Deutlich mehr Suizide im Knast

Intelligente Videoüberwachung soll »Suizidvorhaben« erkennen

Im Jahr 2019 starben in deutschen Justizvollzugsanstalten 144 Menschen, 2021 waren es bereits 182. Ein ähnlicher Anstieg zeigt sich bei den in den Zahlen enthaltenen Suiziden: Diese stiegen von 77 auf 92 Fälle. Das geht aus der Antwort der Bundesregierung auf eine jährlich eingereichte Kleine Anfrage der Linksfraktion hervor.

Die meisten Suizide in den drei Corona-Jahren ereigneten sich der Antwort zufolge in Untersuchungshaft (45 Prozent). An zweiter Stelle stehen Suizide während einer Freiheitsstrafe (39 Prozent). In 29 Fällen waren Menschen betroffen, die eine Ersatzfreiheitsstrafe absitzen mussten (10 Prozent).

Insgesamt sind in den Jahren von 1998 bis 2021 in deutschen Knästen weit mehr als 3000 Menschen gestorben, die Hälfte davon waren Suizide. 2017 war diese Zahl mit 82 auf dem Höchststand.

Angaben zu Todesfällen in Haft werden in der jährlichen Strafvollzugsstatistik erfasst, Informationen dazu stammen von den Ländern. Dem Bundesministerium der Justiz liegen diese nach eigener Aussage nur bis zum Berichtsjahr 2021 vor. Eine ähnliche Statistik führt jedoch der Kriminologische Dienst in Sachsen, von dort wird der drastische Anstieg der Suizidrate bestätigt. Für das Jahr 2022 verzeichnet die bundesweite Zählung aus Sachsen 79 Suizide.

Die Statistik aus Sachsen enthält weitere Angaben zu den Verstorbenen, darunter zum Alter, zur Staatsangehörigkeit oder zur Dauer der Inhaftierung vor dem Suizid. Bis zu 50 Prozent der Toten hatten demnach keine deutsche Staatsbürgerschaft. Die meisten von ihnen gehörten zur Gruppe der 24 bis 40 Jahre alten Personen.

Eine in Deutschland im vergangenen Jahr gestiegene Zahl der Suizide meldet auch die Nationalen Stelle zur Verhütung von Folter. In einem Bericht der Stelle heißt es, dass immer mehr Gefangene entsprechende Gedanken äußerten. Auch würden immer öfter unbehandelte psychische Störungen und Erkrankungen festgestellt. Beide Faktoren führten dann häufiger zur Unterbringung in einem »besonders gesicherten Haftraum«, so der Bericht.

Jedoch sei das Auftreten behandlungsbedürftiger Krankheiten »für sich in seiner Obhut befindlichen Personen« nicht vermeidbar, schreibt das Justizministerium in der Antwort auf die Anfrage. Gleichzeitig weist die Bundesregierung jede Verantwortung von sich: Der Vollzug von freiheitsentziehenden Strafen und Maßregeln gehöre zu den Aufgaben der Länder, dem Bund komme hier nicht einmal eine Aufsichtsfunktion zu.

Als »Instrument der Suizidverhinderung« testet das Justizministerium derzeit eine Anwendung zur automatisierten Analyse von Bildern aus der Videoüberwachung. Es soll Situationen erkennen, die auf ein Suizidvorhaben hindeuten. Noch läuft die Technik aber nicht zuverlässig, der Fortgang des Projekts sei deshalb fraglich, heißt es in der Antwort. Zur Begründung heißt es, das System sei noch nicht hinreichend mit Daten von Suiziden gespeist worden.

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