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Greenpeace-Doku: Fronteinsatz in der Aufmerksamkeitsökonomie

Die Doku »Inside Greenpeace« folgt der Umweltschutzorganisation 52 Jahre durch diverse Hotspots unserer Gewissenlosigkeit

  • Jan Freitag
  • Lesedauer: 4 Min.
Ex-Chefin Jennifer Morgan vor dem Greenpeace Eisbrecher Arctic Sunrise, der auch bei der neuen Dokuserie auf einem großen Einsatz begleitet wird.
Ex-Chefin Jennifer Morgan vor dem Greenpeace Eisbrecher Arctic Sunrise, der auch bei der neuen Dokuserie auf einem großen Einsatz begleitet wird.

Phytoplankton, griechisch für umherirrende Pflanzen, Sauerstoffproduzent, Nahrungskettenbasis, Kohlenstoffspeicher: nie gehört, gesehen, gespürt? Paul Watson schon. Wenngleich viel zu selten. Seit 2015, sagt die Naturschutzlegende, »ist sein Bestand um 40 Prozent zurückgegangen«. Klingt im Angesicht des globalen Artensterbens beiläufig, ist für Menschen aber ähnlich zentral wie für eine Doku-Serie, die sich Watsons Baby widmet wie keine zuvor.

Gut 50 Jahre nachdem der Kanadier das erste Schiff einer jungen Umweltorganisation ins Beringmeer steuerte, um einen Atomtest zu verhindern, zeigt der deutsche Regisseur Florian Nöthe in »Inside Greenpeace«, was die titelgebende NGO seit Watsons Kaperfahrt bewegen konnte. Vor allem aber leider: was nicht. Beachtlich ist beides. Weil letzteres jedoch ungleich beachtlicher ist, droht ersteres zügig belanglos zu werden.

Schließlich ist Phytoplankton nicht das Einzige, was die aggressiv-expansive Art der Gattung Homo seit Beginn ihrer Industrialisierung zu vernichten droht. Fünf schwer verdauliche, trotzdem erbauliche Folgen lang nimmt Nöthe die Zuschauer mit ins Herz der Finsternis globaler Umweltzerstörung. Jeweils 55 Minuten stößt er uns gewissermaßen in die Arme der eigenen Sorglosigkeit. »Inside Greenpeace« wäre demnach ein fünfeinhalbstündiger Selbsterfahrungstrip, den nur Sadomaso- und Horrorfilmfans ertragen.

Wäre da nicht dieser trotzige Subtext. Denn die Serie beschränkt sich keineswegs auf historische Aufnahmen einer unermüdlichen Kassandra, die parallel zum Club of Rome, den Grünen oder der »Taz« schon früh das Ende des turbokapitalistischen (Selbst-)Ausbeutungsirrsinns forderte. Stattdessen gibt sie der Widerstandskraft Gesichter. Genau genommen: sieben. So viele Greenpeace-Aktivistinnen und Aktivisten hat Kameramann Jakob Fuhr ein Jahr lang durch 17 Länder in verschiedenen Stadien der Naturzerstörung begleitet.

Mit ruhiger Hand, die selbst der lächerlich aufgeplusterte Soundtrack von Sebastian Fillenberg und Marvin Miller selten zum Zittern bringt, porträtiert er unermüdliche Weltverbesserer, denen die wachsende Aussichtslosigkeit alles Mögliche verhagelt, aber nicht die Moral. Es sind somit sieben Beispiele von Mut, Willen und Ausdauer, mit denen der Planet womöglich doch noch lebenswert bleiben könnte.

Sie heißen Silvia Pastorelli und John Hocevar, Awa Traoré oder Bianca Cavalcante da Silva, stammen aus Italien und den USA, Senegal oder Brasilien und bäumen sich an den Hotspots der Katastrophe gegen übermächtige Feinde auf. Kein Wunder, dass die einzelnen Kapitel Titel wie »David gegen Goliath« tragen. In dem Fall etwa: Jennifer Morgan gegen Shell. Zu Beginn der Serie sehen wir die Deutsch-Amerikanerin daher bei einer Premiere.

Nach jahrzehntelanger Festlandarbeit in den Netzwerken der ökologischen Weltbewegung geht sie erstmals an Bord eines der ikonischen Schiffe mit Namen, ach was: Labels von »Rainbow Warrior« bis »Arctic Sunrise«. Ziel: eine Raffinerie des britischen Öl-Konzerns im Rotterdamer Hafen zu blockieren. Durchsetzt von Bildern historischer Einsätze, die Nöthes Team aus 18 000 Bändern der Greenpeace-Archive ziehen durfte, zeigt Morgans Debüt also gleich mal, worum es der Organisation und ihrer Dokumentation geht.

Wenn sie ihren Fronteinsatz, Medienrummel plus Verhaftung inklusive »berauschend und befreiend zugleich« nennt, wird die heikle Kombination aus Ethos und PR, Opferbereitschaft und Sendungsbewusstsein deutlich, mit der Greenpeace zur wirkmächtigsten Non-Profit-Organisation neben Ärzte ohne Grenzen oder Amnesty International wachsen konnte. Nun könnte so viel Markenbewusstsein den Edelmut der grünen Ritter durchaus trüben.

Obwohl die Serie den Spendenskandal thematisiert, der 2014 allein hierzulande 7400 Förderer kostete, macht sie Engagement in der Aufmerksamkeitsökonomie nicht nur spürbar, sondern glaubhaft. Wenn sich der ewige Aktivist Christian Bussau norddeutsch schnodderig erinnert, wie er 1995 die Versenkung der Shell-Bohrinsel »Brent Spar« verhinderte und Greenpeace so zum Global Nichtregierungsplayer machte, wirkt es bis in seine grauen Haare haltungsgetrieben. Diese Überzeugung prägt alle Reportagen, mit denen uns Sky von Rotterdam übers Amazonasgebiet bis nach Tschernobyl durch Höllen der Gewissenlosigkeit geleitet.

Dass die grüne Friedensflotte dabei in den Schatten frischer Bewegungen wie Fridays for Future oder Extinction Rebellion gerät, räumt Greenpeace dabei ein. Aber wie sagt Friedensnobelpreisträger Al Gore: »Sie beherrschen das Spiel im Inneren der Verhandlungsräume wie als Aktivisten da draußen.« Die Untertitelfrage »Was braucht es, um die Welt zu retten?« kennt daher nur eine: Greenpeace. Allerdings leider hoch zehn.

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