Ein zweites Leben für E-Auto-Batterien

In einem Modellversuch wird der Einsatz gebrauchter Akkus zur autarken Energieversorgung getestet

  • Christopher v. Savigny
  • Lesedauer: 4 Min.

Knapp 49 Millionen Pkw sind derzeit auf Deutschlands Straßen unterwegs – mehr waren es laut Angaben der Datenbank Statista noch nie seit Beginn der Erhebungen im Jahr 1960. Der Anteil der rein elektrisch betriebenen Fahrzeuge nimmt sich mit etwa 1,3 Millionen E-Autos im Vergleich dazu recht bescheiden aus. Noch, sollte man hinzufügen. Denn bei den Neuzulassungen haben die »Stromer« zuletzt kräftig zugelegt. In diesem Jahr liegt die Quote bereits bei 19 Prozent; Forschungsprojekte gehen davon aus, dass bis 2030 ein Anteil von 70 Prozent machbar ist – und für das Jahr 2035 hält man sogar 100 Prozent für realistisch.

Vor diesem Hintergrund hat sich vor zwei Jahren das Forschungsvorhaben »Fluxlicon« gegründet, ein Nachhaltigkeitsprojekt, an dem unter anderem die Berliner Agentur für erneuerbare Energien (AEE) beteiligt ist. »Fluxlicon« steht für »Intelligentes und flexibles System zum Einsatz von jeglichen Second-Life-Batterien in der kommunalen Ladeinfrastruktur«. Einfacher ausgedrückt: Das Projekt, das vom Bundeswirtschaftsministerium gefördert wird, sucht nach neuen Einsatzorten für ausgediente E-Auto-Batterien. Infrage kommen laut AEE zum Beispiel Ladestationen für E-Autos, Quartiersnetze in kleineren Kommunen sowie Notstromaggregate in Krankenhäusern.

Untersucht und erforscht wird aber auch, wie gut sich E-Auto-Batterien langfristig als Speichermedium eignen. »In Deutschland wurden im Jahr 2022 etwa 1,4 Prozent des erneuerbaren Stroms abgeregelt«, sagt Dr. Robert Brandt, Geschäftsführer der AEE. Das heißt, dieser Anteil konnte nicht ins Stromnetz eingespeist werden, weil dieses zu manchen Zeiten bereits ausgelastet war. »Solche Einspeisemanagement-Maßnahmen sind notwendig, wenn Teile des Stromnetzes so überlastet sind, dass der Strom nicht zu den Verbrauchern transportiert werden kann«, so Brandt. »Wir können es uns als Gesellschaft schlichtweg einfach nicht mehr leisten, erneuerbaren Strom auf diese Art zu verlieren.«

Derzeit arbeitet das Projekt »Fluxlicon« mit acht Modellstädten und -kommunen in Deutschland zusammen, die den Einsatz der »Second-Life-Batterien« ausprobieren sollen. Hamburg ist eine davon, drei weitere liegen in Niedersachsen, drei in Baden-Württemberg und eine in Bayern. Die niedersächsische Stadt Wolfenbüttel etwa will ihre Kläranlage vom Stromnetz entkoppeln und künftig mit in ehemaligen E-Auto-Batterien gespeichertem Strom betreiben. Hintergrund: Als größter Energieverbraucher der Stadt soll die Kläranlage künftig – im Verbund mit einer Fotovoltaikanlage – autark funktionieren und auf diese Weise das städtische Stromnetz entlasten. Weiterhin würde das neu entwickelte Konzept laut Pressemitteilung der AEE »nicht nur die Eigenstromnutzung der Kläranlage erhöhen, sondern auch deren Betrieb mit erneuerbarem Strom in Zeiten geringerer Produktion ermöglichen«.

Nur zwei der acht Modellkommunen kommen derzeit als »Testpartner« infrage. Welche das sein werden, darüber wird laut AEE noch in diesem Jahr entschieden. Das Projekt »Fluxlicon« läuft noch bis Ende 2024, anschließend ist eine detaillierte Auswertung geplant.

Obwohl der Anteil der E-Autos bei den Neuzulassungen in den letzten Jahren so stark zugenommen hat, steckt die Weiterverwertung der gebrauchten Akkus nach wie vor in den Kinderschuhen. Ein »Gebrauchtmarkt« ist bislang nicht vorhanden. Stattdessen werden die Batterien direkt von den Herstellerfirmen weitergegeben, was die Beschaffung offenbar deutlich erschwert. Ebenso scheint es an klaren Regularien zu fehlen, was Gewährleistung, Produkthaftung und Liefersicherheit betrifft.

Die meisten E-Auto-Batterien sind aufgrund unterschiedlicher Herstellerfirmen nicht miteinander kompatibel. Immerhin dieses Problem ist mithilfe von »Fluxlicon« laut AEE-Pressesprecherin Anika Schwalbe jetzt behoben: »Durch die Nutzung der verschiedenen E-Auto-Batterien von verschiedenen Herstellern bzw. Fahrzeugtypen tragen wir dazu bei, dass sich die Nutzungsdauer dieser verlängert«, sagt Anika Schwalbe. »Ist die Kapazität der E-Auto-Batterien zu gering, um weiter in E-Autos genutzt zu werden, können sie, sofern sie weiterhin technisch intakt und funktionsfähig sind, für den Einsatz als stationäre Speicher genutzt werden.« Üblicherweise würden E-Auto-Batterien bei einer Kapazität von unter 80 Prozent ausgetauscht.

Heutige E-Auto-Batterien funktionieren im Allgemeinen nach dem Lithium-Ionen-Prinzip. Lithium ist ein leichtes Metall, das viel Energie speichern kann. Zudem ist die Selbstentladung mit durchschnittlich ein bis zwei Prozent pro Monat äußerst gering. Die Nachteile: Lithium ist teuer und leicht entflammbar, da es sowohl mit Luft als auch mit Wasser reagieren kann. Daher verfügen moderne Akkus immer über eine besonders stabile Ummantelung. Zellsensoren kontrollieren Zusammensetzung und Temperatur, ein Sicherheitsventil sorgt bei Bedarf für den nötigen Druckausgleich. Derzeitige E-Auto-Akkus wiegen 200 bis 750 Kilogramm. Angst davor, mit ihrem E-Auto auf offener Strecke liegen zu bleiben, brauchen selbst Fernreisende heutzutage nicht mehr zu haben: Der Rekord liegt aktuell bei 770 gefahrenen Kilometern mit einer einzigen Aufladung.

Bei guter Pflege schaffen die rollenden Energiespeicher 2000 bis 3000 Ladezyklen – das entspricht einer Lebensdauer von ungefähr zehn Jahren. Um Akkus zu schonen, sollten diese immer einen mittleren Ladestand (30 bis 70 Prozent) aufweisen. Wer sein E-Auto voll »betankt« hat, ist also bestens beraten, gleich loszufahren.

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