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Drama »Forever Young«: Nachruf auf einen Guru

Im französischen Drama »Forever Young« ist Valeria Bruni Tedeschi auf der Suche nach ihren eigenen Anfängen als Schauspielerin

  • Gunnar Decker
  • Lesedauer: 6 Min.
In »Forever Young« sehen wir eine Gruppe junger Menschen, deren Neigung zum Narzissmus an der Schauspielschule des Théâtre des Amandiers fatal gesteigert wird.
In »Forever Young« sehen wir eine Gruppe junger Menschen, deren Neigung zum Narzissmus an der Schauspielschule des Théâtre des Amandiers fatal gesteigert wird.

Sind Sie der Meinung, man müsse Exhibitionist sein, um Schauspieler zu werden?» Die Frage geht an Stella (Nadia Tereszkiewicz), die gerade bei der Aufnahmeprüfung zur Schauspielschule aus «Die ehrbare Dirne» vorgesprochen hat. Ihr Auftritt: eine einzige Ekstase, ein Gefühlsexzess. Die Kommission ist irritiert. Wo endet die Bemühung um Kunst, wo beginnt die pure Hysterie?

Darum geht es in den folgenden zwei Stunden in «Forver Young» von Valeria Bruni Teeschi – obwohl die Regisseurin, Alter Ego Stellas, das so nie formulieren würde. Sie ist vielmehr auf der Suche nach ihren eigenen Anfängen als Schauspielerin (später auch als Regisseurin), feiert die Naivität eines Beginnens, über das sich der Trauerflor der unerbittlich vergehenden Zeit legt.

Wir sind im Paris Ende der 80er Jahre. Die Schauspielschule ist nicht irgendeine Schule, sondern die legendäre des Théâtre des Amandiers. Und der Chef dieses Theaters ist auch legendär, es war Patrice Chéreau. Anfänger treffen auf Legenden, so die Konstellation. Anfang der 90er Jahre hatte Sönke Wortmann über das gleiche Thema «Kleine Haie» gedreht. Junge Menschen wollen auf die Bühne, träumen von großen Rollen, von Berühmtheit auch. Das Problem ist, dass so viele andere junge Menschen den gleichen Traum träumen und nur wenige die Chance bekommen, ihn auch zu leben.

Wie kann man im Konkurrenten den Mitspieler entdecken? Für viele ist das offenbar eine Überforderung. Wortmanns bittere Komödie war schnell und direkt erzählt, verzichtete auf jegliches Psychologisieren und karikierte jeden überzogenen Kunstwillen. Anders Valeria Bruni Tedeschi in «Forever Young», die permanent den tiefenpsychologischen Ansatz vor sich herträgt.

Dafür kann sie vielleicht gar nicht so viel, denn es war der Geist dieser Schule, die auf so penetrante Weise legendär war, vielleicht auch nur in Mode. Man ging offenbar wie auf Watte durch diesen berühmten Tempel der Gegenkultur, der sich am Lee Strasberg Institute in New York orientiert wie andere an Stanislawski oder Brecht. Am Théâtre des Amandiers lehrte man «Method Acting». Das ist in den Augen der Kritiker der Institution eine sektenähnliche Art von Psychokontrolle, bei der persönliche Schwächen oder Traumata entblößt werden, deren Instrumentalisierung von außen droht. Valeria Bruni Tedeschi aber sagt: «Strasbergs Methode war für mich wie ein Fenster, das sich zum Horizont hin öffnete.» Lauter Befindlichkeiten, mit denen wir es nun auch in ihrem Film zu tun haben.

Dass Schauspiel ein Beruf ist, der mit viel Arbeit, Technik und Disziplin zu tun hat, gerät darüber in den Hintergrund. Und etwas Entscheidendes zudem: Wer sich in seine Neurosen einspinnt, der monologisiert bloß, kann nicht mit anderen zusammenspielen, keine Geschichten erzählen, jene Brüche sichtbar machen, die die Distanz zu sich selbst erfordern.

So sehen wir hier in «Forever Young» eine Gruppe junger Menschen, deren Neigung zum Narzissmus an dieser Schauspielschule fatal gesteigert wird. Man kann nicht im Schatten von Legenden beginnen, die eigenen Stärken zu entdecken. Und das ist auch die Schwäche dieses Films, der von Erinnerungen lebt: Er will vor allem eine Hommage an Patrice Chéreau und an Pierre Romans sein, der die Schauspielschule des Theaters leitete. Der Film fragt nicht nach, lässt für Ernüchterung keinen Raum, sondern schwelgt.

Warum nur wirkt jede Szene so überanstrengt wie ein Vorsprechen? Weil keine Geschichte erzählt wird, sondern jeder der Beteiligten auf die Chance zu seiner Performance wartet. Es ist die Zeit von Drogen und Aids. Der erste an Aids Erkrankte befindet sich im Umfeld der Schule. Die weibliche Hälfte der Gruppe stellt fest, dass gleich mehrere von ihr Sex mit dem Infizierten hatten – und gerät in Panik. Die Szene, in der es dann per Telefon um die Testergebnisse geht, wirkt wieder wie ausgestellt. Eine falsche Geste folgt der anderen, sodass man schnell die Lust auf diese Innenansicht einer Schauspielklasse der 80er Jahre verliert.

Zu viel Eitelkeit ist da im Spiel, und auch Stella, die wie die Regisseurin selbst in einer reichen Turiner Industriellenfamilie aufwächst, vermag es nicht, für sich zu interessieren. Da hilft es auch wenig, dass der offenbar weise Butler (!) der Familie zu ihr sagt: «Werden Sie bloß nicht verrückt!» Kein abwegiger Gedanke in dieser hochneurotischen Szenerie. Nein, dies ist keine melancholische Reise in die Vergangenheit, kein kollektives Eintauchen ins Chaos der Erinnerungen – hier kreist alles um den angebeteten Patrice Chéreau, der damals Ende 40 war.

An der Schauspielschule inszeniert er Tschechows Bühnenerstling «Platonow». Darin geht es um einen intellektuellen Irrläufer, der nichts mit sich anzufangen weiß, mal als charmanter Verführer auftritt, mal mit Zynismen seine Umgebung terrorisiert. Die jungen Hyperindividualisten des Ensembles (das weit davon entfernt ist, ein Ensemble zu sein) stoßen bei diesem Stück, das ihnen den Spiegel vorhält, an ihre Grenzen, zumal einer von ihnen, Stellas drogensüchtiger Freund Etienne (Sofiane Bennacer) während der Proben an einer Überdosis stirbt. So ersteht nach und nach die Tragödie inmitten dessen, was bislang die Komödie der Eitelkeiten war. Chéreau verfolgt dabei sein Thema: den Zusammenhang von Liebe und Tod.

Denn die ewige Jugend endet mit der Erfahrung der eigenen Sterblichkeit. Chéreau, der 1976 in Bayreuth Wagners «Ring des Nibelungen» inszeniert hatte, der bis heute als «Jahrhundertring» gilt, sezierte in seinen späteren Filmen wie «Intimacy» von 2001 die menschliche Triebstruktur, die sich mit dem eigenen geistigen Anspruch immer im Widerstreit befindet. Ein großer seines Fachs, zweifellos. Einer, der es wert ist, sich an ihm zu reiben, sollte man meinen. Dienten die jungen Schauspieler und Schauspielerinnen am Théâtre des Amandiers in all ihrer naiven Unbedingtheit für ihn vor allem als Studienobjekte, die er kühl sezierte? Es wirkt so, wird aber nie ausgesprochen.

Im Film erscheint seine Figur, neben der von Schauspielschuldirektor Pierre Romans, als einzige, die namentlich kenntlich wird – hier gespielt von Louis Garrel. Als introvertierter Charismatiker lebt er in der Erinnerung der Regisseurin fort (Cheréau starb 2013). Mit ihm habe sie denjenigen verloren, der «ein Kapitän, ein Führer, ein Leuchtturm» gewesen sei, so Valeria Bruni Tedeschi. Da möchte man mit Nietzsche kontern, der im «Zarathustra» schrieb: «Folge nicht mir, folge dir nach!»

Mit diesem Film will sie Chéreau ein Denkmal setzen, an dem niemand auch nur kratzen darf. So sieht «Forever Young» dann auch aus: wie der Nachruf auf einen Guru.

«Forever Young»: Frankreich 2022. Regie und Buch: Valeria Bruni Tedeschi. Mit: Nadia Tereszkiewicz, Sofiane Bennacer, Louis Garrel, Micha Lescot. 126 Min. Start: 17. August.

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