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  • Leben in der Hauptstadt

Berlin, ich will nicht mehr

Das Leben in der Hauptstadt ist nicht leicht. Immer wieder will unser Kolumnist weg. Aber wer ist er schon längst geworden?

  • Robert Rescue
  • Lesedauer: 3 Min.

Wenn ich Berlin verlasse, dann stellt sich ein Gefühl von Entspannung ein. Ich treffe nette, aufgeschlossene Menschen, niemand macht einen an, sondern allerorten wird man gastfreundlich empfangen. Irre sind dort, wo sie hingehören und nicht auf den Straßen, Busfahrer sind zuvorkommend, ein Verkehrsmittel wartet auf einen und Nachbarn pflegen einen herzlichen Umgang miteinander.

Aber immer kommt der gefürchtete Tag der Rückkehr. Wenn ich früher das Flugzeug genutzt habe und in Tegel ausstieg, dann wurde mir schon anders zumute, wenn ich die Bushaltestelle erreichte. Das Warten auf den Bus, der dann innerhalb von Sekunden überquoll mit vollgekoksten Expats auf dem Weg ins Berghain und zurückgekehrten Berlinern, die sich immer noch auf der Biermeile von Palma wähnten, und dazwischen Berliner wie ich, bei denen in Sekundenbruchteilen der gefundene innere Frieden platzte und die in die gewohnte Rolle des Gift-und-Galle-Spuckenden zurückfielen, sobald sie das Vorfeld hinter sich gelassen hatten. Oft habe ich in diesen Momenten den Wunsch verspürt, einen One-Way-Flug egal wohin zu buchen, um dieser Hölle zu entkommen.

Nur einmal habe ich diesen Entschluss tatsächlich umgesetzt. Ich war für ein verlängertes Wochenende auf Rügen und als ich zurückkam, bin ich noch zum Nachbarn ins Erdgeschoss runter, um seinen Garten zu wässern. Es war ein heißer Tag und die Pflanzen gierten nach dem Viereckregner. Nur wenige Sekunden, nachdem ich das Gerät angestellt hatte, tauchte am Zaun die Nachbarin auf und beschwerte sich lauthals darüber, dass ich nicht ihre Pflanzen wässern solle. Ich stellte die Reichweite kleiner und sah sie mit diesem Blick aus Unverständnis und Wut an, den ich so oft zeigte. Bis vor wenigen Sekunden war ich entspannt und jetzt nicht mehr. Spontan fuhr ich zum Bahnhof und stieg in einen Zug Richtung Uckermark, wo ich mich auf einen Acker legte und den Nachthimmel betrachtete.

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Vor ein paar Tagen stand ich an der Kasse eines Discounters. Ein Azubi saß an der Kasse, der natürlich länger brauchte, was zu einer Schlange führte. Ich hoffte, Frau Kasulke, die zügig arbeitete, würde erscheinen und den Jungen wegschicken. Mit einem Mal stand ein Mann neben mir und fragte, ob er vorkönne und zeigte auf zwei Bananen und eine Flasche Saft. Ich schaute in meinen Wagen und sah, dass ich nur unwesentlich mehr Waren einkaufen wollte. Ich lehnte ab und verwies auf eine kurze Schlange, für die er wohl genügend Zeit aufbringen könne. Ich wollte das eigentlich nicht sagen, wollte ihn vorlassen, aber ich konnte nicht. Er schaute mich mitleidig an und wandte sich an die Frau vor mir, die ihn vorließ.

Auf dem Weg nach Haus dachte ich über mein Verhalten nach. Ich war nicht besser als die Nachbarin, die ihre Pflanzen nicht gewässert haben wollte. Ich wünschte mich in die Ferne, irgendwohin, wo ich einen Kunden mit zwei Bananen und einer Flasche Saft mit einem Lächeln vorließ und mich daran erfreute, etwas Gutes getan zu haben.

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