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Christian Lehmann gestorben: Der kurze Große

Defa-Kameramann Christian Lehmann gestorben

  • Günter Agde
  • Lesedauer: 3 Min.
Christian Lehmann: Klein, aber immer auf der Höhe der Zeit
Christian Lehmann: Klein, aber immer auf der Höhe der Zeit

Er sei so klein, beklagte er sich einmal bei seinem Regisseur Peter Voigt, dass er bestimmte Geschehnisse gar nicht mitbekomme. Dabei war der »kleine Lehmann« stets der »große Lehmann«, denn eigentlich war er nur klein – besser: kurz – an Körpergröße. Und groß war er, weil er ein Großer seiner Profession wurde. Und das schon ziemlich vom Anfang seiner Karriere an – als Kameramann im Defa-Dok-Filmstudio. (Spielfilme wollte er nie drehen.) Schon seine Filme, die er während seines Studiums an der Babelsberger Filmhochschule schuf, bezeugen seine große Begabung für filmische Bilder.

Der überaus fleißige Mann hat mit allen, wirklich allen prägenden Dok-Filmregisseuren der Defa gearbeitet. Hier nur eine kurze Auswahl, die leider unvollkommen und auch ungerecht bleiben muss: Mit Volker Koepp arbeitete er bei dessen berühmtem »Wittstock«-Zyklus über die Lebenswege dreier Textilarbeiterinnen in der gleichnamigen brandenburgischen Kleinstadt (zwischen 1976 und 1997) mit. Er hat an einigen der »Golzow«-Filme der beiden Junges mitgewirkt. Auch mit Karlheinz Mund und mit Peter Vogt verbanden ihn überaus fruchtbare Arbeitsbeziehungen: Munds »Probleme am laufenden Band« – eine strenge Reportage aus dem Mansfeldischen Kupferbergbau (1987) oder die Sibirien-Filme »In Sibirien« (1976) und »In Polnowat am Ob« (1987).

Und Peter Voigts Gruppenporträt im leergeräumten, kalt-nüchternen Palast der Republik (kurz vor dessen Abriß) »Metanoia – Berichte deutscher Männer« (1990) ist ohne Lehmanns Kameraarbeit überhaupt völlig undenkbar. Zwei Brigade-Porträts Jürgen Böttchers: »Stars« (1963) – die titelgebenden Sterne waren muntere, fröhlich-optimistische junge Frauen im Berliner Glühlampenwerk. Knapp zehn Jahre später dann »Die Mamais« über eine Männerbrigade in der Aluminiumschmelze im Bitterfelder Chemiekombinat: Da beobachtete Lehmann dann schon einen merklich gedämpften Optimismus, der sich in der Schwere der Arbeit zeigte und so gar nicht zum offiziell verkündeten Bitterfelder-Weg-Elan passte.

Rasante Kamerafahrten und flinke Schnitte waren seine Sache nicht. Ihm lag stets an der aufmerksamen Beobachtung, am Hinsehen, sodass jeder seiner Gegenüber-Partner vor der Kamera in Natürlichkeit und Würde erschien. Und so genau und so schön waren auch seine Landschaften und die (oft) grauen Straßenzüge auch in den Städten. So merkwürdig das auch klingt: Man sieht seinen Filmbildern eine geradezu sinnliche Neugier an. Extrem Verspieltes oder Avantgardistisches blieben ihm fremd. Sein Wissen um die Geheimnisse und Gefahren seiner Profession gab er gerne weiter, vor allem an jüngere Kollegen.

Er war sich auch nicht zu schade, kurze Magazin-Beiträge zu drehen, wie für »Treffpunkt Kino« oder die »Kinobox«. Auch liebte er Komisch-Absonderliches wie die liebevollen, fast zärtlichen Blicke auf den Bergarbeiter und naiven Laienmaler Willibald in »WML – Steiger oder Maler« (1976) oder »Die Leuchtkraft der Ziege – Eine Naturerscheinung« ein filmisches Füllhorn von Skurrilitäten im Thüringischen (Jochen Krausser, 1987).

Sein Werkverzeichnis umfasst 200 Titel, man kann es fast nicht glauben. Seine Filme gehören zu den wirklichen Meilensteinen des Defa-Dok-Filmschaffens. Christian Lehmann wurde 89 Jahre alt.

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