Kurden in Medien: Von Räubern zu Kämpfenden

Die mediale Darstellung der kurdischen Menschen hat sich im Laufe der Zeit gewandelt, auch in den Ländern des Globalen Nordens

  • Kaveh Ghoreishi
  • Lesedauer: 8 Min.

Im vergangenen Jahr kehrte die »kurdische Frage« mit der »Jin, Jiyan, Azadî«-Revolution in den Vordergrund der weltweiten Medien zurück. Auch wenn die kurdische Dimension dieser Bewegung meist ignoriert und im Bezug auf den Iran ausgeblendet wurde, berichteten einige Medien in einem separaten Abschnitt über Kurdistan, wenn sie auf den Ursprung des Slogans und der Bewegung »Jin, Jiyan, Azadî«, zu deutsch »Frau, Leben, Freiheit«, zurückblickten. Aber wie werden die Kurd*innen eigentlich in den Mainstream-Medien des Globalen Nordens typischerweise dargestellt?

Zunächst einmal einige Eckdaten: Die Kurd*innen, deren Bevölkerung heute auf 40 Millionen Menschen geschätzt wird, sind eine der weltweit größten staatenlosen Gruppen. Sie sind hauptsächlich auf die vier Staaten Türkei, Irak, Iran und Syrien verteilt, ganz zu schweigen von einer großen Diaspora. In den letzten Jahren vor der »Jin Jyian Azadî«-Bewegung rückten sie vor allem während der Frauenrevolution in Rojava (Syrien, Westkurdistan) und wegen ihres Kampfes gegen ISIS in den Mittelpunkt der medialen Aufmerksamkeit. Hierbei wurden unter anderem romantisierende Bilder von mutigen und unbesiegbaren Kämpfer*innen bedient. Doch bereits seit dem 19. Jahrhundert waren die Kurd*innen Gegenstand der europäischen orientalisierenden – wenn auch größtenteils positiv besetzten – Imagination.

Warum »Jin, Jiyan, Azadî«?

Ihr Wille als Waffe – 10 Jahre Frauenrevolution Rojava

Ein Podcast, der dich anlässlich des zehnjährigen Jubiläums mit auf die Reise zur Frauenrevolution in Rojava nimmt. Innerhalb von sechs Folgen besuchst du gemeinsam mit Linda Peikert Orte, die im Zuge der Befreiung der Frau erst möglich wurden. Wer sind die Frauen, die gegen den IS und für ihre Rechte kämpfen? dasnd.de/rojava

Etwa fünf Jahre nach dem Untergang von ISIS 2017 standen die Kurd*innen erneut im Mittelpunkt des Interesses der Weltmedien, dieses Mal in Bezug auf das iranische Rojhilat, auch Ostkurdistan genannt. Auslöser dafür war die brutale Ermordung von Jîna Mahsa Amînî, einer 22-jährigen kurdischen Frau auf einem Polizeirevier in der Hauptstadt des Iran – und der lautstarke Ruf nach Freiheit, der in dem Slogan »Jin, Jiyan, Azadî« zum Ausdruck kam.

In dieser Phase, die bis heute andauert, vernachlässigen die Medien allerdings mehrheitlich die kurdischen Ursprünge der Bewegung und die historisch-philosophischen Wurzeln des Slogans – vor allem dann, wenn sie zur PKK führen, der Arbeiter*innenpartei Kurdistans. Außerdem wird oft die kurdische Identität von Jîna Amînî unterschlagen und stattdessen ihr iranischer Name Mahsa Amini verwendet (viele kurdische Namen sind im Iran tatsächlich verboten). Nur manchmal, in dem Bemühen um Unparteilichkeit, wurden kurze Anspielungen auf »Mahsa Aminis« kurdisches Erbe oder ihren Wohnsitz in der »Provinz Kurdistan« gemacht. Ein Grund dafür ist, dass die »Expert*innen«, die über Iran berichten, oft keine Kenntnisse über die kurdische Lage in Iran und die kurdische Befreiungsbewegung haben.

Bashur: die Opfererzählung

In den älteren europäischen Enzyklopädien wurden die Kurd*innen als eine in den Bergen lebende, aggressive und banditenähnliche Gruppe dargestellt – ein Charakterbild, das ihre Repräsentation im Globalen Norden bis in die späten 1980er Jahre prägte. Es präsentierte eine karikierte Vorstellung von Kurd*innen als »wilden Anderen« im Vergleich zur europäischen Zivilisation. So wurden die Kurd*innen bis zum chemischen Angriff von Saddam Hussein, dem ehemaligen Diktator des Iraks, dargestellt.

Nach Saddams verheerendem Giftgasangriff auf Halabdscha am 16. März 1988, der in nur wenigen Minuten 5000 Menschenleben forderte, rückten die Kurd*innen erneut ins weltweite Rampenlicht und in den Medienfokus des Globalen Nordens. Zwischen 1986 und 1989 fielen im Rahmen von acht Operationen mindestens 182 000 Kurd*innen der »Anfal-Operation« zum Opfer, die von Saddam Hussein und seinem Cousin Ali Hasan al-Madschid verübt wurden. Angesichts dieser Ereignisse wurden die Kurd*innen in den regionalen Medien als eine der ersten »Opfergruppen« chemischer Massenvernichtungswaffen dargestellt, zudem als eine Minderheitengruppe, die Diskriminierung, Ungerechtigkeit und Mord ausgesetzt ist.

Zu dieser Zeit hatte die kurdische Diaspora allerdings noch keine nennenswerte mediale Präsenz im Globalen Norden. Hiesige Journalist*innen, die über das Ereignis berichteten, waren mit Kurdistan oft wenig vertraut. In den meisten Berichten wurde das Regime von Saddam Hussein als ein System verurteilt, das keine Verbindungen zum Westen hatte. Diskussionen über die Herkunft der chemischen Waffen oder Kritik an »westlichen Regierungen« wurde zumeist unterlassen.

Durch diese Darstellung wurde das westliche Publikum ermutigt, mit den kurdischen Einwander*innen, die bei der irakischen Tragödie Angehörige verloren hatten, mitzufühlen. So berichteten einige kurdische Diaspora-Intellektuelle, die in Europa Zuflucht gesucht hatten, etwa von Veränderungen in der Haltung ihrer Nachbar*innen: Was sie antrafen, war eine bürgerliche Sympathie, ein Mitleid, das sich aufgrund seiner Plötzlichkeit allerdings eher als beunruhigend erwies. Gleichzeitig wurde der Widerstand der Kurd*innen gegen den Baathismus und das Regime von Saddam Hussein in vielen Medien heruntergespielt, indem man ihn als eine Form von Separatismus beziehungsweise als Rebellion darstellte.

Der kurdische Krieg in Deutschland

Etwa ein Jahrzehnt später, als der politische Führer und PKK-Mitbegründer Abdullah Öcalan in Europa inhaftiert und Monate später mit Hilfe westlicher Geheimdienste in Nairobi, Kenya, entführt wurde, standen die Kurd*innen erneut im Mittelpunkt des medialen Interesses in Europa. In Februar 1999 warteten die in den Niederlanden lebenden Kurd*innen auf das Flugzeug mit Öcalan, in der Erwartung, dass er nach monatelangen, umstrittenen Verhandlungen und Vertreibungen freigelassen würde. Öcalan wurde jedoch in Begleitung des griechischen Botschafters in das Flugzeug eines türkischen Milliardärs verfrachtet und zu einem nicht näher bezeichneten türkischen Flughafen gebracht, anstatt auf dem Flughafen von Den Haag zu landen. Dieser Vorfall löste bei den Kurd*innen in Europa Wut aus und veranlasste sie, in hunderten europäischen Städten auf die Straße zu gehen. Es kam auch zu gewalttätigen Zusammenstößen, die sich gegen Geschäfte nationalistischer Türken und gegen diplomatische Gebäude in Ländern wie Griechenland und Israel richteten.

Dieser ebenso legitime wie radikale Aufschrei ermöglichte es besonders den europäischen Medien, das Bild der Kurd*innen als störende und widerspenstige Minderheit wieder aufleben zu lassen. Deutsche Medien zogen sogar Vergleiche zwischen kurdischen Protesten und den Aktionen der Roten Armee Fraktion (RAF) in den 1970er Jahren. Der Spiegel berichtete wöchentlich über den »Kurdischen Krieg in Deutschland« (Spiegel-Schlagzeile vom 8. August 1999), während niederländische Zeitungen über die vermeintliche Bedrohung der europäischen Sicherheit durch die kurdische Minderheit schrieben. In dieser Zeit stellten die europäischen Medien die Kurd*innen überwiegend als eine Gruppe dar, die sich von den Gesellschaften, in die sie teilweise hineingeboren wurden, unterscheidet und mit ihnen nicht in Einklang steht, wodurch ein tiefes Misstrauen zwischen den Kurd*innen und der europäischen Bevölkerung gefördert wurde.

Der Lichtblick Rojava

Wiederum ein Jahrzehnt nach der Entführung Öcalans und den heftigen kurdischen Protesten in Europa rückte das Auftauchen von ISIS und seiner eskalierenden Angriffe in europäischen Ländern die »kurdische Frage« erneut in den Fokus der medialen Darstellung. Mit der Besetzung von Mosul und Raqqa durch ISIS im Irak und in Syrien und dem Rückzug der Regierungstruppen waren es die Peshmerga-Kräfte aus Bashur (Südkurdistan) und die Guerillakämpfer*innen aus Rojava (Westkurdistan), die einsprangen, um den Vormarsch von Krieg, Gewalt und potenziellem Völkermord zu stoppen, indem sie die Kontrolle über verlassene Frontlinien übernahmen. Abgesehen von dem Genozid an den Jesiden, den auch die kurdischen Widerstandskräfte nicht verhindern konnten, spielten sie sowohl im Irak als auch in Syrien eine zentrale und entscheidende Rolle bei der Bekämpfung dieser vielschichtigen Bedrohung durch den Islamismus.

In dieser Zeit begann die dritte Generation der kurdischen Diaspora sich in den Medien zu präsentieren – und zwar zunehmend selbstbestimmt, ohne Vermittlung durch Journalist*innen aus dem Iran, Irak oder Syrien. Nun veränderte sich die Darstellung der Kurd*innen in den Weltmedien von »Banditen« oder »Opfern« hin zu »tapferen Kämpfer*innen«. Die jesidischen Kurd*innen wurden als Symbole für das Überleben im Angesicht des Genozids gepriesen und die Kurd*innen in Rojava und Bashur als einziges Bollwerk gegen den Ansturm von ISIS gefeiert. Während der Rojava-Revolution und auf dem Höhepunkt des kurdischen Widerstands in Kobani verbreiteten die internationalen Medien faszinierende Bilder der YPJ und romantisierten und kommerzialisierten einen Kampf, in dem Frauen wirklich die Führung übernahmen.

Obwohl die Gegenerzählung in den linken Medien versuchte, die politische Ideologie und das System, das die Kurd*innen in Rojava aufbauten, als Alternative zur komplizierten politischen Dynamik des Nahen Ostens und der Welt darzustellen, blieb das vorherrschende Bild das der »kriegerischen Kurd*innen«, die bereit sind »uns« – sprich die westliche Bevölkerung – vor der Bedrohung durch das »ISIS-Monster« zu schützen.

Angemessene Komplexität

Im Laufe des letzten Jahrhunderts hat sich die mediale Darstellung der Kurd*innen schließlich weiterhin gewandelt: von reinen Phantasiegebilden und exotischen Subjekten hin zu einer klar definierten sozio-politischen Identität. Heute sollte der Schwerpunkt jedoch nicht auf dem bloßen Streben nach Aufmerksamkeit liegen, sondern auf einer korrekten Darstellung kurdischen Lebens. Die Kurd*innen sollen nicht als exotische Stämme, Opferfiguren oder tapfere Krieger*innen dargestellt werden, sondern als eine Gruppe – oder genauer gesagt als eine Vielzahl von Gruppen –, die sich den im Nahen Osten vorherrschenden neokolonialen Einflüssen entgegenstellen. Dabei hat allerdings der theoretische Rahmen ihrer politischen Alternative und deren praktische Manifestation – Stichwort Demokratischer Konföderalismus – zu bestimmten Zeiten und an bestimmten Orten wie Rojava und Nordostsyrien mindestens ebenso viel Aufmerksamkeit verdient.

Kaveh Ghoreishi ist ein kurdischer Journalist und Autor, der seit fast einem Jahrzehnt in Deutschland lebt. Ursprünglich aus Rojhilat (iranisches Kurdistan) stammend, hat er einen Großteil seines Lebens in Bashur (irakisches Kurdistan) verbracht und dort gearbeitet. Er hat zwei Bücher auf Farsi und Kurdisch veröffentlicht und Hunderte von Artikeln in verschiedenen Sprachen verfasst. Aktuell arbeitet er als Menschenrechtsforscher für den Nahen Osten und als freiberuflicher Journalist in Berlin.

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