Deutsche Einheit: Der Osten liegt bei der Kinderbetreuung vorn

Frauen und Männer sind in Ostdeutschland annähernd gleichgestellt – auf niedrigem Lohnniveau

  • Felix Sassmannshausen
  • Lesedauer: 5 Min.

Obwohl Frauen in den Bereichen Bildung, Erwerbstätigkeit und sozialer Absicherung in den vergangenen Jahrzehnten gegenüber Männern aufgeholt haben, kommt die Gleichstellung in Deutschland weiterhin nur schleppend voran. Das geht aus einer neuen Untersuchung des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung hervor. »Die Studie belegt weiterhin klar erkennbare Geschlechterungleichheiten zum Nachteil von Frauen. Meist sind die etwas ausgeprägter in Westdeutschland«, fasst Bettina Kohlrausch, Direktorin des Instituts, die Ergebnisse zusammen.

Während die Ungleichheit zwischen Frauen und Männern im Westen groß ist, sind sie im Osten auf einem niedrigen Lohnniveau annähernd gleichgestellt, wie die Studie zeigt. So heben die Forscher*innen in ihrer Untersuchung hervor, dass die Diskrepanzen zwischen Frauen und Männern etwa mit Blick auf Erwerbsbeteiligung, Bezahlung, Führungspositionen und Altersabsicherung in Ostdeutschland im Vergleich zu ihren westdeutschen Gegenparts weniger stark ausgeprägt sind. Frauen verdienten in den ostdeutschen Bundesländern zum Beispiel im Mittel knapp 7 Prozent weniger pro Stunde als Männer. Im Westen betrage der sogenannte Gender-Pay-Gap dagegen ganze 19 Prozent.

Dass viele Arbeiterinnen im Osten weniger Rückstand zu ihren Kollegen haben, was die Bezahlung betrifft, sei jedoch nicht ausschließlich eine gute Nachricht, bemerkt Kohlrausch. Denn der Lohnunterschied zwischen den Geschlechtern in Ostdeutschland sei in erster Linie deshalb so gering, weil auch Männer dort deutlich schlechter verdienen: Während etwa jede zehnte Arbeiterin in Ost- und Westdeutschland trotz Vollzeitbeschäftigung weniger als 2000 Euro brutto im Monat verdient, sind das bei den Männern im Osten mit acht Prozent annähernd gleich viel. Im Westen arbeiteten dagegen nur vier Prozent der Männer für einen derart niedrigen Lohn. »Neben den erheblichen Unterschieden in der Wirtschaftsstruktur trägt auch die niedrigere Tarifbindung im Osten zum insgesamt niedrigeren Lohnniveau bei«, erklärt Kohlrausch die deutlichen Unterschiede.

Dennoch sei der Osten unter dem Strich »bei einigen wichtigen Aspekten der Gleichstellung etwas fortschrittlicher«, gibt sie zu bedenken. Dies betreffe auch mittlere Führungspositionen in Unternehmen und Gewerkschaften, die im Osten häufiger von Frauen besetzt seien.

Arbeiterinnen im Westen hätten dagegen häufiger Teilzeitstellen und seien zudem zweimal so oft in Minijobs beschäftigt wie in Ostdeutschland. Da Minijobberinnen nicht in die Kranken-, Pflege- und Arbeitslosenversicherung einzahlen, sind sie auf lange Sicht einem erhöhten Armutsrisiko ausgesetzt, insbesondere im Alter. Dadurch seien trotz insgesamt niedrigerer Löhne die durchschnittlichen Altersrenten von Frauen in Ostdeutschland höher. Die Rentenlücke zwischen den Geschlechtern ist im Osten mit 16 Prozentpunkten wesentlich kleiner als im Westen (39 Prozentpunkte). Frauen im Osten erhalten im Schnitt damit 84 Prozent der gesetzlichen Altersrente, die Männer haben.

Die große Rentenlücke im Westen hänge damit zusammen, dass dort überwiegend das Modell »Mann Vollzeit, Frau Teilzeit« herrsche. Das liege auch daran, dass Westdeutschland mit Blick auf die Ganztagsbetreuung für Kinder schlechter aufgestellt ist und in weniger Haushalten beide Partner Vollzeit arbeiten, wie aus der Studie hervorgeht. Dass Männer in Teilzeit und Frauen in Vollzeit arbeiten, kommt allerdings weder in Ost- noch in Westdeutschland häufig vor. »Die Unterschiede bei Kinderbetreuung und Arbeitszeiten tragen unter anderem wegen nach wie vor geringerer Karrieremöglichkeiten von Teilzeitbeschäftigten wesentlich dazu bei, dass die Lohnlücke in Westdeutschland deutlich höher ist als in Ostdeutschland«, stellt Kohlrausch fest.

Fragen der Gleichstellung hingen dabei meist von Rahmenbedingungen ab, die der Staat gestalten könne, sagt Kohlrausch. Den sieht sie daher auch in der Pflicht. So sei es vor dem Hintergrund der Befunde wichtig, dass die Kapazitäten für die Ganztagskinderbetreuung insbesondere in Westdeutschland ausgebaut werden und vor allem, dass sie auch verlässlich funktionierten. Denn viele Eltern seien aktuell mit dem Problem konfrontiert, dass Betreuungseinrichtungen als Folge von Personalmangel ihre Öffnungszeiten reduzieren oder zeitweilig ganz schließen. »Es bleibt dann in erster Linie wieder an den Müttern hängen, solche Engpässe zu überbrücken«, kritisiert sie. Insgesamt litten Frauen bis heute unter schlechteren beruflichen, wirtschaftlichen und sozialen Bedingungen als Männer. Die Gleichstellung schreite in Deutschland aus Sicht der Forscher*innen des WSI zu langsam voran.

Dies trifft auch im internationalen Vergleich zu. Dort schneidet Deutschland bei der Gleichstellung von Männern und Frauen schlecht ab, wie aktuelle Forschungsergebnisse des Münchner Wirtschaftsforschungsinstituts Ifo belegen. Besonders mit Blick auf die Situation von jungen Frauen mit Kindern gebe es Defizite, verglichen etwa den skandinavischen Ländern. So müssten junge Mütter in Deutschland mit Einkommenseinbußen von durchschnittlich 70 Prozent im Vergleich zu Vätern im gleichen Alter rechnen, wie aus Zahlen des Forschungsinstituts hervorgeht.

Auch um dem entgegenzuwirken, fordert WSI-Direktorin Kohlrausch unter anderem, dass Anreize für Männer, Sorgearbeit zu übernehmen, verstärkt werden. Mit Blick auf Westdeutschland sollten Minijobs aus ihrer Sicht zudem in reguläre Beschäftigungsformen mit Sozialversicherungspflicht überführt und die Ganztagskinderbetreuung ausgeweitet werden. Ebenso müssten Führungspositionen besser auf weibliche Erwerbsbiografien zugeschnitten werden. Mit Blick auf den Osten fordert sie unter anderem bessere Bedingungen für eine Tarifbindung sowie eine weitere Anhebung des Mindestlohns.

Die meisten dieser Forderungen teilt auch die stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Linkspartei im Bundestag, Susanne Ferschl: »Frauen, die in Vollzeit arbeiten, sind unabhängig vom Partner und bauen sich eigenständig Ansprüche in den sozialen Sicherungssystemen auf. Für viele Frauen mit ostdeutscher Biografie ist das völlig normal«, erklärt sie auf nd-Anfrage. Aus ihrer Sicht ist es notwendig, dass die Bundesregierung eine Investitionsoffensive für Kitas in ganz Deutschland auflegt. Die Regierung müsse zudem ein Maßnahmenpaket zur Lohnangleichung verabschieden, um die Niedriglöhne zu bekämpfen. »Der Osten wurde als Billiglohnzone missbraucht«, kritisiert sie.

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