Reiche Flüchtlinge

Eine neue Studie zeigt die Kosten der globalen Steuervermeidung – und was dagegen getan werden kann

Niedrige Steuern, große Boote: Port Hercule, der zentrale Yachthafen des Fürstentums Monaco
Niedrige Steuern, große Boote: Port Hercule, der zentrale Yachthafen des Fürstentums Monaco

Ihre Konkurrenz um Anteile am globalen Reichtum führen Staaten nicht nur über Subventionen, Lohnhöhen und andere Formen der Standortpolitik. Auch per Steuerpolitik versuchen sie, Investor*innen anzulocken. Den Wohlhabenden der Welt und ihren Unternehmen eröffnet dies große Freiheiten, ihr Geld global zu verteilen, zum Wohle der Nachsteuerrendite. Eine neue Studie nennt nun Profiteure und Verlierer dieser globalen Kapitalwanderung und kalkuliert, was eine Milliardärssteuer bringen würde.

Angesichts der hohen Ausgaben für Rüstung, Digitalisierung, Batterien und andere Klimaschutztechnologien suchen Regierungen in Europa und Nordamerika händeringend nach Geldquellen. Naheliegend wäre eine stärkere Besteuerung des Reichtums, der in den vergangenen Jahrzehnten immer stärker geschont worden ist. Doch wird Forderungen nach höheren Steuern für Millionäre oder Unternehmen stets entgegengehalten, dies berge die Gefahr der Kapitalflucht in Steuerparadiese und Offshore-Finanzplätze. Tatsächlich ist das Ausmaß der globalen Steuervermeidung beeindruckend, wie eine Untersuchung des EU Tax Observatory der Paris School of Economics zeigt.

Zehn Billionen Dollar in Steueroasen

Laut dieser Studie, an der über 100 Wissenschaftler*innen mitgearbeitet haben, ist es für reiche Privatpersonen allerdings schwieriger geworden, ihr Vermögen in Steueroasen zu verbergen. Denn seit 2017 gibt es einen globalen, automatischen Austausch von Bankdaten, der Steuerhinterziehung riskanter macht. Die Folge: Die Reichen der Welt haben zwar immer noch einen Betrag in Steueroasen geparkt, der zehn Prozent der Weltwirtschaftsleistung (Bruttoinlandsprodukt, BIP) entspricht, also rund zehn Billionen Dollar. Allerdings dient davon laut Studie schätzungsweise nur noch ein Viertel der Steuerhinterziehung, wird also vor dem Fiskus versteckt. Auch in Deutschland gibt es Bewegung: Hiesige Adressen halten Vermögenswerte im Gegenwert von neun Prozent des deutschen BIP in Steueroasen – vor 20 Jahren waren es aber noch 22 Prozent. »Das zeigt, dass gegen Steuerhinterziehung schnelle Fortschritte erzielt werden können, wenn es den politischen Willen dazu gibt«, so der französische Ökonom Gabriel Zucman, der an der Studie mitgearbeitet hat.

Nicht nur vermögende Privathaushalte sind sehr aktiv beim Geldverschieben, auch die Unternehmen. Vergangenes Jahr deklarierten sie weltweit Profite in Höhe von einer Billion Dollar in Steueroasen – das entspricht 35 Prozent sämtlicher Profite, die multinationale Unternehmen außerhalb ihres Heimatstandortes gebucht haben. Dadurch verlieren die Staaten laut Studie etwa ein Zehntel der globalen Einnahmen aus Unternehmensteuern.

Insbesondere US-Unternehmen profitieren, auf ihr Konto gingen 40 Prozent des weltweiten »profit-shifting«. Hauptleidtragende sind die Länder Kontinentaleuropas. So entgeht dem deutschen Fiskus ein Betrag, der einem Viertel aller Unternehmensteuern entspricht, errechnen die Wissenschaftler*innen. Sie kalkulieren den deutschen Steuerverlust auf 17 Milliarden Euro jährlich – zum Vergleich: Die gesamten Ausgaben des Bundes für Geflüchtete summierten sich 2022 auf knapp 28 Milliarden Euro.

Während einige Staaten also Verluste erleiden, gewinnen die Steuerparadiese Einnahmen hinzu. Dabei handelt es sich nicht nur um exotische Inselstaaten, sondern auch um Länder wie die Niederlande, Belgien, Irland, die Schweiz oder Luxemburg. Die eingewanderten Profite lassen bei ihnen die Einnahmen aus Unternehmensteuern um 30 bis 60 Prozent wachsen. Im Falle von Monaco verdoppelt das »profit shifting« sogar die Unternehmensteuereinnahmen. Um das Gewinne-Verschieben unattraktiver zu machen, haben 140 Staaten der Welt 2021 zwar die Einführung einer globalen Mindeststeuer für Unternehmen vereinbart. Allerdings haben die USA noch nicht zugestimmt. Zudem, so das EU Tax Observatory, ist die Mindeststeuer durch die Einführung zahlreicher Ausnahmeregeln inzwischen »dramatisch geschwächt« worden. Ursprünglich hatte man kalkuliert, die Steuer würde die Einnahmen aus Unternehmensteuern weltweit um neun bis 16 Prozent erhöhen. »Wie die Sache jetzt aussieht, werden es nur fünf Prozent sein«, kalkuliert Zucman.

Zudem, so Zucman, eröffne das Mindeststeuer-Abkommen in seiner jetzigen Form weitere Möglichkeiten zum Steuersenkungswettlauf zwischen den Staaten. Dies ist bereits jetzt zu sehen: Regierungen schaffen immer neue Sonder- und Vorzugsgenehmigungen im Steuerrecht, um Investor*innen anzuziehen. »Da diese Ausnahmen vor allem wohlhabenden Personen zu Gute kommen, fördern sie die Ungleichheit.«

Milliardäre zahlen kaum Steuern

Größte Profiteure des globalen Steuerkarussels sind – die Allerreichsten. Die reale Steuerbelastung von Milliardären liegt extrem niedrig, das EU Tax Observatory schätzt sie auf null bis 0,5 Prozent des Vermögens der Superreichen. Insgesamt zahlten sie geringere Steuern als alle anderen Einkommensgruppen der Bevölkerung, selbst wenn man sämtliche Einkommens- und Vermögensteuern mit einrechne. Der Grund dafür: Den Milliardären gehören die steuerlich umworbenen Unternehmen, und zudem wird es ihnen erlaubt, über die Bildung von Holdinggesellschaften die Steuer zu umgehen. Diese Holdings befinden sich in einer Grauzone zwischen Steuerhinterziehung und Steuervermeidung.

Die Wissenschaftler*innen schlagen daher vor, eine globale Mindeststeuer für Milliardäre in Höhe von zwei Prozent ihres Vermögens einzuführen. Grob geschätzt wären davon weniger als 3000 Personen weltweit betroffen, die Einnahmen lägen bei 250 Milliarden Dollar pro Jahr. In Europa müssten knapp 500 Milliardäre rund 42 Milliarden Dollar entrichten. Eine strengere Version der globalen Mindeststeuer für multinationale Konzerne würde weitere 250 Milliarden pro Jahr bringen. »Zum Vergleich: Laut Schätzungen benötigen die Entwicklungsländer jährlich 500 Milliarden Dollar an öffentlichen Einnahmen, um dem Klimawandel zu begegnen.«

In Deutschland zumindest scheint der politische Wille zur Belastung der Reichen nicht ausgeprägt zu sein. Eine von der Linkspartei vorgeschlagene Vermögensabgabe für Multimillionäre wurde im November 2022 von allen anderen Fraktionen abgelehnt. Die AfD wies als Begründung darauf hin, Deutschland habe »kein Einnahmeproblem, es hat jede Menge Ausgabenprobleme«, unter anderem bei Entwicklungshilfe und Migration. Die FDP proklamierte: »Wir werden in Deutschland keine Steuern erhöhen.« Finanzminister Christian Lindner geht noch weiter: »Damit Deutschland an Wettbewerbsfähigkeit gewinnt«, schrieb er jüngst, sei es »sinnvoll, den Körperschaftsteuersatz auf ein international attraktives Niveau zu senken«. Seit 1980 sind in der EU die durchschnittlichen Steuersätze auf Unternehmensgewinne bereits mehr als halbiert worden.

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