Selbstporträt einer Kamera

Über die Ausstellung »Glitch – Die Kunst der Störung« in der Pinakothek der Moderne in München

  • Dorte Lena Eilers
  • Lesedauer: 5 Min.
Künstlerin Pipilotti Rist: »Die gestörten Bilder sind der Wahrheit näher.«
Künstlerin Pipilotti Rist: »Die gestörten Bilder sind der Wahrheit näher.«

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Vielleicht eine der »kostbarsten Kategorien absichtslos entstandener Kunst«. Glitches, also Fehler im technischen System, so beschreibt es der Schriftsteller Clemens J. Setz im Logbuch des Suhrkamp-Verlages, seien die ihn am stärksten elektrisierenden Beispiele surrealer Poesie in unserer Zeit. Vieles, was als moderne Erzählstrategie gelte, verlaufe im Grunde entlang der Logik von Glitches: Fehler, Blasen, Verwerfungen im Gewebe der Wirklichkeit. »Sie weisen darauf hin, dass die Parameter, nach denen wir existieren, alle veränderbar sind.«

Insbesondere in unserer Digitalmoderne, die uns mit ihren glatten Nutzeroberflächen und immer smarter werdenden Anwendungen eine perfekte Welt vorzugaukeln sucht, ist der Vorgang des unbeabsichtigten Hackings, die Unterbrechung des Alltäglichen, der Riss in der Realität wahrnehmungserweiternd, gibt er doch den Blick auf das Verborgene, Unentdeckte, Wandelbare frei. Kein Wunder also, dass Kunst und Medienkunst den Glitch schnell als probates Mittel der Gestaltung ansahen.

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Die Münchner Pinakothek der Moderne hat der »Glitch Art« nun eine ganze Sonderausstellung gewidmet. Arbeiten von 50 internationalen Künstlerinnen und Künstlern werden präsentiert – angefangen in der Frühzeit der Fotografie, als Kunst und Technologie verschmolzen. In »Born to Glitch«, dem ersten von vier Ausstellungskapiteln, sehen wir doppelt und dreifach belichtete Fotos, zerkratzte Oberflächen, von Säure verfärbte Motive. Die im Kontrast dazu ausgestellten historischen Ratgeber und Fotofehlerbücher zeugen davon, wie sich der Glitch zunächst behaupten musste, galt er im Kontext des technischen Fortschritts doch anfangs als das, was er war: ein Fehler bei der Suche nach dem makellosen, perfekten Abbild.

Die politische Dimension, die in einer Unterwanderung des Makellosen liegt, zeigt Kapitel 4 der Ausstellung. Unter dem Titel »Critical Disruptions« sind hier »kritische Interventionen« versammelt, die Aspekte von ethnischer Herkunft, Klasse, sexueller Orientierung und geschlechtlicher Identität thematisieren. In Arthur Jafas »Jellow Jacket« aus dem Jahr 1999 etwa sehen wir in dem Ein-Kanal-Video eine Person in einer gelben Jacke auf einem Gehsteig liegen, während Passanten an ihr vorbeihetzen. Wobei »sehen« es nicht ganz trifft. Das Video ist derart »verwackelt«, dass es wie eine animierte Version aus Gerhard Richters Porträt-Zyklus anmutet. Der Effekt ist die Irritation. Wir treten näher heran, versuchen, durch den Schleier der Bildschlieren das Geschehen genauer zu betrachten – und werden erst durch diesen Vorgang in voller Konzentration auf den Mann am Boden, offensichtlich ein Obdachloser, aufmerksam.

Für Pipilotti Rist ist die Arbeit mit Glitches eng mit ihrem Körpergefühl verbunden. »Bei der Arbeit mit Analogvideo fiel mir auf, dass die Störungen, die etwa beim Spulen entstanden, näher an meiner inneren Welt waren als die flüssigen Bilder, die wir als fehlerlos beschreiben«, heißt es in ihrem Statement, das ihr Ein-Kanal-Video »I’m Not the Girl Who Misses Much« begleitet. Darin sehen wir Rist als junge Frau in einem sehr, sehr weit ausgeschnittenen Kleid, ihre langen Haare schwingen. Aber auch hier sind durch diverse Störvorgänge die Bilder verzerrt, verschwommen, unklar. »Ich realisierte, dass es eine große Ähnlichkeit zwischen psychosomatischen Problemen unserer Körper und technischen Störungen der Maschinen gibt: Die gestörten Bilder sind der Wahrheit näher, so wie uns psychosomatische Störungen Verdrängtes, Ersehntes und nötige Veränderungen vor Augen führen.«

Die perfekte Übertragung von Bildern, die uns Maschinen wie Fotoapparate, Kameras, Fernseher in der Regel anpreisen, ist genau jener Moment, den die Arbeiten in Kapitel 3 »Loss of Control« unterlaufen wollen. »Störungen in technischen Bildern machen für mich vor allem sichtbar, dass es sich um Konstruktionen mit ganz bestimmten Bedingungen handelt, die nicht ›objektiv‹, sondern vor allem fragil, veränderbar und manipulierbar sind«, erklärt Christian Doeller in seinem Statement. »Sie einzubeziehen, erlaubt eine Art Dialog mit dem Medium, mit der Maschine.«

Wie poetisch im Sinne von Clemens Setz dieser Dialog sein kann, zeigt seine Arbeit »7300331879«, das »Selbstporträt einer Kamera«. Doeller löste eine Digitalkamera mit extra langer Belichtungszeit aus – allerdings mit abgedeckter Linse. Der Vorgang des Fotografierens wurde somit nicht in die äußere Welt, sondern ins Innere der Kamera gelenkt. Außer einer mystisch schwarzen Fläche sehen wir auf dem großformatigen Foto lediglich die »heißen Pixel« des Sensors – wie blaue, gelbe, rote Planeten in einem Sonnensystem. Das All im Herzen der Maschine.

Derart sinnlich sind die wenigsten Beiträge in dieser Ausstellung. Mehrheitlich wird dekonstruiert zum Zweck des politischen Statements oder reiner Medienkritik. Zudem ist einiges an Lesearbeit erforderlich, erklären sich viele technische Verfahren doch erst über die beigefügten Künstlerstatements.

»Freiheit ist, gegen das Programm zu spielen.« Mit diesem Zitat des Medienphilosophen Vilém Flusser, das Gottfried Jäger als prägend für seine Arbeit anführt, ließe sich der Charakter der Ausstellung beschreiben. Was aber, wenn es das Programm ist, das gegen den Künstler spielt?

Negative Effekte, die in Zeiten halluzinierender KIs durchaus bedeutsam sind, werden in dieser Ausstellung leider nicht thematisiert. Einzig in Carsten Nicolais »telefunken anti« begegnet uns die Technik ambivalent. Seine zwei vor sich hin sendenden Flachbildfernseher hängen mit dem Screen zur Wand. Die Technik kehrt uns den Rücken zu – als hätte sie etwas zu verbergen.

»Glitch – Die Kunst der Störung« bis 17. März 2024, Pinakothek der Moderne, München.

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