Ab April montags kein gedrucktes »nd«?

Generalversammlung der Genossenschaft beriet über Wege aus der akuten Krise der Tageszeitung

Empfang zum Treffen der nd-Genossenschafter
Empfang zum Treffen der nd-Genossenschafter

Ende Juni sah es so aus, als könnte das »nd« vielleicht schon im September die Löhne nicht mehr zahlen und das Aus für die seit 1946 erscheinende Tageszeitung unmittelbar bevorstehen. Jetzt gibt es durch eine beeindruckende Rettungsaktion eine Perspektive für zunächst immerhin sechs bis neun Monate. Das verkündete Geschäftsführer Rouzbeh Taheri am Samstag bei der Generalversammlung der nd.Genossenschaft. Es gab spontan Beifall – so viel wie an diesem Tag an keiner anderen Stelle.

90 von insgesamt derzeit 1237 Genossenschaftsmitgliedern waren ins Refugio in Berlin-Neukölln gekommen, um den Stand der Dinge zu erfahren und Beschlüsse zu fassen. Er habe diesmal »etwas bessere Nachrichten« als im Juni, sagte Taheri. Damals musste der Geschäftsführer informieren, dass der Fehlbetrag im Jahresabschluss 2022 nicht wie erwartet bei 330 000 bis 350 000 Euro liege. Es habe sich herausgestellt, dass es Fehlbuchungen gab und die Summe voraussichtlich doppelt so hoch sei. Mit dem zwischenzeitlich testierten Jahresabschluss liegt der Fehlbetrag nun bei knapp 695 000 Euro. Es sind sogar noch einmal 60 000 Euro oben drauf gekommen. Aber wenigstens das ist nicht dramatisch. Denn es handele sich nur um vorgeschriebene Rückstellungen für über 300 Resturlaubstage, die sich in Verlag und Redaktion bis Ende 2022 angesammelt hatten, erläuterte Taheri. Nehmen die Kollegen ihren Urlaub, wäre die Summe wieder flüssig.

»Wir haben Fehler gemacht«, räumte Taheri ein. Dies habe zu einer »mittleren Katastrophe« geführt. Er entschuldigte sich dafür. »Wir sind ziemlich sicher, dass wir diese Fehler nicht mehr machen werden.« Hätte der Vorstand früher von der tatsächlichen wirtschaftlichen Situation erfahren, hätte er eher Sparmaßnahmen ergreifen können. Nicht mehr abzuwenden gewesen wäre die Pleite, wenn die Leser nicht mit großer Solidarität auf die Hiobsbotschaft vom drohenden Ende reagiert hätten. Es wurden 156 000 Euro gespendet und 1254 Abos neu abgeschlossen oder vom Normal- zum Solipreis aufgestockt. Außerdem gab es 367 Neueintritte in die Genossenschaft.

Dabei kostet ein Genossenschaftsanteil 500 Euro, ist jedoch angesichts der Verluste gegenwärtig nur 16,47 Euro wert. Nur diese geringe Summe erhält, wer jetzt aus der Genossenschaft austritt. Das haben aber nur vier Personen mit zusammen sechs Anteilen getan. Alle anderen halten dem »nd« auch in schwerer Zeit die Treue oder traten sogar erst noch in die Genossenschaft ein. Kommt die Tageszeitung auf die Beine und erwirtschaftet Überschüsse, würde der Wert der Genossenschaftsanteile wieder steigen. Einen großen Beitrag zum Überleben leistet aller Voraussicht nach auch die Belegschaft. Nach einem mit der Gewerkschaft Verdi ausgehandelten Notfall-Tarifvertrag verzichtet sie darauf, dieses Jahr das Weihnachtsgeld ausgezahlt zu bekommen. Eine spätere Nachzahlung ist zwar nicht völlig ausgeschlossen, aber fraglich. Geschäftsführer Taheri erläuterte, dass der Notfall-Tarifvertrag noch der Zustimmung der Verdi-Betriebsgruppe bedürfe. Die digitale Abstimmung darüber läuft bis zum 14. Oktober. Ohne die Tarifeinigung müsste das »nd« im November Insolvenz anmelden.

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Niklas Venema dankte im Namen des Aufsichtsrats für die geleistete Hilfe. Eine Frau quittierte das freundlich mit dem Zwischenruf: »Wir danken Euch!« In Anbetracht der vertrackten Lage war die Stimmung im Saal erstaunlich gut, vor allem sehr solidarisch. Wichtig war den hier Versammelten, dass die sozialistische Zeitung auch künftig erscheint. Damit dieses Ziel erreicht wird, darf die Unterstützung aber nicht nachlassen.

»Die Gefahr ist nicht gebannt«, warnte Aufsichtsratschefin Ann-Kathrin Kaul davor, sich zurückzulehnen. Es könnte ihr zufolge jederzeit doch noch zum Zusammenbruch kommen. »Wir steuern auf Sicht durch den Nebel«, so Kaul.

Es sind einschneidende Maßnahmen erforderlich, um das strukturelle Defizit auszugleichen. Geschäftsführer Taheri und die im Vorstand vertretene Redakteurin Birthe Berghöfer erläuterten, welche Überlegung es dazu gibt. Es sei noch nicht beschlossen, müsse aber in den nächsten Wochen entschieden werden, damit noch Zeit für die Vorbereitung bleibt, sagte Taheri dazu. Es könnte eine gedruckte Tagesausgabe wegfallen. Stattdessen würden die Abonnenten an dem betreffenden Tag aktuelle Beiträge im Internet abrufen können. Dazu wird gegenwärtig ein spezielles digitales Produkt entwickelt. Es haben sich am Samstag schon Leser bereit erklärt, dieses Angebot vor der Einführung zu testen. Das »nd« würde sich damit wirtschaftlich Luft verschaffen. Keine andere Einzelmaßnahme wäre so effektiv. Angedacht ist, ab Anfang April 2024 entweder die Wochenendausgabe auf den Freitag vorzuziehen – womit samstags kein gedrucktes »nd« erscheinen würde –, oder auf die gedruckte Montagausgabe zu verzichten.

Was denken die Genossenschaftsmitglieder darüber? Einige wie Karin Weitze aus Cottbus meldeten sich zu Wort. Weitze liest sowohl in der Print- als auch in der Online-Ausgabe und behält das gedruckte Wort besser in Erinnerung, wie sie sagte. Ein Verzicht auf die Printausgabe am Montag fiele ihr deshalb schwer. Eine andere Frau fragte besorgt, wie schnell der nächste Wochentag dran wäre und wann die Zeitung gar nicht mehr gedruckt werden würde und es das »nd« nur noch online gäbe. »Ich bin sehr für die Zeitung auf Papier«, sagte sie. »Aber ich sehe auch das Problem.« Selbst diejenigen, die nur ein Digitalabo haben, wollten wissen, ob ein Wegfall der klassischen Montagausgabe nicht zu Abokündigungen führen könnte. Schließlich verfüge ein Teil der Bevölkerung nicht über einen Internetzugang oder könne sich an eine Online-Zeitung einfach nicht gewöhnen.

Die Risikoanalyse sei schwierig, weil es noch keine andere Tageszeitung gemacht habe, erklärte Taheri. »Wir wollen die Printausgabe solange wie möglich erhalten«, versicherte er. »Wir machen die Digitalisierung nicht, weil wir das wollen, sondern weil wir müssen.« Die Druckausgabe noch an einem zweiten Tag wegfallen zu lassen, sei vorerst nicht vorgesehen.

In der Aussprache machten etliche Genossenschaftsmitglieder viele gute Vorschläge, die Zeitung zu retten und besser zu machen. Die anwesenden Redakteure und Verlagsangestellten nahmen diese Anregungen mit. Einen Vorschlag können die Genossenschaftsmitglieder auch selbst umsetzen: Am 18. Januar wollen sie sich in Berlin auf einen Tee oder ein Bier treffen und dabei beraten, wie sie die Zeitung mit pfiffigen Aktionen bekannter machen und neue Leser gewinnen können. Es ging eine Liste herum, auf der sich Interessenten eintrugen.

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