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Wie der Iran ein neues Wir-Gefühl schaffen will
Mit den Drohungen gegen Israel versucht das iranische Regime, den Krieg nach außen wie nach innen für sich zu nutzen
Am Mittwochabend vereinen sich alle großen Konflikte im Nahen Osten auf den Bildschirmen des iranischen Fernsehpublikums zu einem. Im Jemen, im Irak, im Libanon, in Syrien, im Gazastreifen würden sich die »Kräfte des Widerstands« zu einer gewaltigen Kraft ballen, wird in einem Bericht des Staatsfernsehen in martialischer Sprache verkündet. Im Zentrum dieses Sturms: Israel, das seit nun zwei Wochen wieder im Zentrum der iranischen Propaganda steht.
Aber wie weit würde die Führung in Teheran wirklich gehen? Am Mittwoch gestattete sie im Staatsfernsehen einen Einblick, wie die Strategie aussehen können: Anstatt direkt vom Iran aus würden die vielen kleinen und großen bewaffneten Gruppen losschlagen, die die Revolutionsgarden in den vergangenen Jahren an vielen Orten in der Region ausgerüstet und ausgebildet haben. Und um gleich die Frage zu beantworten, wie die finanzschwachen Huthi-Milizen im fernen Jemen Israel treffen könnten, lieferte man die Information mit, dass die Organisation nun, mit Unterstützung aus Teheran, über Raketen mit einer Reichweite von über 1000 Kilometern verfüge.
Im Krieg zwischen Israel und der Hamas sowie dem Islamischen Dschihad spielt der Iran eine zentrale Rolle. Der Terroranschlag auf Israel, bei dem wahrscheinlich über 1300 Menschen ermordet und gut 200 in den Gazastreifen entführt wurden, war sorgsam von langer Hand geplant. Die Zweifel daran, dass die beiden Organisationen dies ohne Hilfe von außen stemmen konnten, sind groß. Und aus Sicht des israelischen Regierungschefs Benjamin Netanjahu sind die iranischen Revolutionsgarden die wahrscheinlichsten Unterstützer, auch wenn nach Ansicht der US-Regierung dafür bislang die Beweise fehlen. Und auch die iranische Regierung bestreitet eine Beteiligung, natürlich.
Teller und Rand ist der nd.Podcast zu internationaler Politik. Andreas Krämer und Rob Wessel servieren jeden Monat aktuelle politische Ereignisse aus der ganzen Welt und tischen dabei auf, was sich abseits der medialen Aufmerksamkeit abspielt. Links, kritisch, antikolonialistisch.
Stattdessen scheint man sich nun die sehr gespannte Atmosphäre in der arabischen Welt zunutze machen zu wollen. Schon Ajatollah Ruhollah Khomeini, der Hauptprotagonist der Islamischen Revolution, propagierte eine Feindschaft zu Israel und den USA, um in der arabischen Welt an Einfluss zu gewinnen. Der Effekt war gering. In Syriens Diktatoren-Dynastie Al-Assad fand man gute Freunde; im Libanon schaffte man es, die Hisbollah zu einer sehr einflussreichen Kraft aufzubauen, und auch im Irak haben die von den Revolutionsgarden unterstützten Milizen reichlich an politischem Einfluss gewonnen. Abgesehen davon fremdeln die arabischen Regierungen und die iranische Führung gewaltig miteinander.
Vor allem aber scheint die Führung im Land ein neues Wir-Gefühl schaffen zu wollen. Über einen sehr langen Zeitraum zog eine beispiellose Protestwelle für bürgerliche Freiheit durch das Land. Das Regime reagierte mit Massenverhaftungen, Folter, langen Haftstrafen, Todesurteilen. Mittlerweile gehen nur noch wenige auf die Straße. Aber die Saat war schon lange ausgebracht, bevor die erste Frau ihr Kopftuch abzog, ihr Haar auf der Straße zeigte, mehr folgten.
Mitte 2021 wurde Ebrahim Raisi mit nur 30,39 Prozent aller registrierten Wähler zum Präsidenten gewählt. 51,52 Prozent der Wahlberechtigten waren nicht zur Wahl gegangen. Und das ist im Iran grundsätzlich kein Desinteresse, sondern eine Aussage: Raisi ist eines der Urgesteine der Islamischen Revolution. 1988 soll er als Ankläger an der Hinrichtung von mindestens 5000 politischen Gefangenen mitgewirkt haben. Gleichzeitig zeigt das Ergebnis auch, wie gering die Unterstützung für das Regime heute ist. Sein Wahlergebnis wurde im Iran allgemein als klares Statement zum Regime gewertet. Und dort fällt man nun in die politischen Verhaltensmuster der Achtzigerjahre zurück: Repression. Und Propaganda: Man stellt sich als Verteidiger des Islam, der heiligen Stätten dar. Stark, selbstbewusst, unbesiegbar.
Doch soweit sich das in einem mal mehr, mal weniger für westliche Journalisten zugänglichen Land beurteilen lässt, sehen sehr viele das anders. Schon seit Langem stellten die Menschen die Frage, was sie mit der Hamas, der Hisbollah oder den Huthi zu schaffen haben. Im Land herrscht, verursacht durch politische Unfähigkeit, Korruption und die Abschottung vom Westen, eine tiefe Wirtschaftskrise, eine hohe Inflation. In vielen Regionen fehlt es an sauberem Trinkwasser. Warum die Revolutionsgarden die knappen Devisen dafür ausgeben, anderswo Leute mit Raketen und Geld zu beschenken, wurde nicht mehr verstanden. Und bei jeder Reise in den vergangenen zehn Jahren wurde die Zahl der Menschen geringer, die sich hinter die offizielle Linie stellten.
Dies scheint auch, ausgerechnet, an der Zensur von Medien und Internet zu liegen. Das Umgehen der Sperren scheint Volkssport zu sein, und Informationsquellen sind vor allem die persischen Angebote westlicher Medien. Wenig konsumiert werden hingegen die staatlichen Sender und streng zensierten Zeitungen. Das wiederum macht es der Propaganda schwer, in die Köpfe einzudringen.
Bevölkerung und Regime, das sind heute zwei verschiedene Welten mit nur noch wenig Berührungspunkten. Grund: Der Wächterrat, der Kandidaten für öffentliche Ämter streng nach Regimetreue aussiebt, wirkt auch als Meinungsfilter.
Westliche und arabische Regierungsvertreter halten es für zumindest denkbar, dass die Drohungen im Fernsehbeitrag am Mittwoch tatsächlich umgesetzt werden. Allerdings wird auch die Frage gestellt, ob Hisbollah oder Huthi wirklich Interesse daran haben, sich einen weiteren Krieg ins eigene Land zu holen. Denn im Jemen bahnt sich gerade ein dauerhafter Waffenstillstand an; nach vielen Jahren des Krieges liegen große Teile des Landes in Trümmern, greifen Hunger und Krankheiten um sich. Der Libanon befindet sich in einer schweren Wirtschaftskrise. Und im Irak befindet man sich ohnehin in einer politischen und wirtschaftlichen Dauerkrise.
Eine weitere Eskalation würde wahrscheinlich nicht durch reinen Zuruf aus Teheran ausgelöst. Sondern durch hohe Opferzahlen auf der palästinensischen Seite, drastische Bilder, ganz gleich, wie hoch ihr Wahrheitsgehalt ist.
Eine direkte Konfrontation mit Israel scheint man in Teheran indes vermeiden zu wollen. Man unternimmt viel, um nicht als direkt beteiligt wahrgenommen zu werden. Und lenkt gleichzeitig das Bedrohungsszenario auf die Milizen.
Gleichzeitig sucht die iranische Regierung nun noch stärker den Kontakt zu Russland, von dessen Regierung man sich wohl gleichermaßen einen Ausweg aus den Sanktionen der USA und eine Abschreckung nach außen verspricht. Die Hoffnung auf die Regierung Katars hingehen erfüllte sich nicht. Seit den Anschlägen in Israel äußert man sich in Doha Hamas-freundlich, verpasste aber der iranischen Führung gleichzeitig einen Dämpfer. Im September wurden fünf im Iran inhaftierte US-Bürger freigelassen; im Gegenzug sollte Katar sechs Milliarden US-Dollar freigeben, die dort auf einem Bankkonto liegen. Vor einigen Tagen wurde jedoch bekannt, dass das Geld erst einmal dort bleibt.
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