Flugzeuge klimaneutral beladen

Dienstleister Wisag peilt vollelektrische Abfertigung am Airport BER im Jahr 2030 an

Am Haupstadt-Airport BER in Schönefeld steht am Donnerstag eine Passagiermaschine der Fluggesellschaft British Airways. Die dröhnende Hilfsturbine im Rumpf erzeugt nicht nur einen ohrenbetäubenden Lärm, sie verpestet auch die Luft. »Komplett unnötig«, bedauert Paul Edwards von der Firma Wisag. Seine Kollegen laden nebenan das Gepäck aus einer Maschine der niederländischen Fluggesellschaft KLM, die soeben aus Amsterdam eingetroffen ist. Und dann bugsieren sie auch schon die Koffer für den Rückflug in den Bauch der Boing 737.

Viele Piloten schalten während der Abfertigung die Hilfsturbine nicht ab, die Strom für Licht und Klimaanlage produziert. Hier haben die Arbeiter ein Stromkabel an der Nase des Flugzeugs angeschlossen. Die Hilfsturbine wird deshalb gar nicht mehr benötigt. Die beiden Turbinen an den Flügeln der Boing 737 der KLM drehen sich zwar jetzt noch, allerdings vom Wind bewegt. Alle drei Turbinen des Flugzeugs sind abgeschaltet. Das spart Kerosin und schont die Nerven der Arbeiter, die sonst unter dem Lärm leiden würden und unter dem Gestank von Kerosin.

Die Wisag hat mit ihren Kunden vereinbart, dass während der Abfertigung grundsätzlich alle Turbinen abgeschaltet werden, was sonst viele Piloten nicht tun würden. Nebenan bei British Airways ist die Konkurrenzfirma Swissport am Werk.

Leise ist es an der KLM-Maschine aber nicht allein wegen der abgeschalteten Flugzeugturbinen, sondern auch weil die Wisag hier ausschließlich Elektrofahrzeuge einsetzt. So wird beispielsweise das Rollband, auf dem die Koffer in den Gepäckraum gleiten, nicht mehr mit einem Dieselmotor angetrieben. Teilweise arbeitet die Wisag am BER zwar noch mit Dieselfahrzeugen. Der Umstieg auf die klimaneutrale Abfertigung ist jedoch angepeilt.

»Im ersten Schritt werden wir das durch Ausgleichszahlungen machen müssen«, bedauert Wisag-Managerin Angela Stuhr. »Unser Ziel ist es aber, das bis 2030 aus eigener Kraft zu schaffen.« Es gehe bei der komplett elektrischen Abfertigung auch um die Gesundheit der Beschäftigten.

Seit Januar hat die Wisag bereits mehr als 1000 Abfertigungen vollelektrisch bewältigt und damit insgesamt 40 Tonnen CO2 eingespart, rechnet Projektleiter Edwards am Donnerstag vor. Pro Abfertigung seien es 33 Kilogramm CO2, die nicht mehr ausgestoßen werden. Klimaneutral ist das Be- und Entladen des Gepäcks allerdings nur, wenn Ökostrom verwendet wird. Der Wisag ist dies bewusst. Sie tut das.

Elektrisch wird das kleine Fahrzeug mit dem Rollband angetrieben und genauso eine große fahrbare Hubbühne, die Container mit Gepäck oder anderer Ladung in große Passagiermaschinen oder Frachtflugzeuge bugsiert. Auch diese gibt es klassisch mit Dieselmotor und auch schon modern mit elektrischem Antrieb. Für eine Boing 737 ist so eine Hubbühne nicht vonnöten und auch ungeeignet. Aber Paul Edwards lässt sie am Donnerstag am BER von einem Kollegen vorführen.

Ausrüsten lässt sich das Dienstleistungsunternehmen Wisag mit solcherlei Gerät durch die Firma HiServ. Die HiServ GmbH ist an mehr als 40 Flughäfen in Europa im Geschäft und hat dort reichlich 5000 Spezialfahrzeuge im Einsatz, wie Geschäftsführer Roland Ückert in Schönefeld erläutert. Knapp 60 Prozent seien schon vollelektrisch, sagt er. Ganz genau seien es gegenwärtig 57,6 Prozent, aber es würden ständig mehr. Das hat zwei gute Gründe. Das ökologische Gewissen ist nur der eine Beweggrund, auch wenn das Ückert persönlich durchaus wichtig zu sein scheint. »Es ist auch ökonomischer«, versichert er. Ückert fährt privat nicht umsonst begeistert ein Elektroauto und fragt, wenn er auf Reisen einen Mietwagen benötigt, ebenfalls nach einem solchen. Elektroautos seien unter dem Strich einfach effizienter. Besonders treffe das aber auf die Fahrzeuge und Maschinen für die Abfertigung von Flugzeugen zu.

So ein kleines Spezialauto mit Förderband verbrauche bei tuckerndem Motor in der Stunde 3,5 bis 4 Liter Diesel, berichtet Ückert. Oft laufe der Dieselmotor ohne Not, weil sich der Fahrer nicht die Mühe mache, ihn abzustellen. Manchmal müsse der Dieselmotor bei der Abfertigung auch laufen, während ein Elektromotor in der gleichen Situation wirklich nur Energie verbraucht in den Sekunden, in denen das Rollband gerade tatsächlich läuft und schwer mit Koffern beladen ist. Mit ans Internet gekoppelten Geräten können Ückert und seine Mitarbeiter den Energieverbrauch jedes einzelnen Fahrzeugs auslesen. Sie haben festgestellt: In 40 bis 50 Prozent der Zeit, die ein Dieselmotor in den Spezialfahrzeugen von HiServ läuft, bewegt sich gar nichts. »Das verbrennt Geld und verpestet die Luft«, erklärt der Geschäftsführer. Elektromotoren seien für die Flugzeugabfertigung einfach wirtschaftlicher. »Die Unterhaltskosten sind dramatisch günstiger.«

Das erklärt, warum die Wisag von ihren Kunden nicht etwa höhere Gebühren für eine Abfertigung verlangen muss, wenn sie klimaneutral arbeitet. Einen Preisunterschied, genauer gesagt, einen Preisaufschlag, gebe es da nicht. »Aber das ist eine gute Idee«, scherzt Wisag-Projektleiter Edwards unbefangen.

Wenn es so ist, müsste sich die klimaneutrale Abfertigung nach der Marktlogik quasi von allein durchsetzen – und das wird sie, ist HiServ-Chef Ückert überzeugt. In Norwegen, Schweden, Finnland und Dänemark sei das bereits Standard. Deutschland sei in dieser Hinsicht wie so oft der Zeit hinterher. Aber der Stuttgarter Flughafen sei schon weit vorn, und der BER habe zuletzt gut aufgeholt.

Technisch sei alles ausgereift. Für das kleine Rollband beispielsweise reiche eine herkömmliche Bleisäure-Batterie, wie sie auch in den meisten Gabelstaplern verbaut sei, sagt Ückert. Aufwendige Lithium-Ionen-Batterien benötige man dafür nicht. Das Förderband fahre ja auf dem Flughafen nicht viel herum, habe nur kurze Wege. »Wir können 100 Prozent elektrisch, wenn wir genug Ladeinfrastruktur haben«, versichert Ückert. Besonders in Südeuropa seien da die Airports leider noch limitiert.

Um 12.50 Uhr ist die Boing 737 der KLM fertig beladen, die Passagiere sind an Bord. Die Maschine hebt von der Startbahn ab und nimmt Kurs auf Amsterdam, wo zum Beispiel Anschluss nach Nord- und Lateinamerika besteht. Klimaneutrales, zum Beispiel vollelektrisches Fliegen, das gibt es noch nicht. Die dabei zu lösenden Schwierigkeiten sind äußerst knifflig. Vielleicht besteht auch eine andere Möglichkeit. Die Technische Universität in Cottbus tüftelt an einem Flugbenzin, bei dem ein mit Windstrom erzeugter Wasserstoff die Ausgangsbasis wäre. Aus Wasserstoff und CO2 lässt sich Methan herstellen, aus Methan Methanol. Und Methanol ist wie der herkömmliche Flugzeugtreibstoff Kerosin. Damit können große Passagiermaschinen fliegen. In 20 Jahren wird es möglich sein, ohne CO2-Ausstoß in den Urlaub zu fliegen, zeigte sich Professor Georg Möhlenkamp in Cottbus bei einer Demonstration des Forschungsstandes im August 2019 überzeugt.

Von damals gerechnet in 20 Jahren, das wäre 2039 – ein Jahr nach dem spätesten Termin für die Abschaltung des letzten Braunkohlekraftwerks in Deutschland und neun Jahre nachdem die Wisag Flugzeuge komplett klimaneutral abfertigt. In sieben Jahren geht Projektleiter Edwards in Rente. Er hofft, dass dieses Ziel der Wisag bis dahin erreicht ist.

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