Deutsche Lehre aus dem Faschismus: Nie wieder heißt Aufrüsten

Jana Frielinghaus über das offizielle Berliner Gedenken zum Tag der Befreiung

Formvollendet: Offizielles Gedenken am Tag der Befreiung 2025: Bundestagspräsidentin Klöckner, Bundespräsident Steinmeier und Kanzler Merz am Donnerstag in der Gedenkstätte »für die Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft« in Berlin
Formvollendet: Offizielles Gedenken am Tag der Befreiung 2025: Bundestagspräsidentin Klöckner, Bundespräsident Steinmeier und Kanzler Merz am Donnerstag in der Gedenkstätte »für die Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft« in Berlin

Wieder einmal haben am Donnerstag ein Bundespräsident und eine Bundestagspräsidentin demonstriert, was für ein Meister Deutschland in Sachen Aufarbeitung seiner finsteren Geschichte ist. Es gab Worte des Dankes an alle Befreier, klare Schuldeingeständnisse für den vom Hitler-Regime vom Zaun gebrochenen Weltkrieg, für Völkermord nicht nur an den Juden, sondern auch in der Sowjetunion, Absagen an jede »Schlussstrichmentalität«.

So weit, so vorbildlich. Doch aus allem, was Frank-Walter Steinmeier und Julia Klöckner daraus folgerten, sprechen grenzenlose Selbstgerechtigkeit, Sendungsbewusstsein und vor allem: meisterhaft geheuchelte Demut. Der seit dem barbarischen Angriff palästinensischer islamistischer Milizen auf Menschen in Israel am 7. Oktober 2023 in Deutschland gängige Spruch »Nie wieder ist jetzt« wurde bemüht, aber mit einem extrem selektiven Blick. Klöckner benannte in diesem Zusammenhang Antisemitismus als wachsendes Problem, aber erkennbar nur »linken« und migrantischen, sprich »propalästinensischen«. Als Hass auf Juden brandmarkten beide also pauschal, was vor allem Wut, Trauer und Empörung über reale Vernichtung palästinensischer Lebensräume, über reale Vetreibung und Entrechtung von mehr als zwei Millionen Menschen in Gaza und die Tötung Zehntausender durch Israels Armee ist.

All das erwähnen die Repräsentanten von Staat und Parlament mit keinem Wort, obwohl eine klare Positionierung gegen diese Verbrechen gegen die Menschlichkeit auch eine zentrale Lehre aus der Nazivergangenheit Deutschlands sein müsste. Die aber verweigert die deutsche Politik zugunsten einer »Staatsräson«, die Israels Regierenden bedingungslose Solidarität zusichert.

Stattdessen erklärt sich dieses Deutschland am Gedenktag schon wieder zum Musterschüler in Sachen Demokratie und Freiheit, nonchalant ignorierend, dass all das längst nicht allen im Lande und erst recht nicht »illegalen« Schutzsuchenden zugestanden wird. Und man erklärt Putins Russland einmal mehr zur Gefahr für Europa, weshalb man »militärisch stärker werden« müsse. Die Wortwahl ist eine Verschleierung des Ausmaßes einer beispiellosen Aufrüstung, die Deutschland auf Rang vier der Mächte mit den höchsten Militärausgaben weltweit katapultiert hat. All das wird vom obersten Repräsentanten dieses Landes als Friedenstat und Lehre »aus dem 8. Mai« verkauft. »Missbrauch der Geschichte« aber betreibt selbstredend nur Moskau.

Steinmeier hätte die Gelegenheit nutzen können, der eigenen Nation, ihrer Regierung, ihren Beamten und der Bevölkerung ins Gewissen zu reden. Gründe gäbe es genug. Allen voran die beispiellose Entrechtung von Geflüchteten und Migranten. Dazu der in den Behörden grassierende strukturelle wie ganz individuelle Rassismus bis hin zu offenem Neofaschismus und urdeutschem Judenhass, die in Polizistenchats zutage traten. Diese und viele weitere Punkte wurden in den Mahnreden ausgespart. Mal wieder.

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