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Berliner E-Busse: Dekarbonisierung bis 2030 auf der Kippe

Verkehrsverwaltung warnt vor Problemen bei Elektrifizierung der BVG-Busse

  • Nicolas Šustr
  • Lesedauer: 4 Min.

Im Dezember soll es so weit sein. Dann wollen die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) einen Lieferanten für 344 batteriebetriebene Gelenkbusse ausgewählt haben. Ende 2024 soll die Lieferung von zunächst zehn Fahrzeugen abgeschlossen sein, 2025 sollen 90 weitere nach Berlin kommen; der Löwenanteil von 244 Bussen soll die Hauptstadt erst 2026 erreichen. Damit wären Ende 2026 gerade mal knapp 40 Prozent der derzeit rund 1500 Fahrzeuge starken Busflotte der BVG elektrifiziert.

Nur vier Jahre später, Ende 2030, soll die Dekarbonisierung des Busverkehrs komplett abgeschlossen sein. Eine Riesenherausforderung für den Landesbetrieb. Das Enddatum ist sowohl im Mobilitätsgesetz als auch im bis 2035 laufenden Verkehrsvertrag des Landes Berlin mit der BVG festgeschrieben. Denn parallel zur Auslieferung der Elektrobusse müssen zahlreiche Ladepunkte im Stadtgebiet errichtet und die gesamte Betriebshofinfrastruktur umgerüstet und ausgebaut werden.

Den aktuellen Zeitplan und die Risiken auf dem Weg zum komplett elektrifizierten Busbetrieb hat die Verkehrsverwaltung den Mitgliedern des Verkehrsausschusses in einer »nd« vorliegenden Vorlage beschrieben. Diese beinhaltet auf 516 Seiten nicht nur Antworten auf die zahlreichen Fragen der Verkehrspolitiker*innen zum Thema E-Busse.

Acht der zehn von der Senatsverwaltung als »wesentliche Herausforderungen« genannten Komplexe werden derzeit in ihrer »Kritikalität« als »hoch« bezeichnet. Nicht nur Personal- und Fachkräftemangel, Verzögerungen beim Bau von (Lade-)Infrastruktur, Baupreis- und Zinssteigerungen sind und bleiben nach Erwartung der Verwaltung dabei sehr kritisch, auch die »Notwendigkeit der Digitalisierung verschiedenster Prozesse für effizienten Einsatz der Fahrzeuge und Ausgleich des Personalmangels«.

Bessern soll sich die Situation perspektivisch bei den derzeit langen Genehmigungsprozessen für die Einrichtung von Ladepunkten an Endhaltestellen. Die künftigen Elektrobusse sollen nicht mehr nur wie bisher im Depot aufgeladen werden, sondern ihren Energievorrat auch während der Wendezeiten auffüllen. Allein bis Ende 2026 sollen an 40 Endhaltestellen je zwei Ladepunkte entstehen. Um die Genehmigungsprozesse mit den Bezirken standardisieren und beschleunigen zu können, soll das Verfahren zunächst für drei Pilotstandorte in Marzahn-Hellersdorf durchgeführt werden. Bis Ende 2030 werden berlinweit bis zu 260 Ladepunkte benötigt.

Die Verwaltung beklagt, dass aktuell der »zum Teil mäßige Rückhalt für die Elektrifizierung bei der BVG« Prozesse erschwere – das soll sich künftig etwas geben. Auch bei den seit Jahren anhaltenden Lieferkettenengpässen durch Pandemie und Ukraine-Krieg wird perspektivisch eine Besserung erwartet. Als eher gering wird das Risiko für »lange Fahrzeuglieferzeiten durch höhere Nachfrage« eingeschätzt. Der Umbau Berlins zur Schwammstadt gilt als wachsende Herausforderung, da voraussichtlich Maßnahmen zur Regenwasserrückhaltung auf den Betriebshöfen nötig werden, deren Finanzierung gesichert werden muss.

Angesichts knapper werdender Haushaltsmittel gilt als schwere Hypothek, dass sich in den aktuellen Förderaufrufen »keine weitere Bundesförderung für Berliner Busse« andeutet. Allein für die 344 ab nächstem Jahr zu liefernden E-Gelenkbusse sollen bis zu 113 Millionen Euro vom Bund kommen, der Landesanteil zur Abdeckung der Mehrkosten bei den Fahrzeugen beträgt dagegen nur rund 45 Millionen Euro.

Auch für die Ladepunkte an Endhaltestellen und die Umrüstung der Betriebshöfe fließt noch millionenschwere Bundesförderung. Bereits bei den laufenden Maßnahmen muss Berlin mit dem Bund in Verhandlungen treten, um die zugesagte Förderung auch ausschöpfen zu können. Denn laut Bescheid gilt sie nur für bis Mitte 2025 abgeschlossene Maßnahmen; derzeit rechnet man aber mit einer Fertigstellung erst im dritten Quartal 2026.

Weitere Verzögerungen deuten sich bereits bei der Fertigstellung des neuen, von vornherein für E-Busse geplanten Betriebshofes Süd-Ost an, dessen Bau auf zwei Flächen an beiden Spreeufern nahe der Minna-Todenhagen-Brücke schon begonnen hat. Rechnete man bisher zumindest mit einer Teilinbetriebnahme im Jahr 2025, so hat sich dieser Termin laut der Vorlage der Verkehrsverwaltung auf 2026 verschoben. Der neue Betriebshof Süd an der Säntisstraße in Marienfelde soll 2027 in Betrieb gehen.

Kommendes Jahr sollen auch die Weichen dafür gestellt werden, dass in Berlin trotz Elektrifizierung des Busverkehrs weiterhin Doppeldecker verkehren. Die Ausschreibung für deren Entwicklung inklusive Beschaffung soll 2024 erfolgen. »Es gibt einige Hersteller, die bereits elektrische Doppeldecker produzieren, sie erfüllen jedoch nicht die Berliner Anforderungen«, heißt es in der Vorlage. Die bisher weltweit produzierten Modelle haben deutlich weniger Passagierkapazität als die momentan in Berlin fahrenden Doppeldecker.

Die grundsätzliche Erfüllbarkeit der Berliner Vorstellungen hat eine 2022 abgeschlossene Studie belegt. Wenn alles so läuft wie geplant, soll mit der Lieferung von 450 Exemplaren in den Jahren 2029 und 2030 die Elektrifizierung des Busverkehrs abgeschlossen sein. Im Doppelhaushalt 2024/2025 werden die entscheidenden Weichen gestellt, um das Ziel der Komplettelektrifizierung der BVG zu erreichen. Bisher hat das Abgeordnetenhaus 680 Millionen Euro dafür zur Verfügung gestellt; bis 2030 werden laut aktueller Schätzung noch rund 1,45 Milliarden Euro benötigt.

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