Streit um das Abaya-Verbot

Frankreich geht gegen das Tragen islamischer Kleidung an öffentlichen Schulen vor

  • Ralf Klingsieck, Paris
  • Lesedauer: 4 Min.

An den öffentlichen Schulen Frankreichs dürften Mädchen nicht mehr die Abaya tragen, erklärte Bildungsminister Gabriel Attal am Montag in Paris auf einer Pressekonferenz zum Schuljahresbeginn.

Bei diesem knöchellangen lockeren Kleid, das die Körperkonturen kaschiere, handele es sich um ein Symbol des Islam. Da aber jegliche Zeichen der Zugehörigkeit zu einer Religion dem Laizitätsprinzip widersprächen, sei das Tragen der Abaya an den öffentlichen Schulen verboten. Dasselbe gilt für die jüdische Kippa und christliche Kreuze, wenn diese größer sind als ein Halskettenanhänger.

Gemäß dem Prinzip der Laizität, einem der Fundamente der französischen Republik, ist an öffentlichen Schulen auch das Tragen des Kopftuchs verboten. Dass sich bereits 1998 drei Oberschülerinnen in einer Pariser Vorstadt geweigert hatten, ihr Kopftuch in der Schule abzulegen, löste damals eine landesweite Debatte über die Rolle der Religionen in der Republik aus. Diese mündete schließlich 2004 in ein Gesetz, das dieses seit der Trennung von Kirche und Staat 1905 existierende Verbot detailliert begründet und festschreibt. 2010 folgte noch das gesetzliche Verbot der Vollverschleierung im öffentlichen Raum.

So wie seinerzeit schnell klar war, dass es sich bei der Kraftprobe der drei Schülerinnen mit den Schulbehörden um eine gezielte Aktion fundamentalistisch-islamischer Organisationen handelte, die eine landesweite Bewegung unter den Muslimen für eine proislamische Änderung der Gesetze des Landes erzwingen wollten, so gehen die Behörden auch diesmal davon aus, dass es sich bei dem seit Monaten zu beobachtenden massenweisen Tragen von Abayas an den Schulen wieder um eine solche Provokation handelt.

Das durch den Minister nachdrücklich betonte Verbot der Abaya hat wieder zu einer heftigen innenpolitischen Kontroverse geführt. Während das Regierungslager das Thema als Randproblem zu behandeln und die Brisanz herunterzuspielen versucht, gießt der rechtsradikale Rassemblement National noch Öl ins Feuer und fordert, das Verbot demonstrativ-religiöser Zeichen und Kleidungsstücke auf den gesamten öffentlichen Raum auszudehnen. Die Abaya stellt aber auch die linke Opposition auf die Probe und droht, sie zu spalten. Die Sozialisten und die Kommunisten betonen ihr Bekenntnis zum Laizitätsprinzip und unterstützen daher das Verbot der Abaya an den Schulen. Dagegen sehen die Bewegung La France insoumise (LFI) und die Partei der Grünen darin ein Zeichen der Diskriminierung der Muslime und einen Ausdruck der Islamfeindlichkeit der Regierung.

Zwar bekennen auch sie sich zur Laizität, stellen diese aber zurück hinter das Eintreten für eine Aufwertung der Muslime in der französischen Gesellschaft. Den Vertretern der Muslime rät LFI, vor dem Verfassungsrat, dem französischen Verfassungsgericht, gegen das Abaya-Verbot zu klagen. Denn dieses sei unvereinbar mit der im Grundgesetz verankerten Religions- und Meinungsfreiheit. »Es handelt sich um eine rassistische und fremdenfeindliche Maßnahme, die einmal mehr die Muslime ausgrenzt und stigmatisiert«, betont der LFI-Abgeordnete Paul Vannier.

Da es kein Gremium gibt, das beanspruchen kann, die auf vier bis sechs Millionen geschätzten Muslime unter den insgesamt 67 Millionen Einwohnern Frankreichs zu repräsentieren, melden sich die verschiedensten Organisationen zu Wort. So verurteilt Abdallah Zekri, der Vizepräsident des Rates des islamischen Glaubens, vehement das Abaya-Verbot und erklärt, es handele sich dabei nur um ein »gewöhnliches Kleidungsstück ohne religiöse Bedeutung«.

Solchen Darstellungen widerspricht ganz entschieden Alain Seksig, Generalsekretär des Nationalen Weisenrates der Laizität, und betont: »Die jungen Mädchen, die dieses relativ schwere und für die Schule keinesfalls praktische Kleidungsstück tragen, tun dies ganz offensichtlich, weil sie dadurch ihr Bekenntnis zur islamischen Religion demonstrieren wollen.«

Die Gewerkschaften versuchen, das Thema zu relativieren, und verweisen darauf, dass es bisher nur rund 150 aller 60 000 Schulen betreffe; es gebe dringendere Probleme: 3000 Lehrerplanstellen sind unbesetzt, sodass im Schuljahr 2022/23 durch Krankheit und fehlende Vertretung 15 Millionen Unterrichtsstunden ausfielen.

Sophie Venetitay, Generalsekretärin der Lehrergewerkschaft SNES-FSU, macht darauf aufmerksam, dass bis Ende des Jahrzehnts 229 000 neue Lehrer ausgebildet und eingestellt werden müssten, um die in Rente gehenden Kollegen zu ersetzen. Dieser Generationswechsel sei bei Weitem nicht gesichert, zumal die Lehrer in Frankreich nach wie vor viel schlechter besoldet sind als in vielen anderen europäischen Ländern.

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