Claudia Reuter: »Die Linken sind mir gegenwärtig zu blöd«

Claudia Reuter über ihren Mann, den ehemaligen Generalmusikdirektor an der Komischen Oper in Berlin

  • Bettina Richter
  • Lesedauer: 4 Min.
Claudia Reuter mit ihrem Mann, dem Generalmusikdirektor an der Komischen Oper Berlin Rolf Reuter
Claudia Reuter mit ihrem Mann, dem Generalmusikdirektor an der Komischen Oper Berlin Rolf Reuter

Um gleich allen Freunden militärischen Klimbims das Weiterlesen auszureden: Dies ist trotz des Titels eine zutiefst pazifistische Lektüre! »General« ist die an Musiktheatern übliche sprachökonomische Bezeichnung für den Generalmusikdirektor, den Chefdirigenten. In diesem Falle handelt es sich um den langjährigen künstlerischen Leiter der Komischen Oper in Berlin. Rolf Reuter (1926–2007) war fast vier Jahrzehnte verheiratet mit Claudia Herzfeld, eine Arzttochter aus Dresden und studierte Musikwissenschaftlerin. Vermutlich waren es der Name und der weitgefächerte Familienhintergrund dieser selbstbewussten Frau mit einer, nun ja, leichten Neigung zur Extrovertiertheit, die den Publizisten Frank Schumann reizten, fünf Jahre lang regelmäßig in Pankow mit ihr zu parlieren. Die Essenz dieser Gespräche ist nun auf 300 kurzweiligen Seiten erschienen.

Das ist jüdische Familiengeschichte, europäische Musik- und Kulturgeschichte, auch deutsch-deutsche Geschichte. Das Buch hat – wegen der sozialen und der geografischen Umstände der handelnden Personen – ein wenig auch mit einem gewissen »Turm« zu tun, dennoch keine Aussicht auf Verfilmung, da hilft selbst Reuters Bundesverdienstkreuz wenig: Aus der einstigen DDR-Hasserin ist inzwischen eine DDR-Verteidigerin geworden. Als sie zum Beispiel unlängst die Schweizer Staatsbürgerschaft beantragte (ihre jüdische Mutter und deren Vorfahren stammten von dort, sie selbst lebte dort in den 40er Jahren einige Zeit), waren sehr viele Papiere beizubringen. Sie korrespondierte unter anderem mit Leipzig, weil sie an der dortigen Karl-Marx-Universität studiert hatte. Und das Stadtarchiv setzte bei der Angabe zur Staatsbürgerschaft in ihrer Auskunft das Kürzel DDR in Anführungszeichen. »Wo leben wir denn?! Wir sind doch nicht in den sechziger Jahren und nicht im Westen. Ich habe also wie immer geschrieben: Nationalität deutsch, Staatsbürgerschaft DDR – ohne Gänsefüßchen. Das war ein anerkannter Staat.«

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Wahrlich, sie war damals kein Freund der DDR, nannte deren Fahne eine »Spalterflagge«, sich selbst eine Konterrevolutionärin und wollte ihren Mann bewegen, bei seinen Gastspielen in Westeuropa zu bleiben (was das MfS immer fürchtete, weshalb es viele Aufpasser im Familienumfeld gab). Doch der reifere Rolf Reuter redete ihr den Unsinn aus. Und heute singt sie ein Hohelied auf die musische Ausbildung in der zweiten deutschen Republik und deren einzigartige Musiklandschaft.

In der DDR gab es 84 Opern- und Sinfonieorchester mit Tradition: »Sie waren die Fortsetzung früherer Orchester, die in einstigen Fürsten- und Herzogtümern und ähnlichen Duodezstaaten existierten. Nicht eines dieser Orchester hat die DDR abgeschafft.« Von diesen Orchestern existieren heute aber vielleicht noch etwa zwei Dutzend, »die anderen sind nicht mehr oder auf Combo-Größe zusammengeschrumpft«. Als sie das einmal öffentlich beklagte, wurde sie von der Frau eines bekannten Fernsehjournalisten aus dem Westteil des vereinten Landes angegiftet, sie sei ja eine ganz Rückwärtsgewandte, »das ist reine DDR-Propaganda«. Vieles sei ihr erst durch den Verlust bewusst geworden, räumt sie im Buch selbstkritisch ein.

Das Gespräch folgt nicht der Chronologie ihres Lebens, es kreist um Themen, reißt mitunter nur an, ohne in die Tiefe zu gehen. Darin unterscheidet sich dieses Gesprächsbuch vielleicht von anderen, die eine Biografie abarbeiten und Ereignisse deuten, interpretieren, analysieren. Hier unterhalten sich zwei mit unterschiedlichen Standpunkten über das und über ihr Leben. Da die beiden über Jahre kommunizierten, blieb nicht aus, dass auch Kommentare zu aktuellen Nachrichten oder Entwicklungen in den Dialog einflossen. Reuter: »Die Linken sind mir gegenwärtig zu blöd – es wäre ihre Stunde als Opposition, doch sie beschäftigen sich nur mit sich selbst und nicht mit den tatsächlichen sozialen Problemen im Lande. Die Rechten kann ich schon aus Prinzip nicht wählen. Die CDU ist mit Frau Merkel für mich gestorben, von der FDP weiß ich zu wenig, ich bin kein Wirtschaftsmensch, und die SPD kann man auch vergessen …«

Sie nimmt kein Blatt vor den Mund, und Schumann scheut sich nicht, es aufs Papier zu bringen. Pointen werden nicht ausgelassen. Die Frau hat einen irrsinnig weiten Bildungshorizont, der sie zu einem Solitär macht. Was Wunder, dass die beiden musizierenden Reuter-Töchter als hochbegabt galten. Die erstgeborene Sophia durfte daher in den 80er Jahren die Menuhin-Akademie in der Schweiz besuchen. Und gemeinsam mit Sir Yehudi Menuhin (1916–1999) gründete Claudia Reuter 1997 in Berlin die Internationale Musikakademie zur Förderung musikalisch Hochbegabter in Deutschland e. V., eine Einrichtung, die deutschland- und europaweit die einzige ihrer Art ist. Und sie ist seither deren ehrenamtlich tätiger Kopf. Dafür bekam sie 2014 das schon erwähnte Bundesverdienstkreuz am Bande.

Doch Bedeutungshuberei, das merkt man in jeder Zeile, geht ihr völlig ab. Deshalb verbrachte sie ihren 80. Geburtstag im Juli im OP. Sie hätte sich auch ein anderes Datum aussuchen können. Aber ich sagte ja schon: Ein wenig extrovertiert ist sie schon.

Claudia Reuter: Die Frau des Generals. Biografisches Gespräch über Musik, Familie, Kultur und Geschichte sowie ostdeutsche Haltungen. Verlag am Park/Edition Ost, 302 S., br., 20 €.

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