• Kultur
  • Podcast »Telephobia«

Podcast »Telephobia«: Therapeutische Zeitreisen

Journalistin Lea Utz hilft im Podcast »Telephobia« Menschen, endlich den schwierigsten Anruf ihres Lebens zu machen

  • Susanne Gietl
  • Lesedauer: 4 Min.
Viele kennen die Angst vorm Telefonieren. Aber nicht alles kann man per Messenger klären.
Viele kennen die Angst vorm Telefonieren. Aber nicht alles kann man per Messenger klären.

Es gibt Telefongespräche, die wir über Jahre hinauszögern. Man könnte einfach zum Telefon greifen, und dann wäre die Sache erledigt. Aber man tut es nicht. Die Redakteurin Lea Utz begleitet in »Telephobia« Menschen, die Angst vor einem bestimmten Anruf haben. Entstanden ist ein berührender, aber auch witziger Podcast über die »Was wäre, wenn?«-Frage.

Wer möchte, wendet sich per Sprachnachricht an Lea, um am Podcast teilzunehmen. Andere kennt Lea schon. Ganz gleich, ob Kollegin oder Kollege, Freundin, Freund oder fremd, Lea bringt allen die gleiche Offenheit entgegen.

In der Fußgängerzone lernt Lea zum Beispiel Erika kennen. Die Rentnerin ist auf der Suche nach ihrer besten Freundin Dori. Vor 50 Jahren waren sie und Dori unzertrennlich. Da waren sie 17, »jung und knackig«. Erika hat weder Doris Nummer noch andere Kontaktdaten. »Ich habe exakt dieselbe Mission, wie ein kleiner oranger Clownfisch im zweiten Teil eines bekannten Animationsfilms«, kommentiert Lea ihren Auftrag. »Ich muss Dori finden.« Die beiden tauchen tief in Erikas Vergangenheit ein. Sie gehen bis zu dem Punkt, an dem sich die Freundinnen verloren haben. Dann fragt sich Lea: Was bleibt nach 50 Jahren von einer Freundschaft übrig?

Lea kommentiert ihre Recherchen, was zuweilen recht witzig sein kann. »Weil heutzutage niemand mehr ans Telefon geht, wenn eine unbekannte Nummer anruft«, nennt sie ihren Telefon-Podcast kurzerhand »Brief-Podcast«. Oder auch »Urheberrechts-Podcast«, wenn sie mit Hanna den einen 1000-Euro-Anruf macht, der sie vor einer Urheberrechtsstrafe bewahren soll. Wenn sie Mimi dabei unterstützt, den Mann anzurufen, der durch einen Unfall ihr ganzes Leben verändert hat, macht sie einen »Selbstfürsorge-Podcast«.

Jede dieser Situationen lässt Lea lebendig werden. Sarahs Arzt-Odyssee vergleicht sie mit der einen Szene aus »Asterix«, in der Asterix und Obelix für den Passierschein A38 von A nach B nach C irren und dann wieder mit dem richtigen Formular nach A. Die Journalistin ist immer ehrlich. Wenn sie sich unwohl fühlt, sagt sie das. Hört sie unverständliches Anwaltslatein, setzt Lea ihr Pokerface auf. Es menschelt gewaltig. Man spürt, wie Lea zu ihren Schützlingen eine emotionale Bindung aufbaut. Und so ist jede der Anruffolgen auf ihre Art und Weise berührend.

Selbst bei Susi, die ihre Musiknoten vermisst, und bei Leas Kollege Philipp, der eigentlich nur seiner Lieblingsspielkarte aus der japanischen Manga-Serie »Yu-Gi-Oh!« nachtelefonieren möchte, schwingt noch mehr nach. Denn wenn Philipp sein Gegenüber anruft, dann begegnet er dem elfjährigen Philipp wieder, der seinen Mitschülerinnen und Mitschülern nach ihrem Referat kleine Kritikzettelchen zusteckte. Heute ist Philipp das peinlich.

Auch Norman drückt in Erinnerung wieder die Schulbank. Er wurde gemobbt und beschreibt, wie ihm in der Schule auf den Kopf gespuckt wurde. »Ich bin dieses Gefühl nicht losgeworden«, gesteht er. Norman weiß noch immer, wo die Stelle ist, auf die gespuckt wurde. »Ein kleines Stück rechts über dem Haarwirbel hinten auf Normans Kopf«, ergänzt Lea und lässt Norman weiter zurückblicken.

Lea skizziert Menschen, Situationen, Orte. Sie hört allen zu und will verstehen, was genau zu dem Nicht-Anruf führte. Zu zweit bilden sie ein unschlagbares Team, weinen und lachen gemeinsam. Bis sie sich schließlich trauen, diesen einen Anruf zu tätigen.

Bei jedem neuen Fall steht für Detektivin und Telefonseelsorgerin Lea fest, dass sie nicht aufgeben wird, bis dieser eine Anruf passiert. Sie nimmt die oder den Betreffenden an die Hand, führt klärende Gespräche, damit beide bestens vorbereitet sind. Sie fragen sich, wie man damit umgeht, wenn diese eine Sache, die man schon ewig vermisst, nicht mehr auftaucht. Was passieren würde, wenn die andere Person den Anruf annimmt – oder wie man darauf reagiert, wenn jemand trotz Sprachnachricht nicht zurückruft.

Lea fühlt sich verantwortlich, dass es ihrem Gegenüber gut geht. Deshalb versucht sie auch, für ihre Gesprächspartnerinnen und -partner alle Hindernisse aus dem Weg zu räumen, damit es letztlich zu diesem einen klärenden Anruf kommen kann. Mit der Betonung auf »kann«. Denn Lea unternimmt in ihrem Mut-mach-Format »Telephobia« therapeutische Zeitreisen mit ungewissem Ausgang. Manchmal wartet sie mit ihren Partner*innen auf dieses »Können« Wochen oder Monate. Doch würden sie diesen einen Anruf nicht wagen, würden sie nie erfahren, wie es gewesen wäre, hätten sie sich nicht getraut.

Verfügbar in der ARD-Audiothek und bei allen gängigen Audio-Streamingdiensten.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal