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Jenseits von gut und böse

Stephan Kaufmann über die Interessenpolitik der Großmächte

Die deutsche Außenpolitik erscheint in ihrer Selbstdarstellung als ein permanenter Prozess der moralischen Abwägung. Laut dieser Selbstdarstellung leiten Fragen der Solidarität, Humanität und Verhältnismäßigkeit Deutschlands Haltung zu Konflikten weltweit. Die militärische Aufrüstung dient dem Schutz der Ordnung sowie allgemein der Verteidigung. Die Klimapolitik dient dem Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen, die Asylpolitik dem Schutz der Flüchtenden vor Schleusern und Schleppern. Und in Afrika geht es um die Schaffung inklusiven Wachstums durch Rohstoffpartnerschaften.

Mit den globalen Krisen haben sich die edlen Beweggründe multipliziert. Nicht nur in Deutschland, in allen Hauptstädten proklamieren die Entscheider*innen »wertegeleitete« Politik, sie vertreten das Gute, woraus folgt, dass ihre Gegner*innen das Böse wollen: Interessen, Macht, Geld oder einfach Hass und Gewalt.

Humanität, Solidarität, Menschenrechte – die schönen Titel der Politik fristen in der öffentlichen Debatte ein Zwischendasein. Einerseits wird diskutiert, ob und wie die Politik diese Ziele verfolgt und erreicht. Kommentare und Leitartikel messen die Politik an den von ihr proklamierten Werten und unterstellen damit die Geltung dieser Werte. Andererseits ahnt doch jede*r, dass in der Welt- und Geopolitik nicht Moral und Menschlichkeit handlungsleitend sind, sondern handfeste Interessen.

Stephan Kaufmann

Stephan Kaufmann ist Wirtschaftsredakteur bei nd.DieWoche.

Wenig Glauben an das Gute und Schöne schenken sich die Profis des Politgewerbes untereinander. Wenn die US-Regierung sich über die Zustände in einem Land »besorgt« zeigt, wenn sie eine Eskalation »befürchtet« und daher »Verantwortung« übernimmt, dann wissen Entscheider*innen in anderen Hauptstädten natürlich, dass im Weißen Haus nicht Sorge, Furcht und Verantwortungsbewusstsein regieren, sondern dass hier Interessen formuliert, Maßnahmen angekündigt und Zuständigkeiten reklamiert werden.

Eher abgeklärt betrachten auch die besseren Historiker*innen das Geschehen. Was auch immer dereinst über aktuelle Konflikte in den Geschichtsbüchern stehen wird, es dürfte kaum von Solidarität, Schuld und Sühne die Rede sein. Sondern von Interessen und Macht, von Mitteln und Zwecken. Ein Historiker wie der Brite Niall Ferguson hat kein Problem damit, im Krieg Russlands gegen die Ukraine sowie im kalten Krieg des Westens gegen China einen »Kampf der Imperien« zu sehen, anstatt einen ewigen Gegensatz zwischen Demokratie und Autokratie. Er weiß, dass es dem Westen nicht um die »regelbasierte Weltordnung« per se geht, sondern darum, wer die Regeln setzt. China ist Rivale des Westens – und Rivalen wollen dasselbe.

Es wäre ein historisches Novum, wenn die Weltmächte ihre Weltmacht aus der Reinheit ihrer Prinzipien bezögen. Naheliegender ist, dass alles beim alten geblieben ist. Die Welt heute folgt weiter den – gesetzten – Regeln von Geschäft und Macht, die Konkurrenz der Standorte erstreckt sich nicht nur auf die Ökonomie. Im Bemühen, ihren Einfluss und ihre Reichweite zu erhalten oder auszubauen, stehen die Staaten meist gegeneinander. Sie stocken ihre Truppen auf, lassen ihre Wirtschaftsleistung wachsen, die Entscheider*innen definieren Verbündete und Gegner.

Das Publikum unterdessen streitet darüber, ob Streubomben unmenschlich sind oder notwendig, ob Panzer Frieden oder Krieg bringen, ob ein Massaker vorliegt oder ein bedauerlicher Kollateralschaden, ab wann man von einem Genozid sprechen kann, wie viele tote Kinder ein Bombardement delegitimieren. Darüber hinaus debattiert es die Frage, wer »angefangen« hat – wer also Angreifer und damit Schuldiger ist und wer bloß Verteidiger und damit strukturell unschuldig. Das Publikum gibt sich damit der Illusion, der Hoffnung oder bloß dem Wunsch hin, humane Kriterien würden die globale Politik leiten. Dabei müsste so eine Welt erst noch durchgesetzt werden.

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