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Kleine Versammlungen, große Worte

Trotz geringen Zulaufs sollen palästinensische Organisationen in Deutschland verboten werden

Auf dem Protest von rund 110 pro-palästinensische Aktivisten in Duisburg-Hochfeld war auch eine Fahne von Samidoun zu sehen. Der Antisemitismus-Beauftragte der Bundesregierung will dieses Netzwerk wie die Hisbollah verbieten lassen.
Auf dem Protest von rund 110 pro-palästinensische Aktivisten in Duisburg-Hochfeld war auch eine Fahne von Samidoun zu sehen. Der Antisemitismus-Beauftragte der Bundesregierung will dieses Netzwerk wie die Hisbollah verbieten lassen.

Weltweit bringt die jüngste Eskalation im Nahostkonflikt Anhänger beider Seiten auf die Straße. Die einen beklagen den Großangriff der Hamas auf israelische Armeestützpunkte und hunderte Zivilisten als ein nie dagewesenes Massaker. Die anderen sehen darin einen spektakulären Ausbruch aus dem als Freiluftgefängnis bezeichneten Gaza-Streifen.

Auch in Deutschland demonstrieren Menschen, die entweder ihre Solidarität mit Israel oder aber mit der Bevölkerung in Gaza ausdrücken. Dort hat das israelische Militär seit Sonntag hunderte Häuser dem Erdboden gleich gemacht. Dabei handelt es sich offenbar um eine Vergeltungsaktion, Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu teilt aus der Luft aufgenommene Videos der einschlagenden Bomben auf der Internetplattform X (früher Twitter).

»Berlin steht fest an der Seite von Israel«, schrieb die »BZ« nach einer Kundgebung am Sonntag vor dem Brandenburger Tor, gekommen sind jedoch nicht einmal 2000 Teilnehmer. Auch in Hamburg, Stuttgart, Frankfurt und München folgten den Aufrufen am Montag keine »Tausende«, wie die »Bild« am Montag meldete, sondern jeweils ein paar Hundert.

Auch die pro-palästinensischen Proteste sind verhältnismäßig klein: bei einer Kundgebung am Montagabend in München sollen es 350 Demonstranten gewesen sein, in Berlin war ihre Zahl bislang nur zweistellig.

Größere Konfrontationen zwischen den beiden Lagern blieben aus, doch gab es in einzelnen Fällen Provokationen und Gerangel zwischen Israel- und Palästina-Sympathisanten. Auch die Polizei griff ein – jedoch stets auf einer Seite. In München wurden etwa zahlreiche Teilnehmer der pro-palästinensischen Kundgebung am Ende eingekesselt, angeblich, um eine Eskalation in Richtung der nahegelegenen pro-israelischen Veranstaltung zu verhindern. In Frankfurt sollen einige Männer palästinasolidarische Parolen gerufen haben und wurden daraufhin von der Polizei abgeführt. Eine Person soll zuvor Pfefferspray versprüht haben.

Wie in Berlin am Samstag hatten palästina-soldarische Gruppen am Montagabend im Duisburger Stadtteil Hochfeld zum Protest aufgerufen. Den 110 Teilnehmern standen etwa halb soviel Gegendemonstranten gegenüber. Beide Lager skandierten Parolen und beschimpften sich nach Beobachtungen des »nd« gegenseitig. Zwei Personen aus der Pro-Palästina-Demonstration wurden wegen Widerstandes sowie versuchter Gefangenenbefreiung in Gewahrsam genommen. Ein Teilnehmer soll den öffentlichen Frieden gestört haben, indem er Straftaten billigte. Die gesamte Veranstaltung verlief aber laut der Polizei »weitestgehend störungsfrei«.

Auf den Palästina-Demonstrationen kam es vereinzelt zu Solidaritätsbekundungen mit der Hamas, so etwa in Duisburg. Das Gleiche berichtete das »nd« über eine spontane Versammlung in Berlin-Neukölln am Samstag. Dort gingen die Proteste offenbar auf das internationale Samidoun-Netzwerk zurück, dessen Fahne auch in Duisburg geschwenkt wurde.

Die 2011 gegründete Samidoun-Bewegung will die in Israel inhaftierten Anhänger der Volksfront für die Befreiung Palästinas (PFLP) unterstützen. In der EU ist die PFLP als »terroristisch« eingestuft. Auch Samidoun soll in Europa entsprechend verfolgt werden, fordert die Regierung in Israel. Dort gehört das Netzwerk zu den sechs Solidaritätsorganisationen, die der Verteidigungsminister Benny Gantz 2021 verbieten ließ. Das sorgte für Kritik, denn die nachgesagten Verbindungen zur PFLP ließen sich nicht immer belegen. Einen Offenen Brief gegen das Verbot, das im vergangenen Jahr gerichtlich bestätigt wurde, unterzeichnete neben 150 anderen Organisationen auch der internationale Schriftstellerverband PEN.

Nun wird die Luft für Samidoun in Deutschland dünner. Auf der Internetplattform X hatte die deutsche Sektion am Samstag geschrieben: »Es lebe der Widerstand des palästinensischen Volkes«. Mehrere Politiker forderten daraufhin die Prüfung eines möglichen Vereinsverbotes.

Obwohl Samidoun nicht als deutscher Verein eingetragen ist, wäre ein solches Verbot möglich. Felix Klein, der Antisemitismus-Beauftragte der Bundesregierung, vergleicht dies mit der Hisbollah, die 2020 vom damaligen Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) ein Betätigungsverbot erhielt. »Dieses ist ergangen, ohne dass die Hisbollah in eingetragenen Vereinsstrukturen organisiert war«, so Klein auf Anfrage des »nd«.

Klein verweist außerdem auf den den Verein Palästinensische Gemeinschaft in Deutschland (PGD), dessen Mitglieder »überwiegend der Hamas angehören oder mit ihr sympathisieren«. Der Verein veröffentliche Aufrufe zu israelfeindlichen Kundgebungen und biete Hamas-nahen Aktivisten eine Plattform für antiisraelische und antisemitische Reden. Eine solche Organisation dürfe in Deutschland »nicht frei agieren«, so Klein zum »nd«.

Auch der Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und sein Vorgänger Joachim Gauck sagten am Montag, die brutalen Attacken der Hamas dürften in Deutschland nicht gefeiert oder bejubelt werden. Die kommenden pro-palästinensischen Demonstrationen werden aber vermutlich keine Jubel-Veranstaltungen. Im Vordergrund steht wohl die Trauer über die Hunderten Toten nach den Bombardierungen durch die israelische Luftwaffe und die Wut auf die Regierung in Tel Aviv, die abermals die Bevölkerung in Gaza für Aktionen der Hamas bezahlen lässt.

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