Koalition der Kleinstparteien in Brandenburg

Piraten, ÖDP und Volt nominieren gemeinsame Liste für die Landtagswahl

Begriffe aus der Seefahrt drängen sich bei der Piratenpartei förmlich auf. Immer wieder heißt es, diese Partei wolle die Parlamente entern. Da passt der Ort, an dem die Piraten am Samstag ihre Kandidaten für die Brandenburger Landtagswahl am 22. September 2024 aufstellen. Sie treffen sich dazu auf dem Restaurantschiff »John Barnett«, das an der Schiffbauergasse in Potsdam festgemacht hat. Aber hier bleiben die Piraten nicht etwa unter sich. Nachdem sie bei der Landtagswahl 2019 nur 0,7 Prozent der Stimmen erbeuteten, holen sie sich nun Unterstützung an Bord. Sie bilden eine Listenvereinigung mit der Ökologisch-Demokratischen Partei (ÖDP) und mit Volt.

Von September 2011 bis Mai 2012 bekamen die Piraten in Deutschland mal mächtig Rückenwind und segelten in die Landtage des Saarlands sowie von Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen und außerdem ins Berliner Abgeordnetenhaus. In Brandenburg prognostizierte das Meinungsforschungsinstitut Infratest dimap ihnen im Februar 2012 stolze sieben Prozent. Das hätte locker für einen Einzug ins Parlament gereicht. Aber damals gab es in Brandenburg keine Landtagswahl, sondern erst 2014 – und da herrschte schon wieder Flaute und es gab bescheidene 1,5 Prozent.

Mit vereinten Kräften soll es 2024 klappen, die Fünf-Prozent-Hürde zu überspringen. »Nicht nur reinkommen, sondern gleich regierungsfähig sein«, bestimmt der ÖDP-Landesvorsitzende Thomas Löb den Kurs der Listenvereinigung, die »Plus Brandenburg« getauft wurde. »In Brandenburg haben wir das Glück, dass noch ganz viele Wähler auf der Suche sind«, sagt Löb. Man möchte Unzufriedene und Nichtwähler kapern.

Es sieht im Moment so aus, als würden drei Parteien nicht mehr ausreichen, um ohne die AfD die nächste Landesregierung zu bilden. Die aus Piraten, ÖDP und Volt gebildete Listenvereinigung will als möglicher vierter Koalitionspartner zur Verfügung stehen. Keine Hürde auf dem Weg dahin dürften die 2000 Unterstützerunterschriften sein, die »Plus Brandenburg« beim Landeswahlleiter einreichen muss. Denn vor der Landtagswahl 2019 hatten Piraten und ÖDP jeder für sich keine Schwierigkeiten, jeweils 2000 Unterschriften zu sammeln – und jetzt hilft ja auch noch Volt mit. Sehr viel schwieriger wird es dann sein, fünf Prozent der Stimmen zu bekommen. Die ÖDP erzielte bei der Landtagswahl 2019 schlappe 0,6 Prozent. Volt ist noch nie bei einer Landtagswahl in Brandenburg angetreten. Aber es gibt einen Fingerzeig auf die bescheidenen Möglichkeiten des Landesverbandes: Bei der Bundestagswahl 2021 erhielt die erst 2018 gegründete Gruppierung in Brandenburg 0,3 Prozent. Macht alles zusammen mit den Piraten nur 1,6 Prozent. Verhandlungen mit der Tierschutzpartei, sich der Listenvereinigung anzuschließen, sind gescheitert. Die Tierschutzpartei erreichte 2019 immerhin 2,6 Prozent. Aber selbst damit käme man zusammengerechnet immer noch nicht auf fünf Prozent.

Dennoch sind die drei Kleinstparteien zuversichtlich. Gemeinsam soll es gelingen, in allen 44 Landtagswahlkreisen Direktkandidaten aufzustellen, wozu jeder für sich nicht in der Lage wäre. Das soll ein großer Vorteil sein. Die Wähler würden ja zuerst links bei den Erststimmen für die Direktkandidaten suchen und dann zur Zweitstimme für die Parteien rechts daneben wechseln, lautet die Erklärung. Brandenburg sei das letzte Bundesland, in dem Listenvereinigungen aus verschiedenen Parteien noch zur Landtagswahl zugelassen sind, heißt es. Allerdings sei die Erstattung der Wahlkampfkosten für Parteien, die mindestens ein Prozent der Stimmen bekommen, für die Listenvereinigungen abgeschafft worden.

Zum Spitzenkandidat gekürt wird am Samstag Thomas Bennühr von den Piraten. Es folgen auf den Plätzen zwei und drei der Landesliste Volt-Landeschef Martin Franke und der ÖDP-Landesvorsitzende Thomas Löb. 13 Männer und vier Frauen werden unter Deck im Restaurantschiff nominiert. Man hätte gern eine Frau auf den ersten fünf Listenplätzen gehabt, aber es habe sich dafür keine Bewerberin gefunden, bedauert Spitzenkandidat Bennühr. Die erste Frau ist auf Platz sechs Wiktoria Zerbst. Die 24-Jährige ist Betriebsratsvorsitzende bei der Volksbank in Cottbus und stellvertretende Landesvorsitzende bei Volt. Zerbst muss erst eine Weile nachdenken, bis sie dann doch eine gute Erklärung findet, warum Frauen in den Parlamenten unterrepräsentiert sind: »Es liegt einfach daran, dass in der Politik viele laute Männer aktiv sind. Frauen werden in der Politik zu wenig ernstgenommen.«

Die Piraten hatten zu ihren Hochzeiten vor zwölf Jahren 1000 Mitglieder in Brandenburg, von denen jetzt noch 350 übrig sind. Eine Selbstbezeichnung lautet »Partei des digitalen Wandels«. Die ÖDP stützt sich im Bundesland auf 85 Mitstreiter. Ihr Landeschef Löb beschreibt die inhaltliche Ausrichtung mit den Worten: »Wir sind die bürgerlichen Grünen.« Volt hat in Brandenburg 72 Mitglieder und ihr Landesvorsitzender Franke erklärt: »Im Spaß gesagt: Wenn die Grünen und die FDP ein Kind bekommen würden, dann wäre es Volt.«

Verständigt haben sich die drei Partner auf sechs Kernthemen für den Wahlkampf. Dazu gehört die Forderung nach einem einheitlichen Brandenburger Verkehrsbetrieb (BBVG), angelehnt an die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG). In Brandenburg ist es so, dass jeder Landkreis seinen eigenen Verkehrsbetrieb hat. Das ist nach Überzeugung von Spitzenkandidat Bennühr nicht effektiv.

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