Robert Habecks Theaterstück lobt einen rechten Massenmörder

Vor fünfzehn Jahren schrieb Deutschlands Vizekanzler ein Stück, in dem der Held der Massenmörder Gustav Noske ist

Robert Habeck macht eine edle und tragische Figur. Der grüne Vizekanzler mit seinem Dreitagebart, dem offenen Kragen und dem ständig zerzausten Aussehen wirkt auf viele wie ein Idealist, der gezwungen war, seine Prinzipien aufzugeben. Deborah Feldman, eine amerikanisch-jüdische Immigrantin, schrieb kürzlich, Habeck sei einst wie »der kleine Mann« gewesen. »Einer von uns, ein Träumer und Geschichtenerzähler, jemand, der in die Politik ging, weil er glaubte, er könne sie verändern.« Welch eine Enttäuschung! Doch wovon träumte Habeck einst?

Vor 15 Jahren schrieben Habeck und seine Partnerin zum 90. Jahrestag der Novemberrevolution, die in seiner Heimatstadt Kiel begann, das Stück »Neunzehnhundertachtzehn«. Der Held des Stücks ist der Sozialdemokrat Gustav Noske.

Jede Biografie sagt mehr über den Autor als über das Thema aus – sie ist eine buchfüllende Reflexion darüber, was ein gutes Leben ausmacht. Und so dürfte uns Habeck zeigen – lange bevor er seinen Hut in den bundespolitischen Ring warf –, wie seiner Meinung nach ein verantwortungsvoller Politiker handeln solle. Diese Erkenntnis war weit mehr wert als die zehn Euro, die ich für ein gebrauchtes Exemplar des Stücks bezahlt habe.

Wenn Sie jemals von Gustav Noske gehört haben, dann deshalb, weil er das Einverständnis zum Mord an Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht gab. Aber dies war kein isolierter Mord. Als Kriegsminister in der konterrevolutionären Regierung von Friedrich Ebert befehligte Noske rechtsradikale Freikorps, die im März 1919 in Berlin 2000 Männer, Frauen und Kinder massakrierten. Er selbst bezeichnete sich als »Bluthund«. Das erste Mal, dass eine deutsche Stadt von oben bombardiert wurde? Das waren Noskes protofaschistische Truppen, die mit Flugzeugen den Arbeiterbezirk Lichtenberg angriffen.

Kolumne »Red Flag«

»Red Flag« ist eine Kolumne über Berliner Politik von Nathaniel Flakin. Sie erschien von 2020 bis 2023 im Magazin »Exberliner« und fand ein neues Zuhause bei der Zeitung »nd« – als deren erster Inhalt, der auch auf Englisch zu finden ist. Nathaniel ist auch Autor des antikapitalistischen Reiseführers Revolutionary Berlin.

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Habeck hätte über jeden schreiben können. Aber er wählte Noske, der in »Neunzehnhundertachtzehn« wie ein ziemlich cooler Typ rüberkommt.

Das Stück spielt Anfang November 1918, zwei Monate bevor Noskes Karriere als Bluthund beginnt. In Kiel ist gerade eine Revolution ausgebrochen und die Regierung braucht einen Agenten, um die Dinge unter Kontrolle zu halten. Als erfahrener Politiker zieht Noske Kreise um die aufständischen Arbeiter und Matrosen, die versuchen, ein neues System aufzubauen.

Abgesehen von Noske hat das Stück wenig mit den historischen Gegebenheiten zu tun. Der tatsächliche Vorsitzende des Arbeiter- und Soldatenrates in Kiel war zum Beispiel ein Matrose namens Karl Artelt. Er hatte Streiks auf der Kieler Werft organisiert und blieb bis zu seinem Tod 1981 ein überzeugter Sozialist. Habeck entschied sich, Artelt durch einen jungen Arbeiter namens Fritz zu ersetzen, einen Hitzkopf, dessen wichtigste revolutionäre Tätigkeit darin besteht, Offiziere mit bloßen Händen zu erstechen. Er behauptet, Hinrichtungen »im Namen des Soldatenrates« durchzuführen, aber in der Praxis lehnt Fritz jede Art von Demokratie ab. In Wirklichkeit gab es bei der Revolution in Kiel nur wenige Morde und schon gar nicht durch Artelt.

Habeck lässt Noske den Tag retten, indem er wie ein Superheld in Räume platzt, um das »Blutvergießen« zu beenden – obwohl Noske die bei Weitem blutrünstigste Figur der deutschen Revolution war. An einer Stelle wird Noske von Fritz gefragt, warum er die alte Ordnung bewahren will, obwohl er nominell ein Sozialist ist. Habeck lässt seinen Helden erklären: »Weil den Menschen Recht egal ist. Es geht ihnen nur darum, satt zu werden, es warm zu haben, in Ruhe gelassen zu werden. Sie wollen geregelte Verhältnisse, nicht Recht. Dafür steht die Sozialdemokratie. Der Kampf ist nicht für das Volk. Das Volk ist eine träge, dumme und letztlich gefährliche Masse. Der Kampf ist, gegen das Volk das Beste für das Volk durchzusetzen.«

Das ist der berühmte Idealismus von Habeck! Die Grünen von heute ähneln der SPD von vor einem Jahrhundert in ihrem tiefen Misstrauen gegenüber dem »Pöbel« und jeder Art von Demokratie. Aber was ist mit den Prinzipien? Auch hier lässt Habeck Noske ausholen: »Wenn man Verantwortung übernimmt, verändert das die Persönlichkeit. Man tut Dinge, die man vorher ausgeschlossen hat. … Ich war immer gegen den Krieg. Aber wenn man Verantwortung hat und dir einer sagt, wenn Du nicht zustimmst, dann kriegen unsere Soldaten keine Gasmaske und verrecken beim nächsten Angriff, dann erhöhst du auf einmal das Militärbudget, ohne es zu wollen.«

Dies ist eine weitere historische Ungenauigkeit. Noske war nie ein prinzipieller Antimilitarist, wie die Mehrheit der SPD zu dieser Zeit, sondern eine Stimme des rechten Parteiflügels, die den Kolonialismus unterstützte.

Im Verlauf der Revolution gelang es Noske, die »Ordnung« aufrechtzuerhalten. Dazu bewaffnete er rechte Freikorps bis an die Zähne und ließ ihnen freie Hand, um Tausende Menschen zu ermorden. Diese Freikorps sollten sich bald in der NSDAP organisieren und selbst die Macht übernehmen. Die Nazis erkannten die Hilfe an, die sie von Noske erhalten hatten: Hitler bezeichnete ihn 1933 in einer Rede als »Eiche unter diesen sozialdemokratischen Pflanzen«. Nach dem Krieg, als er 1946 seine Memoiren schrieb, äußerte sich der für zahllose Morde an jüdischen Revolutionären verantwortliche Noske abfällig über »Ostjuden«.

Jahre bevor er wirklich politische Verantwortung trug, deutete Habeck an, dass Prinzipien nur dazu da seien, verraten zu werden, wenn man an die Macht kommt.

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