Mehr ambulant, aber solidarisch

Stadtteilgesundheitszentren als Möglichkeit für die Entlastung von Krankenhäusern

  • David Bieber
  • Lesedauer: 3 Min.

In Bochum denkt man über neue Schritte in der Gesundheitsversorgung nach. Lokale Bündnisse setzen sich auch hier für eine andere Form ambulanter Versorgung ein, allen voran das Bochumer Bündnis für ein gemeinwohlorientiertes Gesundheitswesen um Sprecher Törk Hansen. Die Beteiligten stellten am Mittwoch in der Ruhrgebietsstadt ihre Lösung vor. Dabei spielen Stadtteilgesundheitszentren eine zentrale Rolle.

Angetrieben ist das Bündnis von der Krankenhausplanung der schwarz-grünen Landesregierung in Düsseldorf. Danach würde die künftige Gesundheitsversorgung viel weniger in Krankenhäusern, dafür viel mehr in Ambulanzen stattfinden. So sollen 18 000 von insgesamt mehr als 100 000 Betten in den Krankenhäusern Nordrhein-Westfalens bis 2030 abgebaut werden, berichtet Hansen. Nadja Rakowitz vom Verein demokratischer Ärztinnen und Ärzte kritisiert die zunehmende Ambulantisierung und sieht dabei viele Probleme auf die Strukturen und vor allem auf die Patienten zukommen. Über allem stehe die fortschreitende Ökonomisierung des Gesundheitswesens.

Das Hauptproblem: Auf die bevorstehende groß angelegte Ambulantisierung sei die aktuelle Gesundheitsversorgung in NRW gar nicht vorbereitet. »Derzeit gibt es keine angemessene 24/7-Versorgung, die dazu nötig wäre. Darüber hinaus sind in ›normalen‹ Praxen niedergelassener Ärzte vielfach keine Termine mehr zu bekommen – bei Fachärzten kann die Wartezeit für gesetzlich Versicherte bis zu einem halben Jahr andauern«, erklärt Rakowitz. Es brauche daher »dringend« ein Umsteuern und neue Lösungen.

nd.Kompakt – unser täglicher Newsletter

Unser täglicher Newsletter nd.Kompakt bringt Ordnung in den Nachrichtenwahnsinn. Sie erhalten jeden Tag einen Überblick zu den spannendsten Geschichten aus der Redaktion. Hier das kostenlose Abo holen.

Im Gespräch mit »nd« plädiert Rakowitz für »solidarische« Primärversorgungszentren, bei denen der Patient im Mittelpunkt steht. Diese Primärversorgungszentren sollen fächerübergreifend und rund um die Uhr eigenständig in multiprofessionellen Teams arbeiten. »Das ist auch insofern dringlich, weil in der derzeitigen Konzeption der Gesundheitsversorgung kein Ansatz dafür vorhanden ist«, sagt Rakowitz.

Krankheit habe nicht nur medizinische, sondern häufig auch soziale Ursachen, und es brauche »endlich eine Lösung, die den verschiedenen Ursachen Rechnung trägt«. Primärversorgungszentren in Form von Gesundheitszentren in fast jedem Stadtteil gibt es bereits in anderen Staaten, etwa in Schweden. Sie könnten laut der Aktivisten eine Antwort auf die geschilderten Probleme sein – auch, wenn deren Finanzierung noch unklar ist, ebenso wie die Frage der Beteiligung der Kommunen.

Es gehe grundsätzlich darum, der Ökonomisierung entgegenzuwirken. »Zunehmend breiten sich Spekulanten und Finanzinvestoren aus, die in medizinischen Versorgungszentren eine neue Rendite-Quelle entdeckt haben. Dagegen müssen wir ankämpfen«, erklärt Törk Hansen. Seit 2018 nämlich ist es möglich, ein medizinisches Versorgungszentrum (MVZ) lediglich mit einer medizinischen Fachrichtung zu gründen. Vorher musste eine fächerübergreifende Versorgung angeboten werden. Genau diese Änderung mache die MVZ lukrativ für Investoren, erklärt Rakowitz.

Besonders interessant seien für diese auf Zahnmedizin oder Radiologie spezialisierte Einrichtungen. Überwiegend sind kapitalkräftige, fondsbasierte »private Equity-Gesellschaften«, also Kapitalbeteiligungsgesellschaften wie Banken, Versicherungen oder andere private Investoren, aus den europäischen Nachbarländern und aus den Vereinigten Staaten aktiv. Betrieben werden viele MVZ auch direkt von großen Playern auf dem Gesundheitsmarkt wie Helios, Sana oder Asklepios. Auch bei ihnen gehören Investmentfirmen zu den Geldgebern.

Es gehe in eine völlig falsche Richtung, wenn mit Versichertengeldern Profite für Aktionäre erwirtschaftet werden, sagt Rakowitz. »Im gemeinwohlorientierten Gesundheitswesen braucht es keine Profite.« Laut einer Analyse der Robert-Bosch-Stiftung werden im Jahre 2035 in Deutschland rund 11 000 Hausarztstellen unbesetzt sein. Man kann sich ausmalen, dass dieser Umstand die angestrebte Ambulantisierung noch einmal zusätzlich konterkariert.

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken von Socken mit Haltung und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -