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Thomas Kapielski : Katapulte zum Selberbauen

Neues und Altes aus der »Lebendmasse« – Thomas Kapielski interviewt Thomas Kapielski

  • Frank Willmann
  • Lesedauer: 4 Min.

Der große Berliner Kauderwelsch Thomas Kapielski hat sich selbst interviewt, ähnlich wie Louis-Ferdinand Celine, Klaus Kinski oder Julie Zeh. Für die Nachwelt und alle Fans werden in acht Kapiteln die wesentlichen Punkte der kapielskischen Biografie von ihm persönlich gedeutet. Sie heißen »Verkanntentreffen, Katapult, Ehrengrab« oder »DJ Erwin, Hartfaser, Klogriff« und so weiter.

In Berlin-Charlottenburg 1951 zur Welt gekommen, kam Kapielski mindestens bis Kreuzberg und Neukölln, wo er als Gottesbeweiser, Apothekenzeitungsleser, Krachmusikant und Nasenflötenartist in legendären Kneipen wie »Der Goldene Hahn« oder »Der Blaue Affe« mitunter für Beifallsstürme unter den Mittrinkenden sorgte. Las sich sein letzter Roman »Kotmörtel« vor drei Jahren zäh wie Kunstleder, findet er nun zu alten Bumms zurück. Keine komische politische Litanei trübt seine Erinnerungen, denn »Theorien sind immer etwas beglückend Schönes, schöner Wahnsinn, und sie werden ständig durch etwas Besseres ersetzt …Quarks … Darwin …Gender«.

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Seine große Zeit wurden die goldenen 80er Jahre in Westberlin. Als Künstler fand er schnell ein paar Galeristen, die seine dadaistische Allroundarbeiten zeigten und gewinnbringend unter das Volk der Sammler*innen brachten. Berühmt ist beispielsweise seine kürzeste Theke der Welt, eine kleine Holzskulptur, die eine Theke darstellt. In seinen Memoiren erzählt er nun, dass ihn Literatur nicht ernährt, die Kunst aber schon. Für ein Buch, an dem er zwei Jahre schreibt, schiebt ihm Suhrkamp zwei bis drei dicke Scheine rüber. Wenn hingegen eine Ausstellung naht, baut er seine Küche zum Atelier um, besorgt sich eine Laubsäge, Holz, Farben, Krimskrams. In seinem voluminösen Oberstübchen hat er längst die neuen Kunstwerke aufgelistet, die in ein paar Wochen Fummelei entstehen und ihn monatelang ernähren werden.

Für seinen Ruhm waren die 90er dann nicht mehr ganz so doll, auch wenn zu jener Zeit sein Hauptwerk »Gottesbeweise« das trübe Licht der Buchhandlungen erblickte. In den Kneipen saß er hingegen konstant. Gern am Stammtisch zu regelmäßigen Zeiten, man möchte ja schließlich wahrgenommen werden, Vorbild sein. »In der Kneipe schämt man sich all den hoch talentierten, sympathischen Hauptschulabgängern gegenüber, da sie über eine Eloquenz aus dem Stegreif verfügen, dass einem die Ohren schlackern«, sagte er mal.

Kapielski war immer meinungsfreudig, provozierte gern und ließ in seinen späten Jahren ein wenig den Konservativen raushängen. Moderne Literatur? Alles Mist, er lese höchstens zehn Seiten, auch von Kollegen. Moderne Kunst? Bleibt ihm fern damit! Humor ist der Bruder der Verzweiflung: Er bekommt gerade mal 700 Euro Rente. Ich fordere die Rentenkasse hiermit auf, das Kapielski-Salär sofort auf 2000 Euro zu erhöhen!

Im Zeitalter betriebsnudeliger Wohlfühl- und Korrekt-Literatur ist ein halbweiser Aufmucker wie Kapielski erfrischend. Manchmal staunt er Bauklötze über seinen Werdegang, und wenn er was durcheinanderbringt, geschieht das absichtlich. Das Buch kommt gut als Lektüre auf Parkbänken oder in der U-Bahn. In einem Rutsch kann man es aber nicht lesen, es hat fast 470 Seiten. Wer es dennoch versuchen will, dem sei geraten, sich alle 30 Minuten eine Pause zu gönnen und manches einfach zu überlesen, weil Kapielski oft manieriert und weitschweifig loslabert. Er kreist zu doll um seinen Kosmos. Wichtig hingegen: Er hat einen katholischen Betbruder als Brieffreund. Das ist auf eine bekloppte Art toll, wenn schon Mummenschanz, dann richtig.

Zur Sprache kommt auch dieser Skandal, der ihn bis heute verfolgt: 1988 bezeichnete er auf den Berliner Lokalseiten der »Taz« die Discothek Dschungel als »gaskammervoll«. Das sollte ironisch sein, und Rolf Dieter Brinkmann hatte früher schon mal so etwas Ähnliches formuliert, ohne Probleme zu bekommen. In der »Taz«-Redaktion tobte aber ein Sturm der Entrüstung, zwei Redakteurinnen, die sich von ihm nicht distanzieren wollten, mussten gehen. Und was tat er? »Ich habe mich doof und tot gestellt«, denn die Tazler wollten »eigentlich nur die bühnengerechte Zerknirschung und Bußgeste sehen (…) oder wollten, noch besser, hervorstöbern, dass ich ein verkappter Nazi bin, ansonsten hast du die da nur gestört bei ihrer Empörung«. Er hat sich dem verweigert, wie er sich vielem verweigert hat. Aber er betont: »Wer mich für einen Gaskammerbefürworter hält, hat einen Knall. Punkt.«

Als Postbote hat Kapielski mal im guten alten Westberlin gearbeitet, in den 90ern gab er für ein paar Jahre den Professor irgendwo in Niedersachsen. Doch sein Vertrag wurde nicht verlängert, weil er seine Studenten unter anderem dazu motivierte, ihre Arbeiten mit selbst gebauten Katapulten durchs Unigelände zu pfeffern. Schade, das ist doch große Kunst.

Thomas Kapielski: Lebendmasse. Acht längere Unterredungen. Suhrkamp, 464 S., geb., 22 €.

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