Guten Tag, Herr Landrat!

Zeuthens Bürgermeister Sven Herzberger kandidiert bei der Landratswahl in Dahme-Spreewald

Sven Herzberger (parteilos) könnte der erste Landrat von Dahme-Spreewald werden, der nicht der SPD angehört.
Sven Herzberger (parteilos) könnte der erste Landrat von Dahme-Spreewald werden, der nicht der SPD angehört.

Vor acht Jahren saß Landrat Stephan Loge (SPD) im Rathaussaal von Königs Wusterhausen. Die »Märkische Allgemeine Zeitung« (MAZ) veranstaltete schon damals eine Gesprächsrunde mit den Kandidaten für die Landratswahl in Dahme-Spreewald und ließ sie aus dem Gedächtnis das Wappen des Landkreises mit Adler, Stier und Königskrone zeichnen.

2015 wurde Loge von den Bürgern gleich im ersten Wahlgang mit 52,6 Prozent für weitere acht Jahre zum Landrat gewählt. Er setzte sich gegen drei Mitbewerber durch, von denen Jens Birger Lange (AfD) mit 22,9 Prozent ein Achtungszeichen setzte. Schließlich war die AfD erst 2013 gegründet worden und im September 2014 schon mit 12,2 Prozent in den Landtag eingezogen. Bei der Landtagswahl 2019 waren es dann 23,5 Prozent und inzwischen kratzt die AfD in den Umfragen an der 30-Prozent-Marke. Das Ergebnis des bis dahin völlig unbekannten Jens Birger Lange war eine Etappe beim Aufstieg seiner Partei.

Jetzt schickt die AfD ihren Bundestagsabgeordneten Steffen Kotré in die Landratswahl. Er sitzt am Dienstagabend im Rathaussaal von Königs Wusterhausen und muss nicht das Wappen von Dahme-Spreewald malen. Die MAZ hat sich einen anderen Test ausgedacht. Die drei Kandidaten sollen auf Sorbisch »Guten Tag« sagen. Denn im Süden des langgestreckten Landkreises leben Angehörige der kleinen slawischen Minderheit der Sorben. Landrat Loge sitzt hinten im Saal und muss sich dieser Sprachprüfung nicht unterziehen. Er kandidiert nicht noch einmal. Doch seine Stellvertreterin Susanne Rieckhof (SPD), die seine Nachfolgerin werden will, sagt beinahe perfekt: »Dobry dźeń.«

Es klingt ein bisschen nach der obersorbischen Variante, die in Sachsen gebräuchlich ist. Bei dem in Brandenburg gesprochenen Niedersorbisch würde es »Dobry źeń« heißen. Doch AfD-Kandidat Steffen Kotré bekommt es nicht besser hin, und der parteilose Landratskandidat Sven Herzberger muss passen. Dieser hat zwar für das Siedlungsgebiet der Sorben Wahlplakate mit sorbischen Aufschriften herstellen lassen. Was aber »Guten Tag« heißen könnte, fällt ihm nicht ein, als er von den Redakteuren Ekkehard Freytag und Oliver Fischer befragt wird.

Als Herzberger erfährt, dass es »Dobry źeń« heißt, muss er schmunzeln. »Das ist ja einfach!« Schließlich klingt es wie in anderen slawischen Sprachen auch. So oder so ähnlich begrüßen sich beispielsweise auch Polen, Tschechen, Bulgaren, Serben und Kroaten. Auf Russisch heißt es »Dobryj Den« – und das weiß jeder, der wie Herzberger in der DDR zur Schule ging, weil Russisch dort zu den Pflichtfächern gehörte. Herzberger kam 1969 in Strausberg zur Welt. Er ließ sich zum Unterstufenlehrer ausbilden und unterrichtete Musik. Dann studierte er Jura und arbeitete erst als leitender Angestellter bei einem Kaufhauskonzern und dann als Rechtsanwalt. Seit 2017 ist Herzberger Bürgermeister von Zeuthen.

Jetzt will er am 8. Oktober Landrat werden. Die Linke, die CDU, die FDP, die Freien Wähler und die Unabhängige Bürgerliste unterstützen ihn. Zwar haben CDU und FDP sogenannte Unvereinbarkeitsbeschlüsse. Koalitionen mit der Linken sind bei CDU und FDP damit untersagt. Aber das hier ist keine Koalition. Jede der Parteien beschloss für sich, das Programm von Herzberger mitzutragen. Bislang scheint die SPD den Landratsposten in Dahme-Spreewald gepachtet zu haben. Sie besetzt ihn seit drei Jahrzehnten. Mit Herzberger würde erstmals jemand Landrat, der nicht der SPD angehört. Mit Susanne Rieckhof dagegen würde erstmals eine Frau an der Spitze des Landkreises stehen – und sie meint, das wäre an der Zeit. Die bisherige Vizelandrätin Rieckhof wurde 1963 in Nordrhein-Westfalen geboren. Ihre Mutter kam aus Ostberlin dorthin. In Ostberlin wurde auch Steffen Kotré geboren, im Jahr 1971. Er lernte Elektromonteur mit Abitur, leistete 1990 Zivildienst an der Berliner Universitätsklinik Charité und studierte Wirtschaftsingenieurwesen. Er gehörte einer Studentenverbindung an, war dann ab 1998 Unternehmensberater. Im September 2013, sieben Monate nach der Gründung der Partei, trat er in die AfD ein.

Am Dienstagabend gibt Kotré die üblichen AfD-Parolen von sich: »Ausländer sind überdurchschnittlich kriminell«, »die Energiewende ist gescheitert«. Wenn es als Landrat in seiner Macht stünde, ein Gebäude abzureißen, dann wäre das »die Abteilung für Migration«. Mit Unmutsäußerungen aus dem Publikum bekommt er die Quittung für solches Gerede. Kotré wird dem inzwischen offiziell aufgelösten völkischen Flügel der AfD um Björn Höcke zugerechnet. Er behauptet aber: »Rechts oder links ist, glaube ich, keine Frage mehr.« Als er das sagt, lacht das Publikum. Es ist zu offensichtlich, dass Kotré weit rechts steht.

Verheiratet ist der Bundestagsabgeordnete mit der Landtagsabgeordneten Lena Kotré. Die liefert ihm auch die Rechtfertigung, warum er nicht in Dahme-Spreewald lebt, sondern ein ganzes Stück weg in Dallgow-Döberitz im Havelland, wo seine Frau ihre Eltern habe. Früher habe er aber in Dahme-Spreewald gewohnt, sagt er. Dort ist er auch AfD-Kreisvorsitzender.

Kotré ist von kräftiger Statur mit leicht nach vorn hängenden Schultern. Wenn er sich auf seinem Stuhl bewegt, wirkt er verspannt, weil er seinen Oberkörper immer gerade hält. Dagegen macht Herzberger einen entspannten Eindruck. Gemütlich verschränkt Herzberger die Hände vor seinem dicken Bauch und macht noch Witze über seine Figur. Was seine größte Schwäche sei, könne jeder sehen: »Ich gehe gerne ins Restaurant.« Verheiratet ist Herzberger mit einem Mann, der am Dienstag in der zweiten Reihe unter den Zuhörern sitzt und Beifall spendet, wenn sein Partner eine Sache auf den Punkt bringt. Zum Beispiel würde Herzberger überhaupt kein Gebäude abreißen, sondern desolate Häuser sanieren, was Ressourcen schont. Angesichts der Klimakrise sei dies angebracht, argumentiert er.

Die Aufnahme von Flüchtlingen sei für den Landkreis eine »Pflichtaufgabe nach Weisung«, stellt Herzberger klar. »Die Menschen, die vor Krieg und Verfolgung flüchten, für die müssen wir Platz haben.« Wichtig wäre es Herzberger, die Geflüchteten »so wenig wie möglich in Massenunterkünften unterzubringen«, weil das die Integration erschwere.

Auch Vizelandrätin Rieckhof begegnet der Panikmache von Kotré mit sachlicher Aufklärung. Die Ankunft von 1700 Flüchtlingen sei dem Landkreis für das laufende Jahr vorhergesagt worden. Inzwischen sei die Prognose auf 1500 abgesenkt. Tatsächlich angekommen sei bislang erst eine dreistellige Zahl.

Knifflig wird es für Rieckhof, als sie nach dem Wahrheitsgehalt eines Gerüchts gefragt wird: Im Biogarten von Prieros war eine Veranstaltung der CDU mit Sven Herzberger angesetzt. Rieckhof soll einen Tag vorher angerufen und die Absage des Termins gefordert haben. Andernfalls würden dem Biogarten die Fördermittel des Landkreises entzogen, soll sie gedroht haben. »Das ist nicht richtig«, beteuert Rieckhof. Weil ihre Antwort nicht zufriedenstellt, wird noch zweimal nachgehakt. Dass sie mit dem Biogarten telefoniert hat, gibt Rieckhof zu. Sie verweist auch verschnupft darauf, dass der Biogarten politisch neutral sein müsste. Eine politische Veranstaltung habe es dort vorher niemals gegeben.

Der Landtagsabgeordnete und CDU-Kreisvorsitzende Björn Lakenmacher zückt sein Mobiltelefon und filmt die Szene, um festzuhalten, was Rieckhof zu der Anschuldigung sagt. »Sie eiert ganz schön rum«, bemerkt er. Herzbergers Ehemann sitzt neben Lakenmacher und filmt ebenfalls. Man kennt sich. Lakenmacher war bei Herzbergers Hochzeit zu Gast.

Den AfD-Kandidaten Kotré darf man keinesfalls unterschätzen. Am Dienstagabend kann er zwar kaum jemanden von sich überzeugen. Aber was heißt das schon? Kompetenz ist bei der AfD nicht erforderlich. Über Ausländer und die »Altparteien« schimpfen, das genügt völlig. Im Juni gewann Robert Sesselmann (AfD) die Landratswahl im thüringischen Sonneberg und im Mai hätte Rainer Galla (AfD) beinahe die Landratswahl im brandenburgischen Landkreis Oder-Spree für sich entschieden. Man sollte Kotré auf der Rechnung haben.

Eigentlich aber geht es am 8. Oktober um die Frage, ob die Wähler Rieckhof oder Herzberger mehr zutrauen. Sie habe hunderte Schulplätze geschaffen, lobt sich die in der Kreisverwaltung für die Bildung zuständige Rieckhof. Herzberger würde als Landrat eine neue Oberschule und ein Ausbildungszentrum für das Handwerk bauen und nicht noch ein weiteres Gymnasium. In seiner Zeit als Bürgermeister in Zeuthen sei die Kita »Rappelkiste« neu gebaut und die Kita »Räuberhöhle« saniert worden, sagt er. Eine Warteliste für einen Kitaplatz gebe es nicht in seiner Gemeinde – und das will etwas heißen.

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