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Für ein friedliches Silvester 23: Senat setzt auf Prävention

Zum dritten Gipfel gegen Jugendgewalt zieht der Senat positive Bilanz, kann aber den sozialen Trägern keine Langzeit-Finanzierung versprechen

Nach dem 7. Oktober brannten in Neukölln wieder die Barrikaden. Der Senat möchte mit sozialen Maßnahmen Jugendgewalt verhindern.
Nach dem 7. Oktober brannten in Neukölln wieder die Barrikaden. Der Senat möchte mit sozialen Maßnahmen Jugendgewalt verhindern.

Es ist der dritte Gipfel gegen Jugendgewalt in diesem Jahr, der erste des Regierenden Bürgermeisters Kai Wegner (CDU). Er führt das Erbe seiner Vorgängerin Giffey (SPD) weiter, die Anfang des Jahres als Antwort auf die Silvester-Krawalle Akteur*innen aus Sicherheits- und Ermittlungsbehörden und aus der Jugendsozialarbeit zusammentrommelte, um die Jugendkriminalität in Berlin an ihren Wurzeln zu packen.

Wenige Tage nachdem in Neukölln erneut Barrikaden gebrannt haben, und knapp zwei Monate vor Silvester 2023 zieht Wegner zusammen mit der Bildungssenatorin Katharina Günther-Wünsch (CDU), dem Neuköllner Bezirksbürgermeister Martin Hikel (SPD) und der Polizeipräsidentin Barbara Slowik Bilanz. Kaum überraschend klopfen sich die Verantwortlichen gegenseitig auf die Schultern: Wie schon im August verkündet, wurden in der Schulsozialarbeit 60 neue Stellen geschaffen, die allerdings noch nicht alle ausgeschrieben wurden. Im September wurden 15 zusätzliche Stadtteilmütter eingestellt. Einige Maßnahmen stünden außerdem kurz vor der Umsetzung: Im Oktober sollen 38 gewaltpräventive Projekte starten, etwa ein Angebot zum Mitternachtssport in der Weißen Siedlung in Neukölln. Insgesamt stehen für 2023 18,4 Millionen Euro und für 2024 und 2025 jeweils über 40 Millionen Euro bereit.

Immer wieder betont Wegner: »Jugendgewalt ist kein neues Phänomen. Das war schon ein wichtiges Thema, als ich Landesvorsitzender der Jungen Union war.« Ein Marathon, kein Kurzstreckenlauf sei hier zu bewältigen. Dabei setze der Senat auf Prävention und Repression. »Wir wollen keinen einzelnen jungen Menschen in dieser Stadt zurücklassen«, verkündet Wegner. »Aber wir werden nicht alle erreichen.« Er versicherte, in der kommenden Silvesternacht das Gesetz durchzusetzen, »wie in jeder anderen Nacht auch«.

Barbara Slowik geht genauer auf das Wie ein: So werde sich die Polizei eng mit den Rettungskräften abstimmen, um deren Schutz zu gewährleisten. Als Präventionsmaßnahme sollen außerdem Berliner Polizist*innen, »vielleicht mit arabischem Hintergrund, vielleicht aus denselben Teilen der Stadt«, als Botschafter*innen in den sozialen Medien gegen Gewalt werben.

Alle Anwesenden sprechen sich für den kontinuierlichen Ausbau der Jugendsozialarbeit aus. Hikel vergleicht einmalige Projekte mit Raketen, »die fliegen in die Luft, leuchten, aber verpuffen«. Wichtiger sei deshalb die nachhaltige Stärkung von Regelstrukturen. Doch auf die Frage, wie der Senat denn die langfristige Förderung der beteiligten sozialen Träger über 2025 hinaus sicherstellen wolle, antwortet Wegner nur mit einem Allgemeinplatz: »Wir brauchen mehr Verlässlichkeit, das hat nicht nur mit dem Thema Jugendgewalt zu tun, sondern auch mit anderen freien Trägern, die lediglich eine Jahresfinanzierung bekommen.« Das wolle er grundsätzlich ändern.

Von den bisher ausgeschütteten Geldern hat der Humanistische Verband (HVD) Berlin-Brandenburg ein Projekt für Mädchen in der Highdeck-Siedlung in Neukölln entwickelt. Seit September gibt es die »Mädchen*Räume« für Mädchen zwischen zwölf und 21 Jahren. Sie sollen dort Gelegenheit finden, sich frei zu bewegen, Sport- und Tanzangebote zu nutzen und »einfach ihre Freizeit verbringen«, wie es auf der Website heißt.

Thomas Fehse, Abteilungsleiter für den Bereich Jugend des HVD, freut sich zwar über die Finanzierung dieses neuen Angebots. Doch die Mittel, die im Rahmen des Gipfels gegen Jugendgewalt beschlossen wurden, schaffen vor allem eines nicht: Kontinuität. Die Finanzierung der »Mädchen*Räume« sei für 2024 noch nicht gesichert. »Für die kommenden Jahre und den folgenden Doppelhaushalt haben wir noch keine Aussage«, sagt Fehse zu »nd«.

Bei anderen Jugendprojekten des HVD sieht es ähnlich aus. Eine queere Jugendeinrichtung in Treptow steht seit der Eröffnung Anfang 2023 auf wackligen Füßen. Die Finanzierung für 2024 sei zwar mittlerweile gesichert, sagt Fehse gegenüber »nd«. »Aber der Subtext ist immer, in zwei Jahren wird die Haushaltslage schlecht sein, weil dann die Haushaltsrücklagen aufgebraucht sind.« 2026 könnte es demnach wieder eng werden. Jugendeinrichtungen müssten sich aber etablieren: »Gerade bei so einem vulnerablen Klientel wie queere Jugendliche braucht es Zeit, bis sie sich trauen zu kommen.«

Die Maßnahmen gegen Jugendgewalt änderten in seinen Augen nichts an der prekären Finanzierungslage, im Gegenteil: »Es ist ein grundsätzliches Problem, dass erstmal 100 Millionen rausgehauen werden und dann unweigerlich bei engem Haushalt wieder die Kürzungen folgen.«

Diese Unsicherheit beeinträchtige zum einen die Arbeitsbedingungen. Schon jetzt habe der HVD Probleme, Stellen zu besetzen. »Bei dem ständigen Rauf und Runter können wir keine Fachkräfte halten.« Zum anderen würden am Ende auch die Jugendlichen darunter leiden. Fehse betont die schwierige Lebenssituation vieler junger Menschen in sozialen Brennpunkten. »Extrem viele haben keinen deutschen Pass. Weil sie nicht wählen dürfen, sind sie für die Politik nicht interessant. Und sie wissen, dass sie schwieriger einen Ausbildungsplatz oder eine Wohnung finden.« Letzten Endes handele es sich um klassische Armutsfragen. »Wenn dann irgendwann die Barrikade brennt, wundert mich das nicht«, bezieht er sich auf das vergangene Silvester wie auch auf die aktuellen Krawalle in Neukölln.

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