Klimakrise und Versicherungen: Profitable Schäden

Prämien der Versicherer steigen schneller als die Schäden durch Naturkatastrophen

  • Hermannus Pfeiffer
  • Lesedauer: 4 Min.

Wetterkapriolen werden in aller Welt weiter zunehmen. Da zeigen sich Versicherungsunternehmen wie Munich Re fest überzeugt. Der Versuch, CO2-Emissionen zu reduzieren, werde am Wetter auf lange Sicht nichts ändern. Es sei daher für Wirtschaft und Gesellschaft zweckmäßig, sich auf die neuen Bedingungen einzustellen. Der Versicherungsbranche selber gelingt dies bestens, wie die in der zurückliegenden Woche präsentierten Halbjahreszahlen des weltgrößten Rückversicherers belegen. Unsicherheiten sind schließlich ihr Job.

In den ersten sechs Monaten lagen die weltweiten Schäden aus Naturkatastrophen deutlich über dem Schnitt der vergangenen zehn Jahre mit 98 Milliarden US-Dollar (knapp 90 Milliarden Euro). Das erste Halbjahr 2023 reihte sich insofern ein in sehr schadensintensive vorhergehende Jahre, teilt Munich Re mit, die früher Münchner Rückversicherung hieß. Anderseits fiel der globale Gesamtschaden mit 110 Milliarden Dollar geringer aus als in der ersten Hälfte 2022 (120 Milliarden Dollar).

Nicht einmal vier von zehn der Schäden durch Erdbeben, Gewitterserien und Hochwasser im ersten Halbjahr waren versichert. Im Durchschnitt der ersten Halbjahre von 2013 bis 2022 trugen die Versicherer rund 35 Prozent der weltweiten Schäden. »Das ist ein Hinweis auf die unverändert große Versicherungslücke in vielen Ländern bei vielen Naturgefahren«, sagt Vorstand Thomas Blunck. Die Branche hat also noch viel Luft nach oben für neue Verträge, so die Einschätzung von Experten.

Dabei sind es nicht allein Klimawandel und Wetterkapriolen, die für im Trend größere und teurere Schäden und für mehr menschliches Leid sorgen. Beispielsweise zeige die Erdbebenkatastrophe in der Türkei und Syrien, so Blunck, »wie notwendig stabile, sichere Bauten sind«.

Was wie eine Binsenweisheit klingen mag, verweist auf eine langfristige Entwicklung. Das rasante Wachstum der Bevölkerung in vielen Ländern und ein gutes Stück Leichtsinn haben dazu geführt, dass immer mehr Häuser und Infrastruktur in riskanten Gebieten errichtet wurden und werden. Selbst in Gebieten, die seit Langem bekanntermaßen durch Erdbeben, Überflutungen und andere Naturkatastrophen besonders gefährdet sind, ist die Bauweise den Gefahren oft nicht angepasst. Die Flut im Ahrtal im Juli 2021 und der dortige Wiederaufbau haben gezeigt, dass dies alles auch in Deutschland ein Thema sein sollte.

»Wir müssen uns deutlich besser an die Folgen der Erderwärmung anpassen«, zeigt sich Blunck nicht das erste Mal überzeugt. Schon lange mahnen die Münchner. Ihr Wort hat zumindest branchenintern Gewicht. Bereits in den 80er Jahren baute der Versicherer eine naturwissenschaftliche Abteilung auf, die sich mit Klima und Naturkatastrophen beschäftigte.

Sich an die Folgen der Erderwärmung anzupassen, bedeute ebenfalls, sich durch entsprechenden Versicherungsschutz gegen die unmittelbaren finanziellen Folgen abzusichern. Das gelingt der Munich Re bereits hervorragend, wie die jüngste Bilanz zeigt. »Erfreulicher können Halbjahreszahlen nicht sein«, sagte Vorstandschef Joachim Wenning während der Online-Pressekonferenz aus München in der letzten Woche. Unter dem Strich schlug von Januar bis Juni ein Gewinn von 2,4 Milliarden Euro zu Buche. Sondereffekte beiseitegelassen, war der Rückversicherer wohl noch nie so profitabel wie heute.

Munich Re sichert vornehmlich sogenannte Erstversicherer wie Allianz, Debeka oder Generali sowie Industriekonzerne gegen alle möglichen Risiken weltweit ab. Dazu gehören vor allem schwer zu kalkulierende Großschäden (ab 30 Millionen Euro), wie sie durch Waldbrände in Griechenland, Flutwellen in Norwegen oder die herbstliche Hurrikan-Saison in Amerika entstehen. Zwar sind Rückversicherer nahezu in jedem Land engagiert, aber der »Globale Süden«, der sich einen Versicherungsschutz oft nicht leisten kann, gilt als extrem unterversichert.

Das zunehmende Krisenbewusstsein in den Chefetagen der Wirtschaft beflügelt die Nachfrage nach Versicherungsschutz. Dieser Megatrend erlaubt es der Munich Re, höhere Preise für ihre Policen durchzusetzen und ihre Gewinnmargen zu erhöhen. Ähnliche Erfolgsmeldungen verbreitet auch die Hannover Re, die zur Talanx-Gruppe aus Hannover gehört, weltweit die Nummer drei unter den Rückversicherern. Neben höheren Prämien hilft der Branche eine »selektive Zeichnungspolitik«. Große Risiken werden nicht versichert, wenn der Kunde nicht bereit ist, den höheren Preis zu bezahlen.

Bei der turnusmäßigen Erneuerung vieler Rückversicherungsverträge zum 1. Juli ging das Geschäftsvolumen zwar leicht zurück, da Munich Re »gezielt jenes Geschäft nicht fortgeführt hat, das nicht den erwarteten Preisen und Bedingungen entsprach«. Das inflationsbereinigte Preisniveau für das Portfolio von Munich Re wurde insgesamt deutlich gesteigert, um plus 5,1 Prozent.

Dieser günstige Preiszyklus werde noch lange dauern. Es gebe weltweit »zu viel Unsicherheit und zu viel Nachholbedarf« bei der Absicherung von Risiken, ist Vorstandschef Wenning überzeugt: »Munich Re ist voll auf Kurs.« Den Wetterkapriolen sei dank.

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