Wuppertal: Autonome sollen zur »Sachebene zurückkehren«

In Wuppertal wird der Sozialarbeiterjob des Nachtbürgermeisters zum Politikum

Im Luisenviertel ist ein Vermittler gefragt, links soll er nicht sein.
Im Luisenviertel ist ein Vermittler gefragt, links soll er nicht sein.

Nachtbürgermeister, der Titel klingt irgendwie pompös. Dabei geht es um eine ganz normale sozialpädagogische Stelle. In vielen Städten gibt es solche Jobs. Die Nachtbürgermeister*innen sind in den Feiergegenden im Einsatz. Sie vermitteln zwischen Partyvolk, Anwohner*innen, Gastronomie und Ordnungsbehörden. In der Stellenausschreibung aus Wuppertal heißt es, »zur Reduzierung von Konflikten, der Verbesserung von Vernetzung und Gestaltung des Nachtlebens« werde ein*e Nachtbürgermeister*in gesucht.

Den Job bekommen hat Thomas Roeber, behalten hat er ihn keine drei Tage. Im Gespräch mit »nd« sagt er: »Mein persönlicher Ruf in dieser Stadt ist ruiniert. Ob ich hier jemals noch einen Job bekomme, steht in den Sternen.« Zum Verhängnis wurde dem 34-jährigen sein Engagement für das Autonome Zentrum.

Das linke Zentrum kämpft um seine Räumlichkeiten. Sie sollen für den Neubau einer Moschee der türkisch-nationalistischen Ditib abgerissen werden. Im Juni trat Roeber in einer Radiosendung des WDR auf, diskutierte dort mit einem Ditib-Vertreter und dem Sozialdezernenten der Stadt Steffen Kühn über den Streit um die Moschee. In der Diskussion trat er als »Tim« aus dem Umfeld des Autonomen Zentrums auf – ein falscher Name, für manche in der Stadt ein No-Go. Roeber selbst berichtet, dass er kurzfristig eingesprungen sei, für Tim, der an dem Tag habe arbeiten müssen. Er habe sich keine weiteren Gedanken gemacht.

Für Sozialdezernent Kühn sei das auch kein Problem gewesen, berichtet Roeber. Im Bewerbungsprozess für den Job des Nachtbürgermeisters habe er Kühn getroffen, eine Bemerkung, ein Lachen. Die Sache mit dem falschen Namen sei geklärt gewesen, so schildert es Roeber.

An seinem ersten Arbeitstag stellte sich Roeber im Sozialausschuss der Stadt vor. Der Nachtbürgermeister ist ein kleines Prestigeprojekt der Stadt. Deswegen dürfen viele Gremien mitreden. Die Vorstellung verlief gut, die lokale CDU veröffentlichte im Anschluss eine beinahe euphorische Pressemitteilung.

Einen Tag später braute sich dann ein Gewitter über Roeber zusammen. Wieder sollte er vorstellen, was er als Nachtbürgermeister vorhat, diesmal in der Bezirksvertretung. Schon vor der Sitzung erreichten ihn Anfragen der Lokalpresse. Dabei ging es weniger um sein Konzept für den Job als um seine Person. In der lokalen SPD hatte sich Unmut breit gemacht. Er entlud sich dann auch in der Sitzung. Es wurde angezweifelt, dass Roeber geeignet sei zu vermitteln. Auch ein professionelles Verhältnis zur Polizei wurde angezweifelt.

Nach der Sitzung und einigen kritischen Nachfragen durch das Lokalfernsehen hatte Roeber es geschafft – dachte er. Dass er Nachtbürgermeister wird, hatte niemand in der Sitzung offen angezweifelt. Spät am Abend nach der Sitzung entdeckte Roeber im E-Paper der lokalen »Westdeutschen Zeitung« einen Artikel und einen Kommentar über sich. Die Forderung des Kommentars: »Wenn sich die Wuppertaler Stadtverwaltung ernst nimmt, sucht sie einen neuen Nachtbürgermeister.« In dem dazugehörigen Artikel wurden zahlreiche Straftaten, die der linksradikalen Szene zugerechnet werden, aufgezählt und mit der Personalie Thomas Roeber vermengt.

Am Donnerstag erhielt Roeber erst einmal Rückendeckung durch die Stadt und den Projektträger, den »Internationalen Bund«, der ihn angestellt hatte. Am Nachmittag kam dann ein Anruf, man müsse ihm kündigen. Die formale Begründung: Roebers Führungszeugnis sei nicht sauber. Gegenüber »nd« schildert Roeber, dass er »immer mit offenen Karten« gespielt habe. Dass er Verurteilungen hatte, sei allen Beteiligten bekannt gewesen. Auch worum es ging: Ärger bei einer Demonstration am 1. Mai 2018 und der Versuch bei einem Stadtteilfest im selben Jahr, den Betroffenen einer Polizeikontrolle beizustehen.

Roeber glaubt nicht, dass das Führungszeugnis ausschlaggebend für die Kündigung gewesen sei. Gerade die SPD-Vertreter*innen, die sich sehr für den Bau der Ditib-Moschee einsetzten, hätten nicht gewollt, dass er die Stelle bekomme. Er sieht den Vorgang als eine Art Retourkutsche. Im Endeffekt sei sein Vergehen, dass er sich »gesellschaftskritisch« in eine Debatte eingebracht habe. Wuppertal sucht nun wieder ein*en Nachtbürgermeister*in und Thomas Roeber sucht wieder einen Job.

Update:

Am Dienstag erlebte die Posse um den Nachtbürgermeister einen neuen Höhepunkt. Wuppertals Oberbürgermeister, der ehemalige Transformationsforscher Uwe Schneidewind, schaltete sich in die Debatte ein. Die Autonomen sollten »zur Sachebene zurückzukehren«. Um Mandatsträger*innen vor Bedrohungen zu schützen, habe er Strafanzeige bei der Polizei erstattet. Die »Grenzen eines angemessenen Umgangs miteinander« seien eindeutig überschritten worden. 

Was war geschehen? Am Samstag wurde auf Portalen wie Indymedia und Facebook eine Erklärung von »Elberfelder Autonomen« veröffentlicht. Diese wollten offenbar witzig sein und ließen in ihrer Erklärung den sozialdemokratischen Vorkämpfer August Bebel, der auch im Wuppertal aktiv war, aus dem Grab sprechen. Bebel richtete seinen heutigen Wuppertaler Genoss*innen aus, dass sie sich wie Denunzianten verhalten hätten und dass gerade der Elberfelder Bezirksbürgermeister Thomas Kring als Wortführer gegen den Nachtbürgermeister doch eigentlich aus der Partei ausgeschlossen werden müsse. Andernfalls seien Boykotte ein probates Mittel im politischen Kampf. Es müsse doch leicht sein, den Weinhandel des Bezirksbürgermeisters mit einer »gezielten und zumindest preußenweiten Boykottkampagne in die Knie zu zwingen«. Wer wolle schon »bei einem Denunzianten den Schoppen Wein beziehen«? Der von den Autonomen erdachte Bebel appellierte an die »alte Kraft des Wuppertaler Proletariats«. Nun, von einem »preußenweiten« Boykott kann bisher nicht die Rede sein. In den vergangenen Tagen häufen sich allerdings die negativen Google-Bewertungen für den Weinhandel.

Die Wuppertaler SPD hat sich mit ihrem Lokalpolitiker solidarisiert. Sie wirft den Autonomen primitive Bedrohungen vor und stellt fest, wer mit »Hass, Hetze und Gewalt« vorgehe, habe sich »als demokratischer Mitstreiter« disqualifiziert und offenbare sich als »extremistische und kriminelle Organisation«. Für solche Gruppen seien Justiz und Polizei zuständig.

Die scharfen Worte der SPD und des Grünen Oberbürgermeisters lassen darauf schließen, dass Wuppertaler Linken harte Zeiten bevorstehen. Die anonyme Erklärung wird mit dem Autonomen Zentrum in Verbindung gebracht. Dessen Standort ist akut gefährdet. Die Ausgangsbedingungen für einen Verbleib oder einen Alternativstandort dürften sich verschlechtert haben.

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