen. Auf seinen Antrag hin hatte der Ministerrat am 21. Juni die Auflösung von »Soulèvements de la Terre« verfügt, die Darmanin umgehend per Ministerdekret in Kraft setzte.
Dabei berief sich Darmanin auf den Artikel L212-1 des Kodex über Innere Sicherheit, der die Auflösung von Gruppierungen erlaubt, wenn diese »eine Gefahr für die öffentliche Ordnung« darstellen. Es ist das erste Mal, dass dieser Artikel nicht wie bisher gegen islamistische, rechtsextreme oder linke Organisationen, sondern gegen eine komplette Umweltvereinigung angewandt wird.
»Les Soulèvements de la Terre« weist den Vorwurf, für die Durchsetzung ihrer Forderungen auch Gewalt zu propagieren, entschieden zurück. »Die Regierung, der immer wieder Untätigkeit oder zögerliches Vorgehen beim Umwelt- und Artenschutz, beim Wassernotmanagement und bei Maßnahmen gegen den Klimawandel nachgewiesen wird, ist schneller bei der Hand, Kritiker ihrer Umweltpolitik gerichtlich zu verfolgen«, stellt Léna Lazare, Sprecherin des Netzwerkes, fest. Das Urteil bezeichnet sie als »ein positives Zeichen, das uns mit Hoffnung erfüllt«. Noch habe man aber nicht gewonnen. »Wir sind aber zuversichtlich«, so die Sprecherin.
Kommentatoren werten den Gerichtsentscheid als beispiellose Niederlage für den Minister und die Regierung. Sandrine Rousseau von der Partei der Grünen bezeichnet das Urteil als »Ohrfeige für Innenminister Darmanin, der geglaubt hat, sich selbstherrlich über die gesetzliche Meinungs- und Demonstrationsfreiheit hinwegsetzen zu können«. Die französische Liga für Menschenrechte begrüßt, dass der Staatsrat »den repressiven Eifer der Regierung gebremst« hat und würdigt das Urteil als »Sieg für die Vereinigungsfreiheit«.
»Les Soulèvements de la Terre«, zu dem mehrere Dutzend Umweltorganisationen gehören, entstand im Januar 2021 als Umweltdachverband. Dieser kämpft nach eigenen Angaben »gegen die Betonierung oder zweckentfremdete Nutzung von Ackerboden, um das Land, das uns ernährt, das Wasser und andere natürliche Ressourcen zu schützen«. Dabei schöpft die Bewegung aus den erfolgreichen Protestaktionen in Notre-Dame-des-Landes bei Nantes gegen den dort geplanten Bau eines neuen Flughafens für Westfrankreich. Ein jahrelanger Blockadekampf und die zahlreichen militanten Auseinandersetzungen mit der Polizei hatten sich letztlich ausgezahlt. Der 2017 gewählte neue Präsident Emmanuel Macron entschied ein Jahr später, auf den Bau des Flughafens zu verzichten.
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