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Haft in Berlin Lichtenberg: Arbeitszwang für »Asoziale«
Gedenken an Arbeitshaus an der Rummelsburger Bucht zeigt die lange Tradition von Sozialchauvinismus
Es ist wenig los an dem winterlichen Sonntagnachmittag an der Rummelsburger Bucht in Lichtenberg. Einige Kinder spielen auf einer verschneiten Wiese in der Nähe einer Graffitiwand. »Hier mussten Tausende Menschen auf den Rieselfeldern Obst und Gemüse anbauen«, sagt Thomas Irmer und zeigt auf die weite Fläche. Der Historiker forscht zur Geschichte des größten Berliner Arbeitshauses, das dort 1879 eröffnet wurde. Am Sonntagnachmittag informiert Irmer auf einem historischen Spaziergang über die wechselvolle Geschichte dieser Haftanstalten, die mehr als 100 Jahre unter sehr verschiedenen politischen Systemen Bestand hatten.
Über 30 Menschen nehmen an dem Spaziergang teil, der im Rahmen der Lichtenberger Aktionswochen gegen Sozialchauvinismus von einem linken Bündnis veranstaltet wird. »Wir wollen auf die Stereotypisierung und Abwertung von Wohnungslosen, armen Menschen und Suchtkranken aufmerksam machen«, sagt Moritz von der Antifaschistischen Vernetzung Lichtenberg, die die Aktionswochen mit anderen vorbereitet hat.
Anhand der langen Geschichte des Berliner Arbeitshauses schildert Thomas Irmer die mörderischen Konsequenzen dieses Sozialchauvinismus. Im Nationalsozialismus habe sich der Terror verschärft, erzählt Irmer. »Jetzt mussten die Insass*innen des Arbeitshauses für die zahlreichen Betriebe der deutschen Rüstungsindustrie schuften, die damals in Lichtenberg ihren Sitz hatten.« Immer mehr Menschen, die nicht in das Menschenbild der Nazis passten, wurden mit der Stigmatisierung, sie seien »asozial und arbeitsscheu«, weggesperrt. Arrestzellen für Homosexuelle und »psychisch Abwegige«, ein »Bewahrungshaus« für »Asoziale« und eine »Sonderabteilung« für Juden wurden eingerichtet. »Nach einem Erlass des Reichsinnenministeriums von 1937 wurden die Insassen aus Rummelsburg, soweit sie für den Zwangsarbeitseinsatz ungeeignet waren, in Konzentrationslager überführt«, berichtet Irmer über die Intensivierung des NS-Terrors.
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Am 13. Januar 1941 wurden 30 jüdische Insass*innen des Arbeitshauses in die Tötungsanstalt Bernberg gebracht und dort mit Gas ermordet. Unter ihnen war Auguste Löwenthal, die im Alter von 67 Jahren im Juni 1939 unter der Beschuldigung verhaftet worden war, als Prostituierte zu arbeiten. Zu ihrem Schicksal hat Irmer geforscht und die Frau so dem Vergessen entrissen. Doch viele der Opfer sind und bleiben unbekannt. »Arme Menschen schreiben keine Geschichte und hinterlassen oft kaum Dokumente«, benennt der Historiker die Schwierigkeit, arme Menschen in den Mittelpunkt der Erinnerungspolitik zu stellen.
Das war auch das Anliegen des AK Marginalisierte gestern und heute, der 2007 von Aktivist*innen aus der Erwerbslosenbewegung gegründet wurde. Sie kämpfen für eine würdige Erinnerung an die Opfer des Arbeitshauses. Dabei wurden sie in den ersten Jahren von Bruno Schleinstein unterstützt, der als Jugendlicher Insasse des Berliner Arbeitshauses war und später unter dem Namen Bruno S. als Schauspieler in Filmen von Werner Herzog wie »Stroczek« und »Kaspar Hauser« weltbekannt wurde. Er starb 2010.
Im letzten Teil des Spaziergangs am Sonntag wird noch einmal eine geschichtspolitische Auseinandersetzung deutlich, die die Gedenkarbeit am ehemaligen Arbeitshaus prägt. Es geht um die gut erforschte Zeit, als die Einrichtung in der DDR als Gefängnis genutzt wurde. Neben linken Oppositionellen wurden dort Menschen wie Matthias Bath inhaftiert, der Fluchthilfe aus der DDR organisierte, weil er die Teilung Deutschlands nicht akzeptierte. So wird er auf einer Gedenktafel an der Rummelsburger Bucht zitiert. Ein Teilnehmer des Spaziergangs erinnert daran, dass Bath in den 80er Jahren bei der ultrarechten Partei Die Republikaner und später bei der AfD aktiv war. »Muss ausgerechnet eines Ultrarechten hier als Opfer der DDR-Justiz gedacht werden?«
Bis Mitte Dezember finden im Rahmen der Aktionswochen gegen Sozialchauvinismus Veranstaltungen in Lichtenberg statt.
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