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Berliner Regenwasser-Expertin: »Wir müssen an den Bestand ran«

Regenwasseragentur-Leiterin Darla Nickel über die Herausforderungen beim Umbau Berlins zur Schwammstadt

Der Grundwasserspiegel sinkt, zugleich sorgt Starkregen regelmäßig für Überschwemmungen in Berlin. Die Regenwasseragentur will Regenwasser als Ressource nutzen und nicht einfach in der Kanalisation verschwinden lassen. Wie soll das funktionieren?

Die Stadt muss nach und nach erheblich umgebaut werden, damit das Regenwasser weniger abgeleitet und stattdessen mehr vor Ort eingesetzt wird. Es gibt konkrete Vorgaben im Land Berlin: Wenn ein Grundstück entwickelt wird, wenn gebaut wird, dann ist es erforderlich, das Regenwasser vor Ort zu bewirtschaften.

Unsere Aufgabe liegt darin, Beratungsangebote zu machen. Wir vernetzen die Akteure, die gemeinsam daran arbeiten müssen, dass Flächen anders gestaltet werden, und wir fördern den Fachaustausch zwischen den Ämtern und den Berliner Wasserbetrieben. Auch außerhalb der Verwaltung müssen zum Beispiel Architekten und Planer beteiligt werden. Wir sind quasi Kümmerer, die sich dafür einsetzen, dass nichts fallen gelassen wird.

Wie sieht diese Vorgabe des Landes aus?

Das ist eine Vorgabe der Umweltverwaltung, die sogenannte Begrenzung von Regenwasser-Einleitungen bei Bauvorhaben, abgekürzt BReWa-BE. Und die besagt, dass nur so viel Wasser in die Kanalisation abgeleitet werden darf, wie vom Grundstück in nicht bebautem Zustand abfließen würde. Heute darf man bei Bauvorhaben gar nichts mehr in die Mischwasserkanalisation ableiten, die wir seit 150 Jahren in der Stadt haben und in der Regenwasser und Abwasser gemeinsam zum Klärwerk geleitet werden. Die BReWa-BE ist ein Gamechanger: Alleine über Begeisterung für das Thema und Sensibilisierung kommt man so schnell nicht voran.

Wenn es um die Regenwasser-Nutzung geht, fällt oft der Begriff Schwammstadt. Was ist das grundlegende Konzept dahinter?

Schwammstadt bedeutet im Prinzip, dass Regenwasser dort aufgefangen und einer sinnvollen Nutzung zugeführt wird, wo es fällt. Da gibt es ganz unterschiedliche Maßnahmen: Dach- und Fassadenbegrünung, die Versickerung von Regenwasser, Rückhaltung und Nutzung von Regenwasser. Wichtig ist auch die Entsiegelung von Flächen, damit weniger Regenwasser abfließt und mehr in den Boden gelangen kann. Auch das gezielte Leiten von Regenwasser zur Stadtvegetation, um diese zu versorgen, oder das technische Speichern von Wasser nicht nur auf den privaten Grundstücken, sondern auch im öffentlichen Raum, gehört dazu. Und auch die Versorgung von Kleinstgewässern mit Wasser, damit sie nicht austrocknen. All das kann man unter Schwammstadt verstehen.

Auf der anderen Seite gehört der Umgang mit Starkregen dazu: Retentions-, also Stauräume sowie Notwasserwege in der Stadt zu schaffen, sodass das Regenwasser bei Extremwetterereignissen gezielt und sicher versickert, verdunstet und gespeichert oder abgeleitet werden kann.

Der Sommer war ja ziemlich regenreich. Inwiefern konnte das viele Wasser genutzt werden?

Mit Blick auf das langjährige Mittel haben wir durchschnittlich viel Regen in diesem Jahr. Wir kommen aus fünf Jahren der Trockenheit heraus. Mit einem Regenjahr haben wir noch nicht den rückgehenden Grundwasserspiegel kompensiert, wir haben nach wie vor in den tieferen Bodenschichten Dürre. Und wenn es stark regnet, dann landet ein großer Teil in den Gewässern, wird schnell abgeleitet und bleibt nicht in der Stadt zurück. Schon allein, weil sie so stark versiegelt ist. Und wenn der Boden vorher trocken war, nimmt er nicht so viel Wasser auf, es rauscht quasi an der Oberfläche ab. Das heißt, ein Großteil des Wassers landet letztendlich in der Nordsee.

Welche Prioritäten müssen gesetzt werden, um Berlin im Großen und Ganzen an das Ideal der Schwammstadt heranzuführen?

In den letzten Jahren hat man sich sehr stark auf Quartiersentwicklung und Neubau fokussiert, weil in Berlin viel gebaut und dadurch auch viel versiegelt wird. Die Schwerpunkte der nächsten Jahre müssen eindeutig im bereits dicht bebauten und stark versiegelten innenstädtischen Bereich liegen. Denn da sind die Probleme, denen man mit der Schwammstadt begegnen möchte, am größten: Bei Starkregen fließt hier besonders viel Wasser in die Kanalisation ab und überlastet diese. An bis zu 60 Tagen im Jahr läuft die Mischwasserkanalisation in Berlin über und landet in der Spree und im Landwehrkanal, mit gravierenden Folgen für Flora und Fauna.

Bei Hitze und Trockenheit wiederum fehlen Grünflächen, und die Pflanzen werden schlecht versorgt. Um im innerstädtischen Bereich Lösungen zu finden, müssen wir an den Bestand ran. Einerseits sind das private Liegenschaften und Grundstücke der Wohnungsbauunternehmen. Andererseits ist das der öffentliche Raum. Dort ist es allerdings sehr schwierig, weil die Flächenkonkurrenz enorm ist.

Was sind denn die Probleme bei der Regenwasser-Bewirtschaftung im öffentlichen Raum?

Interview

Darla Nickel leitet die Berliner Regenwasseragentur seit ihrer Gründung im März 2018. Die promovierte Umwelttechnikerin war zuvor bei den Berliner Wasserbetrieben im Strategie­bereich für das Thema Regenwasser-Management zuständig und davor l­ange in der wissenschaftlichen Forschung in den Bereichen Wassermanagement und Klima­anpassung.

Die Berliner Regenwasseragentur ist eine gemeinsame Initiative des Landes Berlin und der Berliner Wasserbetriebe, um das Land bei der Bewirtschaftung von Regenwasser als Ressource zu unterstützen. Sie wird vom Land finanziert, ist aber mit ihrer Geschäftsstelle bei den Wasserbetrieben angesiedelt.

Die Anforderungen an den öffentlichen Raum sind groß. Auf den Straßen muss Platz sein für den sehr wichtigen Ausbau von Radwegen, für den Autoverkehr, die öffentlichen Verkehrsmittel und für sichere Fußwege. Die vorgegebenen Standards führen dazu, dass die Straßen tendenziell immer breiter und dadurch mehr Flächen versiegelt werden. Dazu kommen Parkplätze für Autos, Fahrradstellplätze, Aufenthaltsräume vor Cafés oder Ladezonen für den Lieferverkehr. Auch unterirdisch sind die Räume hart umkämpft. Die unterschiedlichen Leitungsnetze, die in der Stadt unter der Straße gebündelt werden, konkurrieren um Flächen. Man kann zum Beispiel eine Versickerungsanlage nicht einfach über anderen Leitungswegen planen. Auch der Denkmalschutz verhindert oftmals Maßnahmen der Klimaanpassung, wie beispielsweise überhaupt das Pflanzen von Bäumen.

Wäre die autofreie Innenstadt eine Lösung für diesen Platzmangel?

Ich halte es nicht für förderlich, den Frontalangriff zu fahren und zu sagen, Regenwasser-Management versus Autoverkehr und erst recht nicht versus Fahrradverkehr. Aber all diese Nutzungen nebeneinander führen dazu, dass wir momentan wenig Erfolg haben im öffentlichen Raum. Ohne veränderte Mobilität wird man nicht erfolgreich sein mit der wassersensiblen Stadtentwicklung. Wir sollten uns zum Beispiel weiter mit dem Konzept der Kiezblock-Initiativen beschäftigen. Dort denkt man teilräumlich und sagt, dass in einem Straßenzug zum Beispiel Fahrräder den Vorrang haben, in einem anderen Autos und in einem dritten wiederum die Menschen. Dann gestaltet man eher parallel zueinander bestimmte Räume, anstatt zu versuchen, in einem Straßenraum alles unterzubringen.

Das klingt nach viel zu tun. Gibt es auch konkrete Positivbeispiele aus den letzten Jahren?

Derzeit sind die Buckower Felder, ein Quartier am Neuköllner Stadtrand, in Realisierung. Für das gesamte Quartier gibt es einen dezentralen Regenwasser-Ansatz. Das Regenwasser von den Straßen wird in unterschiedlichen Maßnahmen vor Ort bewirtschaftet, zum Beispiel über Mulden oder Baumrigolen. Baumrigolen sind nichts anderes als Baumstandorte und Versickerungsstandorte, die kombiniert sind und eine bessere Versorgung der Vegetation zum Ziel haben. Ebenso zum Einsatz kommen Tiefbeete, das sind im Prinzip auch Versickerungsmulden. Ein Teil des Wassers läuft aber auch kaskadenartig zu einer zentralen Grünfläche ab, und dort werden sogenannte Urban Wetlands realisiert, also städtische Feuchtgebiete. Das Wasser kann dort über einen längeren Zeitraum stehen, weil die Flächen entsprechend bepflanzt sind, das ist biodiversitätsfördernd und sehr attraktiv. Man hat viel Hirnschmalz in die Entwicklung der Buckower Felder investiert.

Ähnliche Konzepte werden beispielsweise für Neu-Lichterfelde entwickelt, für das Schumacher-Quartier und weitere neue Standorte, die derzeit entstehen. Im Bestand werden zum Beispiel der Gendarmenmarkt, der Platz der Luftbrücke sowie das Marx-Engels- und das Rathausforum vorm Roten Rathaus von der Grün Berlin GmbH mit Unterstützung der Berliner Wasserbetriebe im Sinne der Schwammstadt umgestaltet. Und es gibt weitere Straßen und Plätze, wo man erfolgreich durch Versickerung nennenswerte Flächen von der Kanalisation abkoppelt.

Sie arbeiten eng mit Bauunternehmen und politischen Akteur*innen zusammen. Welche Konflikte treten auf der politischen Ebene auf?

Es ist schwer, die Tragweite der notwendigen Veränderungen zu vermitteln. Es besteht ein Konflikt zwischen den kurzen Zeiträumen der Politik innerhalb der Legislaturperioden und dem Wunsch, Erfolge schnell zu sehen, auf der einen Seite und den Zeiträumen, die erforderlich sind, um eine Stadt zu planen und umzubauen. Und es ist schwer zu greifen, was uns das kosten wird. Das sind schwindelerregende Summen, wenn man das zusammenzählt. Aber die Kosten für die Schwammstadt ersetzen Kosten an anderer Stelle, zum Beispiel bei Überflutungsschäden und zur Überflutungsvorsorge. Sie tragen zur Biodiversität bei, ersetzen Investitionen im Bereich der öffentlichen Kanalisation und den Aufwand für den Gewässerschutz. Die Schwammstadt ist volkswirtschaftlich betrachtet die sinnvollste Maßnahme.

Wir müssen aber auch den Klimaschutz und ganz andere Themen wie die Digitalisierung voranbringen. Und Geld ist nicht endlos da. Klar ist aber, wenn wir nicht investieren, werden die Kosten des Nichthandelns in Zukunft größer sein. Wir erfahren aus allen großen Parteien in Berlin und auch aus den Bezirken Unterstützung für unsere Aufgabe. Aber es gibt eben nicht immer die richtige Vorstellung davon, wie schnell man das umsetzen könnte, was das einspart beziehungsweise kostet und was leistbar ist.

Wie schätzen Sie die aktuelle Entwicklung bei der Ver- beziehungsweise Entsiegelung in Berlin ein?

Zur tatsächlichen Versiegelung der Stadt gibt es keine zu 100 Prozent zuverlässigen Daten. Aktuell arbeiten wir mit 23 Jahre alten Daten aus einer damaligen Überfliegung aller Grundstücke. Die Eigentümer hätten zwar alle Änderungen seitdem angeben müssen, aber bei einer neuen Überfliegung haben wir festgestellt, dass viele Daten nicht stimmen. Wir arbeiten aktuell daran, die Daten zu aktualisieren. Daneben gibt es aus Satellitendaten abgeleitete Flächenangaben für die Versiegelung der Stadt.

Meines Erachtens nimmt die Versiegelung weiterhin zu, das ist aber auch naheliegend. Die Umsetzung der Schwammstadt sagt ja nicht per se, dass die Versiegelung de facto abnimmt. Wenn ein Baugrundstück entwickelt wird, ist es möglich, mit einer Maßnahmenkombination das Regenwasser komplett vor Ort zurückzuhalten, und trotzdem nimmt die Versiegelung zu. Berlin hat sich aber auch vorgenommen, bis 2030 eine Netto-Null-Versiegelung zu erreichen, und sicher wird der Zuwachs der Versiegelung durch die Einleitbegrenzung für Regenwasser ausgebremst.

Was können Berliner*innen dazu beitragen, das Regenwasser nicht ungenutzt wegfließen zu lassen? Mir würde einfallen, ab und zu mal ein paar Pflastersteine rauszureißen, aber wäre das tatsächlich eine sinnvolle Maßnahme?

Solche Guerilla-Aktionen kann ich nicht offiziell empfehlen. (lacht) Doch wir überlegen aktuell, in Zusammenarbeit mit den Bezirken und der Bürgerschaft Tage der Entsiegelung zu veranstalten, wo genau das gemacht wird – aber auf geordnete Art und Weise an den richtigen Standorten, sodass es auch nachhaltig ist. Natürlich können sich auch Mieter in der Stadt zusammentun und Hofbegrünungsprojekte angehen. Sie müssen dann mit den Liegenschaftsverwaltern oder mit den Besitzern ins Gespräch gehen. Und sie sind ja auch die wählende Masse und entscheiden darüber, wofür öffentliche Räume genutzt werden.

Also es gibt verschiedene Rollen für die Berliner, aber ich denke, die wichtigste ist, dass sie sich vor Ort, dort, wo sie wohnen, dafür starkmachen, dass Flächen entsiegelt werden und das Regenwasser genutzt wird. Dass zum Beispiel Zisternen und Tonnen aufgestellt werden, dass Flächen begrünt werden. Vor Kurzem erst ist es einer privaten Initiative mithilfe des ehrenamtlichen Projekts »Die Wassertanke« in Charlottenburg-Wilmersdorf gelungen, Regentonnen im öffentlichen Straßenraum aufzustellen. Das war wegweisend, denn durch diese Initiative fand die erforderliche Abstimmung mit dem Bezirksamt statt, was eigentlich alles erfüllt sein muss, damit es möglich ist, solche Tonnen aufzustellen und Regenwasser aus dem Fallrohr zu sammeln.

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