- Politik
- Streit um Clara Zetkin
Diskreditierung Clara Zetkins abgewendet
Gemeinderat Tübingen stoppte auf Antrag von Linke, SPD und Grünen Negativmarkierung in der nach der Kommunistin benannten Straße
Es ist ein Erfolg, ein hart errungener dazu. Die Clara-Zetkin-Straße in Tübingen wird keine »Knoten« unter den Straßenschildern und auch nicht den Hinweis bekommen, dass die Namensgeberin »umstritten« oder eine Demokratiefeindin sei. Das entschied der Gemeinderat der baden-württembergischen Stadt in seiner Sitzung am Donnerstagabend.
Dem war eine mehr als ein halbes Jahr währende Kampagne des Aktionsbündnisses »Kein Knoten für Zetkin« gegen die Markierung vorangegangen, die ebenso in nach Kolonialverbrechern und Wegbereitern des Faschismus benannten Straßen angebracht werden sollte. Im Bündnis engagierten sich etwa zwei Dutzend linke und antifaschistische Gruppen, Friedensinitiativen, Frauenverbände, aber auch die Zetkin-Gedenkorte und -Museen für die bedeutende linke Politikerin und Frauenrechtlerin aus Stuttgart, Wiederau und Birkenwerder bei Berlin.
Vor der gut besuchten Tübinger Gemeinderatssitzung hielten mehrere Beamte des Ordnungsamtes Wache. Die Verwaltung brachte sie in Stellung, um gegen etwaige Störungen aus dem Publikum vorzugehen. Den Antrag für den Verzicht auf Anbringung eines »Knotens« aus dem 3D-Drucker in der Clara-Zetkin-Straße brachten die Fraktionen von Linke, SPD und Alternative Liste/Grüne gemeinsam ein. Er erhielt am Ende eine große Mehrheit von 20 Ja-Stimmen. Fünf Gemeinderät*innen waren für einen Knoten und sieben enthielten sich. Eine knappe Mehrheit fand sich derweil für die Markierung der nach dem Reichskanzler Otto von Bismarck (1815–1898) benannten Straße mit einem solchen Knoten.
Aber wie war es überhaupt zum Knoten-Plan gekommen? Die Stadtverwaltung hatte eine wissenschaftliche Kommission unter Leitung des Historikers Johannes Großmann beauftragt, elf Namensgeber von Tübinger Straßen zu überprüfen, die mit Faschismus, Kolonialismus und Kriegsverbrechen in Verbindung stehen, und eine Empfehlung abzugeben, ob diese umbenannt werden sollten. In den Straßen wurden bereits »Knoten« angebracht – als Hinweis darauf, dass zu den Biografien der Namensgeber geforscht wird.
Im Januar legte die Kommission ihren Abschlussbericht vor, in dem sie noch sieben weitere Personen unter die Lupe genommen hatte, nach denen in Tübingen Straßen benannt sind – darunter auch Clara Zetkin. Wie bei einigen anderen Personen empfahl die Kommission zwar keine Umbenennung der Straßen, aber die Beibehaltung der Knoten-Markierung.
Das Aktionsbündnis hatte bereits Anfang des Jahres auf die Einschätzung der Expertenkommission reagiert und die von dieser gegen Zetkin erhobenen Vorwürfe der »Mitwirkung an Justizverbrechen und Demokratiefeindlichkeit« mit zahlreichen historischen Quellen entkräftet. Die Stadt hielt dennoch an der dauerhaften Markierung der Straße fest.
Gerlinde Strasdeit, Gemeinderätin der Linken, sagte in der Sitzung: »Der aufklärerische Charakter der Knoten ist diskreditiert, wenn man Clara Zetkin auf eine Stufe mit Rassisten und Nazis stellt.« Die stellvertretende Gemeinderatsvorsitzende Susanne Bächer (AL/Grüne) bezeichnete die Diskussion um den Knoten als einen »Kulturkampf«, der typisch für Tübingen sei. Unter den Gästen der Gemeinderatssitzung befanden sich sowohl Burschenschafter als auch Linke.
Dagmar Waizenegger, Leiterin des Fachbereichs Kunst und Kultur der Stadtverwaltung, warf dem Aktionsbündnis »verbissenes Bemühen um Deutungshoheit« vor. Es habe die Debatte »emotionalisiert« und die wissenschaftliche Kommission angegriffen. Argumente, die das Bündnis auf seiner Webseite zur Verfügung stellte, seien »keine fundierte Gegendarstellung, da sie von Personen kommen, die nicht an den Universitäten forschen«, meinte Waizenegger.
Sophie Voigtmann, Sprecherin des Aktionsbündnisses, zeigte sich angesichts solcher Vorwürfe besorgt: »Es ist krass, dass unser Protest bis in die Sitzung hinein diffamiert wurde, obwohl wir von Anfang an mit wissenschaftlichen Fakten argumentiert haben.« Strasdeit widersprach der Kulturamtsleiterin: »Wir lassen uns von niemandem vorwerfen, wir hätten die Kommission unpfleglich behandelt. Wir haben gemeinsam mit Johannes Großmann eine Podiumsdiskussion veranstaltet und uns persönlich unterhalten.«
Auch SPD-Gemeinderat Martin Sökler betonte, für die Auseinandersetzung um einen Straßennamen seien keine »akademischen Weihen« nötig. Obwohl Zetkin den »Kommunismus Leninscher Prägung unterstützt« habe, überwögen, so der Sozialdemokrat, ihre »herausragenden Leistungen«.
Vor der Sitzung nahmen etwa 50 Menschen an einer Kundgebung des Aktionsbündnisses teil. Vertreten waren die Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend (SDAJ), die ehemalige Linke-Bundestagsabgeordnete Heike Hänsel, Gemeinderätin Strasdeit, die Kommunistische Organisation, der Frauenverband Courage und die Informationsstelle Militarisierung (IMI). Hänsel erinnerte daran, dass Zetkin, damals noch Sozialdemokratin, vor Beginn des Ersten Weltkriegs zur kleinen Minderheit der Gegner einer Bewilligung der Kriegskredite durch die SPD gehörte. »In einer Zeit, in der die Kriegseuphorie auch die Sozialisten erfasst hatte und fast alle sozialistischen Parteien Europas für den Krieg stimmten, hielt Clara Zetkin das Klasseninteresse hoch und nicht das Volksinteresse«, sagte Hänsel.
Die Benennung der Clara-Zetkin-Straße in Tübingen geht übrigens auf einen Vorschlag der Deutschen Kommunistischen Partei aus dem Jahr 1985 zurück. Jacqueline Anders von der IMI forderte, die Stadt solle Menschen, die sich für soziale Gerechtigkeit einsetzten, neue Straßennamen widmen, statt sie zu stigmatisieren. Bündnissprecherin Voigtmann freute sich über die Entscheidung des Gemeinderats: »Das ist ein kleiner Sieg.«
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