Ein Ratschlag von Woody Guthrie

Unbekannter Musiker in den USA mit einem »Arbeiterlied« auf Platz eins in den Charts

  • Thomas Grossman
  • Lesedauer: 3 Min.
Oliver Anthony hat mit seinem Song eine heftige Debatte in den USA ausgelöst.
Oliver Anthony hat mit seinem Song eine heftige Debatte in den USA ausgelöst.

Ein junger Mann mit roten Haaren und rotem Bart singt, zwei Hunde zu seinen Füßen. Die Kulisse bilden dichte, sattgrüne Bäume. Er greift beherzt in die Saiten seiner Gitarre und intoniert voller Inbrunst einen Song. Der Titel: »Rich Men North of Richmond«. Das Lied soll von Arbeiterrechten handeln.

Dieser bislang völlig unbekannte Musiker, ein Fabrikarbeiter aus Farmville, Virginia, namens Oliver Anthony – eigentlich heißt er Christopher Anthony Lunsford –, hat gerade mit ebendiesem Song einen sensationellen Sprung auf Platz eins der USA-Billboard-Charts geschafft. Damit ist er der erste Künstler, dem dies auf einen Schlag gelang, ohne zuvor jemals in Hitlisten gewesen zu sein. Das Lied, vom lokalen Radio-Sender Radio VW entdeckt, wurde innerhalb einer Woche in den USA über 17 Millionen Mal gestreamt.

Der Song beginnt wie ein klassenbewusstes Arbeiterlied: »Nun, ich verkaufe meine Seele/ arbeite den ganzen Tag/ Überstunden/ für einen Mist-Lohn.« Sodann folgt eine offene Anklage: »Sie leben in der neuen Welt/ mit einer alten Seele/ diese Reichen im Norden von Richmond/ Gott weiß, sie alle wollen die totale Kontrolle/ was du denkst und was du tust/ und besteuern deinen Dollar ohne Ende.« Mit den Reichen im Norden sind die Eliten in Washington gemeint, die Hauptstadt liegt rund 200 Kilometer nördlich von Richmond. Oliver Anthony singt Klartext: »Gott, wir haben Leute in den Straßen/ die haben nichts zu essen/ und die Dickleibigen schnorren Wohlfahrt.«

Auch jüngste Skandale der Superreichen sind verarbeitet: »Ich wünschte die Politiker würden sich um Bergarbeiter kümmern/ Und nicht nur um Minderjährige auf einer Insel irgendwo.« Damit spielt Oliver Anthony auf den Sexskandal um den Milliardär Jeffrey Epstein und dessen Freunde an, die Mädchen missbrauchtenn. Große bürgerliche Medien wie die »New York Times« oder die »Washington Post« nutzen diese verknappten Passagen, um Oliver Anthony Verallgemeinerungen und rechten Populismus vorzuwerfen, schreiben gar bereits von einer »QAnon-Verschwörungstheorie«. Da verwundert es wohl auch nicht, dass dieses Lied von einflussreichen konservativen Politikern und Medienleuten wie Jack Posobiec oder Jason Whitlock instrumentalisiert wird. Der prominente rechte Podcaster Joe Rogan kommentierte den Song mit den Worten: »Wahre Authentizität kann man eben nicht verfälschen.« Das Lied kommt zu einer Zeit, in der rechte Populisten, mit Donald Trump an der Spitze, verstärkt um Einfluss kämpfen. Schon im Mai des Jahres gab es in den USA eine heftige Kontroverse um ein Lied. Der Country-Sänger Jason Aldean hatte mit »Try That in a Small Town« ebenfalls den ersten Platz in den Charts ergattert. Sein Musikvideo allerdings ist in der Tat streitbar, richtet sich gegen Black-Lives-Matter.

In den Streit um Anthonys Liedtext hat sich nun der linke englische Liedermacher Billy Bragg eingemischt. Er schrieb einen Song mit dem Titel »Rich Men Earning North of a Million«. Seine Begründung: »Seit ich das Video von Oliver Anthony gesehen habe, flüstert mir der Geist von Woody Guthrie ins Ohr: Hilf dem Mann. Sag ihm, da ist ein Weg, wie man die Probleme, von denen er singt, lösen kann.« Der 1967 verstorbene Woodrow Wilson Guthrie war ein linker, den Gewerkschaften nahestehender Singer-Songwriter. Billy Bragg adaptierte Passagen aus dem Song von Oliver Anthony und änderte sie leicht ab. Vor allem fordert Billy Bragg in seinem Lied die Fabrik- und Farmarbeiter, die kleinen Angestellten und Tagelöhner auf: »Nichts wird sich ändern, / wenn du dir nur wünschst, / du wachtest auf und es wäre nicht wahr/ Trete einer Gewerkschaft bei/ Kämpfe für besseren Lohn/ Du trittst besser einer Gewerkschaft bei, Bruder/ Organisiere dich noch heute.« Es gibt wieder Klassenkampf in den USA.

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