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Krise der Gastronomie: Demagogie mit der Mehrwertsteuer
Umsatzrückgang, Gasthaussterben und alternde Gesellschaft belasten die Gastronomie
Eine erhöhte Mehrwertsteuer auf Speisen in der Gastronomie lehnen mehr als zwei Drittel von 2000 Befragten ab. Das geht aus einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Insa hervor, die der Deutsche Hotel- und Gaststättenverbandes (Dehoga) am Dienstag in Berlin vorstellte. Die Umfrage bestätigt die Ergebnisse der jüngsten Branchenumfrage des Lobbyverbandes, wonach eine mögliche Steuererhöhung zu Rückgängen bei Gästen und Umsätzen führen würde. »Es ist erfreulich, dass unser zentrales Branchenanliegen nach Beibehaltung der 7-Prozent-Mehrwertsteuer ein so klares Votum aus der Bevölkerung bekommt«, freute sich Dehoga-Präsident Guido Zöllick.
Branchenkenner sehen freilich andere Probleme im Vordergrund stehen. »Uns geht es wie den Bäckern: Wenn andere Leute schlafen oder Freizeit haben, arbeiten wir«, erzählt ein Hamburger Gastronom. Montagmorgens Frühstück servieren, um Mitternacht Cocktails schütteln oder am Sonntag Hochzeitssuppe und Lachs auf Spinat zuzubereiten, sei nun mal nicht jedermanns Sache.
Angesichts allgemeinen Fachkräftemangels tun sich viele Gastronomen schwer, die normalerweise üblichen Öffnungszeiten einzuhalten. Dabei fehlen weniger Spitzenköche als sogenannte Handlanger, die ihr Handwerk verstehen, Pizza backen oder Schnitzel braten. Außerdem braucht es Bedienungen, die zwar nicht unbedingt eine dreijährige Kellnerausbildung besitzen müssen, aber wenigstens hinreichend freundlich und geschickt ihrer Arbeit nachgehen. Viele Gastro-Betriebe setzen notgedrungen auf Schüler und Studierende. Was einerseits die Qualität des Services in Frage stellt – offenbar ein Grund, warum viele Lokale über mangelnde Kundschaft klagen –, anderseits aber die Lohnkosten drückt.
»Für unsere Betriebe war es bereits vor der Coronakrise immer schwieriger geworden, Fachkräfte und Auszubildende zu finden«, so Dehoga-Chef Zöllick. »Gründe hierfür sind insbesondere auch der demografische Wandel und die zunehmende Studierneigung junger Leute.« Gespräche mit Beschäftigten und Gastronomen zeigen aber auch: Unternehmen, die anständige Arbeitsbedingungen bieten, einen netten Umgang in der Belegschaft pflegen und gute Löhne (plus Trinkgelder) bieten, haben in den Metropolen kaum Probleme.
Dies bieten größere Betriebe wie Kantinen und Restaurantketten, die sich hohe Mieten in zentralen Lagen leisten können, nur selten. Sie haben aber Größenvorteile, was zumindest Personalmanagement und das Erzielen von Gewinnen erleichtert.
Wieder anders sieht es auf dem flachen Land und in den Bergen aus. Weite Distanzen zwischen Wohnort und Arbeitsplatz erschweren es, ausreichend Personal zu finden. Und auch Gäste scheuen zunehmend lange Anfahrten. So bleiben vielen Gastronomen nur wenige Spitzenzeiten wie Wochenenden, an denen der Rubel rollt.
Eine Sonderauswertung des Statistischen Landesamtes ergab, dass 189 Städte und Gemeinden in Baden-Württemberg weniger als einen gastronomischen Profibetrieb je 1000 Einwohner aufweisen. Vor fünf Jahren waren es lediglich 114 Kommunen gewesen. »Dass es im ländlichen Raum immer weniger geöffnete Gasthäuser gibt, ist ein ernstes Problem – nicht nur für die Tourismuswirtschaft im Land, sondern auch für die Lebensqualität und das soziale Miteinander in Dörfern und kleinen Gemeinden«, sagte der Dehoga-Vorsitzende im Südwesten, Fritz Engelhardt, dem »Markgräfler Tagblatt«.
Im Zuge der Corona-Pandemie hatte die Gastronomie deutlich an Personal verloren. Im Jahr 2022 nahm die Zahl der Beschäftigten zwar wieder zu, lag aber noch weit unter dem Vor-Corona-Niveau. »Und die Leute kommen nicht zurück«, sind Wirte überzeugt. Sie seien in andere Branchen mit günstigeren Arbeitsbedingungen abgewandert. Oder die früheren Beschäftigten hätten sich ein für allemal dem stressigen Gastro-Alltag entwöhnt, wird im örtlichen Café ebenso wie im Restaurant des kleinen Harzortes geklagt.
»In der Gastronomie wird nach wie vor ein großer Teil der abhängig Beschäftigten geringfügig entlohnt«, so das Statistische Bundesamt. Im Jahr 2021, jüngere Zahlen liegen nicht vor, war es mehr als ein Drittel. Auf den ersten Blick geht es wieder aufwärts. Die Umsätze verzeichneten von Januar bis Juni ein nominales Plus von 11,6 Prozent gegenüber dem ersten Halbjahr 2022. Real, also preisbereinigt, waren es aber nur 1,2 Prozent. Die Differenz zwischen nominalen und realen Ergebnissen spiegelt das langfristig deutlich gestiegene Preisniveau im Gastgewerbe wider, zu dem unter anderem die steigenden Preise für Lebensmittel, Personal und Energie beigetragen haben dürften.
Gegenüber dem Vorkrisenniveau weist die Halbjahresbilanz 2023 der Gastronomie sogar einen Rückgang von real 12,0 Prozent auf. Dagegen haben Hotels und Beherbergungsunternehmen fast wieder das Vorkrisenniveau erreicht. Sie verzeichneten in den ersten sechs Monaten des Jahres 2023 einen Umsatzzuwachs von real 17,6 Prozent. Fazit der Statistiker: Die Deutschen reisen zwar wieder oft, sparen aber weiterhin beim auswärtigen Essen und Feiern.
Ob angesichts der vielfältigen Probleme der Branche eine Fortschreibung der Mehrwertsteuersenkung etwas ändern wird, muss allerdings bezweifelt werden. Die Umsatzsteuer auf Speisen war während der Corona-Pandemie von 19 auf 7 Prozent gesenkt worden. Angesichts der Energiekrise wurde die Maßnahme bis Ende 2023 gestreckt. Einer Verlängerung der jetzigen Regelung müssten der Bundestag und auch die Länder im Bundesrat zustimmen. Die Zeche würden dann die Steuerpflichtigen zahlen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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