Wahlen in Polen: Ein politischer Wechsel ist möglich

Bei der Wahl am Sonntag muss die PiS-Regierung um ihre Macht bangen

  • Joanna Schild
  • Lesedauer: 5 Min.

Die Aufregung war groß. Der polnische Staatssender Telewizja Polska (TVP), allseits bekannt für seine Regierungsnähe, hatte zwei Wochen vor dem Wahltermin eine TV-Debatte mit den wichtigsten politischen Parteivertretern angekündigt. Letzten Montag war es dann soweit. Außerhalb der Primetime, um 18.30 Uhr, ohne Zuschauer und nicht im hauseigenen TV-Studio, sondern in einer gemieteten Halle außerhalb des Stadtzentrums, um mögliche politische Demonstrationen nach der Debatte zu verhindern, begann das sonderbare TV-Ereignis, das über fünf Millionen Zuschauer live mitverfolgten.

Das von TVP vorgegebene Format gab den Teilnehmern insgesamt sieben Minuten Sendezeit, um sechs Fragen zu beantworten. Inhaltlich hätten die teils länger als die vorgegebene Antwortzeit dauernden Fragen in der Parteizentrale der nationalpopulistischen Recht und Gerechtigkeit (PiS) verfasst worden sein können. Den Politikern im Studio war es nicht gestattet, Fragen an ihre Rivalen zu stellen oder auf solche zu antworten. Eine seltsame Art, mit dem öffentlich-rechtlichen Informationsauftrag umzugehen. Hätte der Sender nicht gesetzlich die Pflicht, eine Wahldebatte durchzuführen, hätte sie gar nicht erst stattgefunden, sind viele Kommentatoren überzeugt. Denn die PiS hatte dabei am meisten zu verlieren. Das TVP-Publikum besteht hauptsächlich aus PiS Wählern. Hier werden sie mit den Botschaften der Parteizentrale gefüttert. So war der Auftritt für die Oppositionsparteien die einzige Chance, jenen TVP-Zuschauern etwas zu sagen, die keine anderen Medien sehen, kein Internet nutzen oder sich nur in der PiS-Blase im Internet bewegen.

Kleine Parteien überraschen

Politische Kommentatoren waren etwas überrascht wie gut die kleineren Oppositionsparteien diese Bühne genutzt haben um ihre Wahlinhalte zu vermitteln. Ebenso überraschend war auch der Eindruck, dass die beiden Hauptakteure Donald Tusk von der liberal-konservativen Bürgerkoalition (PO) und Regierungschef Mateusz Morawiecki (PiS) sehr schlecht vorbereitet waren. Ihre Performance beschränkte sich eigentlich auf gegenseitige Seitenhiebe. Ein Symbolbild für das bereits seit fast 20 Jahren dauernde Duopol der beiden größten Parteien. Es hat das Land geprägt und tief gespalten.

Der Autor Tomasz Dwojak sieht die Stärke beider Parteien und der Polarisierung zwischen ihnen unter anderem darin begründet, wie gut sie sich an bestehende Gräben anpassen und an weit verbreiteten Narrativen und nationalen Mythen ausrichten konnten. »Die Spaltung in ein liberales und ein solidarisches Polen passt perfekt zu den Spannungen bezüglich Klasse und Weltanschauung. In das Narrativ der Spaltung in Volk und Eliten. Liberale und Konservative. Patrioten und Kosmopoliten. In ein Polen A und ein Polen B. Eine Spaltung in diejenigen, die von der wirtschaftlichen Transformation nach 1989 profitierten, und diejenigen, die verloren. Beide Parteien verwalteten geschickt die Klassen- und Weltanschauungsunterschiede in der polnischen Gesellschaft.«

Bereits nach der ersten Machtübernahme im Jahre 2005 sprach die PiS weniger wohlhabende, konservative Menschen an, während die PO Großstädter mit höherem Einkommen und liberalen Ansichten adressierte. Der massive illiberale und populistische Staatsumbau startete nach der erneuten Machtübernahme der PiS im Jahr 2015. Wie schon zehn Jahre zuvor machte sich die Partei daran, das »System« zu bekämpfen, wofür die mit EU-Recht in Konflikt stehende »Reform des Justizwesens« das erste Ziel war. Heute, nach acht Jahren Regierungsarbeit, ist die Glaubwürdigkeit der Anti-System-Erzählung etwas verblasst.

Zustimmung für große Parteien schwindet

Auch wenn die Polarisierung und das Duopol als politische Strategie über fast 20 Jahre aufging, so scheinen die Menschen mittlerweile daran zu ermüden. Das Magazin» Tygodnik Powszechny« veröffentlichte kürzlich eine Analyse von Jarosław Flis, Soziologe der Jagiellonen-Universität in Krakau. Die Überzeugung, dass nur PiS und die Bürgerplattform KO (zu der auch die PO gehört) im Kampf um die Macht den Wählern wichtig sind, sei weit von der Realität entfernt, und das schon seit geraumer Zeit. Sowohl die PiS als auch die KO haben heute weniger Unterstützung als ihr eigener Juli-Umfragen-Durchschnitt in den letzten vier Wahlen. Beide Parteien haben bereits schlechter abgeschnitten, aber gleichzeitig liegt jede Partei heute mehrere Prozentpunkte unter ihrem besten Ergebnis.

Einer der Gründe für diese Ermüdung könnte die »Hochdruck-Politik« der vereinigten Rechten und der KO sein, die die Polarisierung am Köcheln hält. Laut Buchautor und Journalist Tomasz Sawczuk zielt diese Kommunikationsstrategie darauf ab, den gesamten politischen Raum mit einem bestimmten Inhalt zu füllen, der die politische Situation auf günstige Weise darstellt. Es ist eine Politik der unablässigen politischen Stimulierung, der Gestaltung der Bedürfnisse und Wünsche der Bürger und der Lenkung der Wahrnehmung der Wähler. Es geht um die Beherrschung des Raums und ist ein permanenter Kampf um Begriffe, Emotionen und die Aufmerksamkeit der Menschen.

Drängende Probleme nicht angesprochen

Sowohl die von der PiS geführte emotional-aggressive Wahlkampagne als auch die Wahldebatte konzentrierten sich thematisch hauptsächlich auf eigene Stammwähler ohne die moderate Mitte anzusprechen. Die während der Debatte gestellten Fragen befassten sich mit Themen, die eher für Spindoktoren als für Polinnen und Polen heute wirklich relevant sind. Kein Wort zur Zukunft in der EU, zu der demografischen Krise, zur grünen Transformation, zu den Veränderungen, die Künstliche Intelligenz und Robotisierung mit sich bringen werden, oder zu der Wohnungskrise.

Die »Hochdruck-Politik« passt gut zum Regierungsmodell der Nationalpopulisten, da sie auf dem Prinzip der Kontrolle und nicht der Freiheit beruht. Doch die TVP-Debatte hat gezeigt, dass diese Kontrolle eine Illusion sein kann. Bekommt das Duopol Risse? Die kleineren Oppositionsparteien scheinen auf die kommenden Herausforderungen besser vorbereitet zu sein als die Big Player. Eines ist fix: Der öffentlich-rechtliche Rundfunk in seiner jetzigen Form wird mit dem nächsten Machtwechsel in Polen sein Ende finden.

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