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  • Drogen und Obdachlosigkeit

Leopoldplatz in Berlin: Sackgassen am Runden Tisch

In einer Krisensitzung fordern Sozialarbeitende mehr Geld für den Wedding

  • Jule Meier
  • Lesedauer: 5 Min.
Immer mehr Menschen in Berlin leben auf der Straße. Der Anteil an Crackabhängigen steigt laut Angaben aus der Suchthilfe.
Immer mehr Menschen in Berlin leben auf der Straße. Der Anteil an Crackabhängigen steigt laut Angaben aus der Suchthilfe.

Es ist voll im ehemaligen Bezirksverordnetensaal des Jobcenters Wedding an diesem Spätsommerabend. Knapp 70 Menschen sitzen am Runden Tisch, zu dem die Präventionskoordination des Bezirksamts geladen hat. Neben Bürgermeisterin Stefanie Remlinger (Grüne), sind Sozialarbeitende der Vereine Fixpunkt, Gangway, Outreach und Vista sowie Vertreter*innen des zuständigen Polizeiabschnitts dabei. Dutzende Anwohnende füllen den Raum – einige von ihnen sind in der Bürgerinitiative »Wir am Leo« aktiv.

Eine Krisensitzung zum Leopoldplatz fand zuletzt Anfang August statt. Anlass waren sowohl im August als auch jetzt die Zustände auf dem Gelände in Wedding. Am Mittwoch spricht Remlinger von einer »neuen Eskalationsstufe«. Erhöhter Crackkonsum und steigende Obdachlosigkeit, Spritzenfunde auf dem Spielplatz sowie Berichte über Fäkalien im Hausflur und Haustüreinbrüche gäben Anlass für Unsicherheit. Schon länger soll ein Masterplan her, und in den vergangenen zwei Monaten hat sich immerhin schon etwas getan: Fixpunkt konnte die Öffnungszeiten des Drogenmobils erweitern, die Polizei hat ihre Präsenz vor Ort verstärkt und nun liegen auch die Ergebnisse des Berliner Sicherheitsgipfels vor. Remlinger hat als Bezirksstimme gemeinsam mit ihrer Parteikollegin aus Friedrichshain-Kreuzberg Clara Herrmann daran teilgenommen.

Auf acht Seiten sind die Ergebnisse des Gipfels zusammengefasst. Neben dem Ausbau der mobilen Suchthilfe, der aufsuchenden Sozialarbeit und den Unterkunftsangeboten für Wohnungslose wie auch Suchterkrankte, sollen die Polizeipräsenz verstärkt und feste Staatsanwälte den kriminalitätsbelasteten Orten in Berlin zugewiesen werden. Remlinger spricht von einem »Gipfel der Sicherheitsarchitektur«, aus dem heraus ein ressortübergreifendes »Lenkungsgremium« entstanden sei. Dieses soll im Namen der Sicherheit eine gesamtstädtische Strategie für öffentliche Orte wie den Leopoldplatz oder den Görlitzer Park erarbeiten. Die Leitung übernimmt die Senatsverwaltung für Mobilität, Verkehr, Klimaschutz und Umwelt.

Ein Ausbau der sozialen Infrastruktur klingt erst mal gut. Doch eine anwesende Sozialarbeiterin von Vista spricht richtigerweise vom »Sicherheitsgipfel ohne Geld«. Wie viel Geld den Bezirken denn nun für den Ausbau sozialer Infrastruktur zur Verfügung steht, ist unklar. Drohende Kürzungen im Haushalt für Soziales hängen wie ein Damoklesschwert über dem Maßnahmenpapier. Remlinger verweist auf die Notwendigkeit einer Nachjustierung in der Haushaltsplanung. »Maßgeblich dafür werden die Ergebnisse der Lenkungsgruppe.«

Die Anwohnenden sind merklich unzufrieden. Silvia Bleich von »Wir am Leo« spricht von »massiver Gewalt«, denen die Kinder des Weddings ausgeliefert sind. Sie nennt sich selbst die »Stimme der Kinder« und fordert nachhaltige Lösungen für den »sozialen Brennpunkt Leo«. Nach vier Wochen intensiver Polizeiarbeit habe sich schon etwas getan: Anwohnende aus dem Brüsseler Kiez berichten über die Verdrängung der Misere auf den 500 Meter entfernten Zeppelinplatz. Trotz des wiederholten Wunsches nach Nachhaltigkeit gelingt es den Anwohnenden nicht, die strukturellen Ursachen der sozialen Probleme auf dem Leopoldplatz zu benennen. Statt Obdachlosigkeit und Leerstand zusammenzudenken, besteht bei einem Anwohner die Angst, dass aus dem ganzen Leerstand in Berlin »Crackhöhlen wie in den USA« entstehen. Flucht, Inflation und explodierende Mieten werden von ihnen an diesem Abend mal eben ausgeklammert.

»Die Probleme auf dem Leopoldplatz sind das Ergebnis repressiver Drogenpolitik«, mahnt ein ehemaliger Suchterkrankter am Runden Tisch. Während die Polizei gegenüber den Anwohnenden zwar auf den Unterschied zwischen »tatsächlicher Gefahr und dem Gefühl von Gefahr« verweist, sei der Leo nun erneut »Brennpunkt auf der Karte der Berliner Polizei«. Anwesende Sozialarbeitende sorgen sich um einen Anstieg von Polizeigewalt: »Mehr Polizei führt nicht zu mehr Sicherheit für alle. Racial Profiling wird zunehmen«, entgegnet ein Sozialarbeiter von Gangway der Polizei. Dieser sei jene Problematik unbekannt, schließlich lägen keine Anzeigen von Betroffenen bei der Polizei vor.

Kleinere Maßnahmen wie Clearingstellen für Menschen ohne Krankenversicherung oder Substitutionsangebote, welche sich als nachhaltiger Weg aus der Sucht herausgestellt haben, sind nicht Teil der Maßnahmen. Stattdessen soll beispielsweise der Görlitzer Park umzäunt werden – zu Kosten, die Vasili Franco, drogenpolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion im Abgeordnetenhaus, jüngst auf Millionenhöhe schätzte. Angesichts solcher Verteilungsfragen ist es auf Seiten der sozialen Arbeit vergleichsweise ruhig an diesem Abend.

Der Unmut der Anwohnenden ist lauter. Doch auch für sie gibt es von der Bezirkspolitik nur ein paar Tropfen auf den heißen Stein: Auf dem Leopoldplatz werden in den kommenden Wochen Sitzquader und die Ökotoilette umgebaut, ein Banner als temporärer Sichtschutz zwischen Spielplatz und Aufenthaltsraum platziert und der Platzdienst bekommt erkennbare Westen. Wie genau man den Spielplatz mit Licht ausstatten und eine fixe Sichtschutzmauer errichten könne, werde noch geprüft.

Armut, Obdachlosigkeit, Flucht und Krankheit: Die Lebensrealitäten, die im Herzen des Weddings aufeinanderprallen, passen weder den Anwohnenden noch dem Profit. Es ist ein Raum voller Erwachsener, die für Kinder sprechen wollen. Es ist ein narratives Ausweichen, um das Kind ja nicht beim Namen zu nennen. Doch dem einen oder anderen kommen klare Worte von den Lippen: »Kommen auf uns mehr Unterkünfte zu?« und »Ich habe Angst vor Flüchtlingswellen«.

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