António Guterres: »Schandfleck für die Menschheit«

UN-Generalsekretär António Guterres schlägt auf Nachhaltigkeitsgipfel wegen Hunger Alarm

  • Martin Ling
  • Lesedauer: 4 Min.

Die 193 Mitgliedstaaten der UN stehen zu ihrem Wort. Sie bekräftigten in New York am Montag ihre 17 im Jahr 2015 beschlossenen Ziele für eine nachhaltige Entwicklung (SDG – Sustainable Development Goals), von denen bisher nur 15 Prozent ausreichend erfüllt sind. Die UN hatten sich vor acht Jahren unter anderem vorgenommen, Hunger und extreme Armut bis 2030 zu beenden, Bildungschancen zu verbessern, die Strom- und Wasserversorgung auszubauen sowie Ungleichheit und Unterdrückung zu vermindern. Doch die Corona-Pandemie, der Ukraine-Krieg und eine Schuldenkrise in armen Ländern haben zu einem extremen Rückstand auf die Ziele gesorgt: Wenn es so weitergeht wie bisher, werden im Jahr 2030 laut UN noch immer 575 Millionen Menschen in großer Armut und mehr als 600 Millionen in Hunger leben.

UN-Generalsekretär António Guterres schlug nun auf dem Gipfel Alarm. »In unserer Welt des Überflusses ist Hunger ein schockierender Schandfleck für die Menschheit und eine epische Menschenrechtsverletzung«, betonte er. Er forderte auch die Verbesserung der weltweiten Bildungschancen und ein Ende des »Krieges gegen die Natur« unter anderem durch die Erderhitzung.

Guterres trat für eine Reform des Finanzsystems ein, um armen Ländern günstigere Kredite gewähren zu können. Es brauche dringend eine Neugestaltung der »veralteten, dysfunktionalen und unfairen« Struktur, damit Entwicklungsländer besseren Zugang zu günstigen Krediten bekämen.

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Die UN fordern einen SDG-Stimulus von mindestens 500 Milliarden US-Dollar jährlich und eine Schuldenstruktur, die Zahlungsaussetzungen, längere Kreditlaufzeiten und niedrigere Zinsen erlaubt. Zugeständnisse der Industrienationen scheinen vor dem Hintergrund möglich, dass der Westen mit China und Russland zunehmend um die Gunst der Entwicklungsländer buhlt. Wer 500 Milliarden US-Dollar für utopisch hält, sollte sich vor Augen führen, dass sich laut der Schätzung des Internationalen Währungsfonds die Gesamtkosten einer Krise wie Covid-19 auf 14 Billionen Dollar bis 2024 belaufen. Das zeigt, dass Investitionen in Gesundheitssysteme, epidemiologische Überwachung, Zugang zu Arzneimitteln oder die Stärkung von Koordinierungsmechanismen wie es die Agenda 2030 vorsieht, unterm Strich der öffentlichen Hand sogar deutliche Ersparnisse bringen könnten, da Vorsorge oft billiger kommt als Nachsorge.

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) bekräftigte, dass Deutschland 305 Millionen Euro Hybridkapital für die Weltbank zur Verfügung stellen werde. Dabei handelt es sich um eine spezielle Anleiheklasse, die es der Weltbank ermöglichen soll, das Ausleihvolumen für Staaten zu erhöhen. Von einer Hebelwirkung bis in den Milliardenbereich ist die Rede. Scholz sprach nun von einer Verachtfachung der eingesetzten Mittel, also etwa 2,4 Milliarden Euro.

Der Kanzler räumte ein, »dass wir nicht so viele Verbesserungen erreicht haben, wie wir uns gewünscht haben«. Dies sei nun Anlass, »erst recht sich darum zu kümmern, dass wir diesen notwendigen Fortschritt auch erreichen«. Die Länder des sogenannten Globalen Südens in Afrika, Asien und in Südamerika erwarteten von den wirtschaftlich starken Ländern Unterstützung. »Deutschland hat sich genau dazu auch verpflichtet und geht hier sehr vorbildhaft voran. Das ist das, was wir auch weiter tun werden.«

Das sehen nicht alle so. Auch die Bundesregierung darf das Grundprinzip »leave no one behind« nicht aus dem Blick verlieren, sagt Jörn Grävingholt, der in New York die Verhandlungen begleitet. Der Leiter der Politik-Abteilung bei Brot für die Welt sieht die Bundesregierung im Zugzwang: »Der Haushaltsentwurf der Bundesregierung steht im Widerspruch zu diesem Prinzip und den nachhaltigen Entwicklungszielen.«

Am Vorabend des Gipfels war die gemeinsame Erklärung zur Bekräftigung der Ziele durch einen Brief von elf Ländern infrage gestellt worden. Neben Russland wurde er von Belarus, Bolivien, Kuba, Nordkorea, Eritrea, Iran, Nicaragua, Syrien, Venezuela und Simbabwe unterzeichnet. Die Länder beklagten in dem Schreiben Sanktionen, die der Entwicklung von Staaten schadeten. Bei der Annahme der Erklärung machten die Länder dann aber einen Rückzieher und verzichteten auf eine Intervention. Es blieb bei der Drohung. Entwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD) wertete das als Erfolg. »Das ist ein ermutigendes Signal in schwierigen Zeiten. Die angedrohte Blockade hat nicht stattgefunden. Die 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung sind damit eindrucksvoll bestätigt.«

Der Nachhaltigkeitsgipfel fand vor dem hochkarätig besetzten Start der UN-Generaldebatte am Dienstag statt, bei der neben Scholz auch der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj und US-Präsident Joe Biden sprechen sollen. Mit Agenturen

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