Antje Grothus: »Der Landtag ist ein Biotop«

Antje Grothus war lange zivilgesellschaftlich im Rheinischen Revier aktiv, jetzt sitzt sie für die Grünen im nordrhein-westfälischen Landtag

Hambacher Forst: Antje Grothus: »Der Landtag ist ein Biotop«

Wären Sie lieber in der Opposition?

Nein, ich find’s super, dass wir Gestaltungsmöglichkeiten haben und ich nicht nur Schauanträge stellen kann. Also, ich sehe das Gebaren der Opposition oft kritisch, weil da Anträge gestellt werden, bei denen klar ist, an dem Thema wird schon gearbeitet. Und da frage ich mich manchmal, warum kommen die nicht auf uns zu, sprechen mit uns über konstruktive Vorschläge. Da würde ich mir wirklich mehr Miteinander wünschen.

Sind die Gestaltungsmöglichkeiten wirklich so groß? Das Bündnis »Alle Dörfer bleiben« zieht zum Beispiel zur Braunkohle-Leitentscheidung das Fazit, CDU und RWE hätten sich durchgesetzt.

Ich habe als Parlamentarierin gelernt, dass meine Gestaltungsmöglichkeiten sehr von der Verhandlungsbereitschaft des Koalitionspartners abhängen. Für mich ist der Koalitionsvertrag die entscheidende Grundlage. Gerade zum Rheinischen Revier stehen da Punkte drin, die sehr gut sind; die versuchen wir als Grüne, so gut es geht, umzusetzen. Und zur Leitentscheidung: Die trägt eine klare grüne Handschrift. Bereits Umgesiedelte bekommen eine eindeutige Option, in ihre Wohnhäuser zurückzukehren, und die Dörferentwicklung wird nach einem klaren klimagerechten Leitbild unter hoher Beteiligung der Bewohner*innen stattfinden. Das sind zwei wesentliche Punkte, die vor Ort immer gewünscht wurden und für die ich mich auch sehr stark eingesetzt habe.

In den letzten Jahren ist viel Papier produziert worden, es sind viele Ankündigungen gemacht worden wie sieht es mit der Umsetzung aus?

Mir haben die letzten Monate noch mal deutlich gemacht, dass es im Rheinland, Stichwort RWE, in Politik und Verwaltung Strukturen gibt, die seit Jahrzehnten gewachsen sind. Diese Strukturen zu verändern, zu modernisieren und umzubauen, das ist eine große und langwierige Aufgabe, bei der man in Mitregierungsverantwortung nur Teilerfolge erzielen kann. Wir haben mit dem Reviervertrag 2.0 und neuer Leitentscheidung Ankündigungen aus dem Wahlprogramm und dem Koalitionsvertrag umgesetzt. Auch beim Bürgerenergiegesetz, dem Windradabstand und der Solarpflicht, um nur wenige Beispiele zu nennen, geht es in Sachen Energiewende in NRW endlich richtig nach vorne.

Sie kommen aus dem zivilgesellschaftlichen Engagement, haben für NGOs gearbeitet, warum haben Sie sich entschieden, ins Parlament zu gehen?

Das Thema Gestaltung des Wandels, also nach vorne gerichtet mitzugestalten und Verantwortung zu übernehmen, das hat mich gepackt. Klar kann ich als Aktivistin sagen, ich habe mitgeholfen, den Hambacher Wald zu erhalten, aber mein Aktivsein hört ja da nicht auf. Bei den schwierigen Entscheidungen, die noch anstehen, dabei zu sein, eine progressive Stimme in der Politik zu sein, die Anwohner- und Betroffenenperspektive zu vertreten, das sind meine Motivationen.

Wie haben die Grünen und Sie zusammengefunden?

Die Grünen waren immer eine sehr offene Partei. Ich bin erst 2021 Mitglied geworden. Ich konnte vorher aber schon oft bei Gesprächen dabei sein und meine Expertise einfließen lassen und wurde da auch gehört. Es gab da eine Annäherung von beiden Seiten, ich bin auch angesprochen worden. Das passte zeitlich sehr gut, weil ich an einem Punkt war, an dem ich mich gefragt habe, wo ich mehr Wirksamkeit entfalten kann.

Welche Rückmeldungen bekommen Sie bislang aus der Klimabewegung im Rheinischen Revier?

Da muss man differenzieren, auf Twitter oder Instagram gibt es durchaus scharfe Kritik. Im persönlichen Gespräch sieht es aber durchaus anders aus. Die meisten Leute hier in der Region wissen: Ich bin noch die gleiche Antje wie vorher, auch wenn ich jetzt Mitglied der Grünen bin und im Landtag sitze. Ich bekomme auch wirklich viel Unterstützung für meine differenzierte Perspektive auf die Entwicklungen im Revier und meine klare Haltung für die Dörfer, den Klima- und Artenschutz, für einen wirklich transparenten, bürgernahen und nachhaltigen Strukturwandel statt immer neuer Beton-Gewerbegebiete und einer Weiter-so-Politik.

Wie hat sich Ihr Alltag im Vergleich zur Zeit vor dem Landtag verändert?

Sehr! Schon allein, weil ich unglaublich viel in Düsseldorf sein muss. Vor- und Nachbereitung von Ausschüssen, die Plenartage, die Beschäftigung mit sehr vielen Themen, die weit über die zentralen Themen im Rheinischen Revier hinausgehen. Das macht Spaß – ich sehe es als riesiges Privileg, meinen Fokus noch mal zu weiten. Aber natürlich gibt es da auch Dinge, die von meiner eigentlichen Passion ablenken. Ansonsten hat es sich insofern geändert, dass ich jetzt auch bei RWE vor Ort Termine vereinbaren kann und Dinge gezeigt bekomme, wie kürzlich die Tagesanlagen am Tagebau Hambach. Ich versuche außerdem, viel bei Veranstaltungen zum Strukturwandel zu sein und mich mit der Zivilgesellschaft und den Menschen in den Dörfern auszutauschen.

Wie ist es, Politikerin zu sein?

Abgeordnete zu sein beinhaltet viele Privilegien. Ich habe ein Team und Menschen, die mich sowohl fachlich als auch emotional unterstützen. Ich darf bei Terminen um Einblicke, Gesprächspartner*innen und Besuche vor Ort bitten, und mir werden Türen dafür geöffnet. Den Wunsch, Dinge im System zu verändern, an wichtigen Stellschrauben zu drehen, habe ich immer noch. Mit meinen 59 Jahren und allem, was ich an Lebenserfahrung habe, bin ich ziemlich gefestigt. Ich sehe trotzdem, wie das System Landtag dich auch verändern kann, einfach durch die Privilegien und dadurch, dass man hofiert wird. Damit versuche ich sehr achtsam umzugehen und gegenzusteuern, damit das nicht passiert.

Was versuchen Sie dagegen zu machen?

Ich habe den Hambacher Wald mal Soziotop genannt. Der Landtag ist auch ein Biotop unterschiedlicher Arten. Ich versuche da immer, Verhaltensweisen zu hinterfragen und mich an meine politische Basis zurückzubinden. Mich zu erden, die Wurzeln zu behalten und auch zu pflegen. Das ist mir extrem wichtig. Ich habe neulich eine Ausstellung des Fotografen Hubert Perschke eröffnet, da wurde viel über Lützerath gesprochen. In der Bewegung gibt es oft die Perspektive, wir hätten verloren. Ich sehe das überhaupt nicht so. In und um Lützerath ist total viel entstanden, genossenschaftliche Strukturen zum Beispiel. Und ich finde, wir müssen den dystopischen Bildern von den Kohlelöchern diese konkreten Utopien entgegensetzen. Insgesamt haben wir beim Braunkohlethema total viel erreicht. Klar ist das nicht genug. Angesichts der Klimakrise kann es gar nicht genug sein. Aber ich habe es schon früher als meine Aufgabe gesehen und sehe es auch heute so, auch auf Erfolge hinzuweisen. Nicht, um sich darauf auszuruhen, das können wir nicht. Wir müssen uns aber klarmachen, wo wir gestartet sind und was wir bis heute erreicht haben. Es liegt noch viel Arbeit vor uns; die Beteiligung der Menschen am Strukturwandel muss viel besser werden. Die Leitentscheidung kündigt viel Gutes an für die Dörfer. Das ist besser als bisher im gesamten Strukturwandelprozess. Trotzdem glaube ich, wir sollten unsere Vorstellungen von einem guten, klimagerechten Leben mehr in den Fokus rücken. Da sind im Rheinland viele Samen in der Erde, und die gehen auch schon langsam auf.

Glauben Sie, Sie sind jetzt wirkmächtiger als früher?

Dafür bin ich zu kurz im Landtag, um das beantworten zu können. Es ist ein Langstreckenlauf. Ich denke, es ist wichtig, progressive Menschen im System zu haben. Ich glaube, ich bin anders wirkmächtig. Nicht weniger als früher. Ich versuche, viel im Team zu reflektieren. Natürlich überlege ich regelmäßig: Das, wofür ich angetreten bin und was ich erreicht habe, kann mir das reichen? Es gibt viele kleine Dinge, die ich gar nicht nach außen kommunizieren kann. Das ist anders als vorher. Es gibt Prozesse, die laufen, über die ich nicht spreche, um nicht direkt zu viel Gegenwind zu provozieren. Eine Bilanz dazu will ich noch nicht ziehen. Auf jeden Fall will ich mehr als nur sagen: Ich bin hier, um das Schlimmste zu verhindern. Ich habe Dinge angestoßen und will das weiter tun. Entscheidend ist nicht, dass Dinge auf Twitter oder Instagram abgefeiert werden, sondern dass sie etwas bewegen. Das tun zu können, dafür bin ich dankbar.

Interview

Antje Grothus lebt in Kerpen-Buir am Rand des Kohletagebaus Hambach. Seit rund 20 Jahren engagiert sie sich für den Erhalt des Hambacher Waldes und den Kohleausstieg. Als Anwohnerin saß sie in der Kohlekommission. Für die Klima-Allianz Deutschland und Greenpeace war sie als Campaignerin für den Strukturwandel aktiv. Seit 2021 ist die 59-jährige Mitglied der Grünen. Im Mai 2022 wurde sie in den Landtag von Nordrhein-Westfalen gewählt.

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