»Die Katze auf dem heißen Blechdach«: Das träumende Tier stirbt

Anne Lenk inszeniert Deutschen Theater Berlin »Die Katze auf dem heißen Blechdach« von Tennessee Williams als Bestiarium der modernen Familie

  • Gunnar Decker
  • Lesedauer: 6 Min.
Ein Ensemblegeist wie in längst vergangenen DT-Tagen: Die acht Schauspielerinnen und Schauspieler überzeugen kollektiv.
Ein Ensemblegeist wie in längst vergangenen DT-Tagen: Die acht Schauspielerinnen und Schauspieler überzeugen kollektiv.

Da tanzen zwei fast nackt über die Bühne. Beinahe möchte man sie für Adam und Eva halten. Befinden wir uns vor oder nach dem Sündenfall? Die Frage scheint gänzlich unbeantwortbar im rollenden Geschlechterkampfdiskurs. Oder um es mit einer Fußballmetapher zu sagen: Nach dem Sündenfall ist vor dem Sündenfall.

Elia Kazan brachte Tennessee Williams »Die Katze auf dem heißen Blechdach« 1955 in New York auf die Bühne. Zu jener Zeit beschwor der Zeitgeist den American Way of Life, für den der schöne Schein alles, die hässliche Wahrheit dahinter nichts war. Und nun sah man ein seltsames Paar, Brick, einen depressiven trunksüchtigen ehemaligen Sportstar, und Maggie, seine energisch die Kontrolle über die Außenwirkung des Paars an sich ziehende Frau. Etwas bindet sie aneinander und etwas trennt sie auch auf unüberwindliche Weise.

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Die Verfilmung des Stücks von 1958 setzte ganz auf Paul Newman als Brick und Elisabeth Taylor als Maggie. Da knisterte es andauernd vor sexueller Spannung zwischen beiden, der große Ausbruch der Leidenschaft schien immer kurz bevorzustehen. Und wie hier Maggie darum kämpfte, den Panzer aus eisiger Ablehnung, mit dem sich Brick umgab, zu durchbrechen! Tennessee Williams fühlte sich jedoch durch diese Lesart seines Stück verraten und riet öffentlich vom Kinobesuch ab. Denn die simple Wahrheit lautet: Brick ist schwul und trauert seinem toten Freund Skipper nach, mehr noch, er gibt Maggie eine Mitschuld an dessen Tod. Da ist nichts mehr als Kälte und die ewige Whiskyflasche zwischen ihnen. Toleranz heißt noch, was schon Gleichgültigkeit ist. Doch einen Film über einen schwulen Ex-Sportler, der depressiv und alkoholsüchtig ist, machte der »Production code«, die Sebstzensur in Hollywood, ganz und gar unmöglich. Gleichwohl merkt der Zuschauer unweigerlich etwas, wenn Brick seinen toten Freund derart idealisiert und wie sein einziger Hinterbliebener um ihn trauert. Die Kunst der Andeutung, so lernten wir in diesem Film, kann effektreicher sein als das schrankenlose Ausbreiten von Befindlichkeiten.

Anne Lenk inszeniert nun »Die Katze auf dem heißen Blechdach« am Deutschen Theater (DT) in Berlin. Manche fragten reflexartig, ob das nicht eine allzu altbackene Südstaatengeschichte sei. Der Schwule, der öffentlich als Frauenschwarm fungiert – man denke an Hollywoodstar Rock Hudson, der dann in den 80er Jahren eines der ersten prominenten Aids-Opfer wurde. Das scheint in Zeiten von omnipräsenten queeren Themen wahrlich gestrig – und Lenk schiebt diesen Konflikt, der einst so skandalträchtig wirkte, dann auch eher beiseite.

Andere Kämpfe stehen an, wie der ums Millionenerbe von Big Daddy. Der lebt zwar noch und wird gerade 65, aber alle verheimlichen ihm die schlimme Diagnose dessen, was für ihn bloße Darmkrämpfe sind: Krebs im Endstadium. Jetzt tritt das auf den Plan, was juristisch so treffend »Zugewinngemeinschaft« heißt und an den Kapitalismus der freien Konkurrenz gemahnt: Umverteilung durch Raub, Verleumdung und Betrug.

Diesen familiären Kampfplatz rückt Anne Lenk klugerweise in ihrer Inszenierung in den Mittelpunkt. Leo Tolstois »Anna Karenina« begann mit dem berühmten Satz: »Alle glücklichen Familien gleichen einander, jede unglückliche Familie ist auf ihre eigene Weise unglücklich.« Individualisierung durch Unglück, darin sind wir weit gekommen. Hundert Jahre später schrieb dann Undine Gruenter, Familie sei die Kugel im Kopf, die man mit sich trage.

Der kühle Gestus des Abends hat etwas von einem sehr distanzierten Rückblick auf die Conditio humana. Liebe, Treue, Mitgefühl, Freundschaft – das scheinen inzwischen Suchbegriffe mit nur noch geringer Trefferquote. Gleich zu Beginn des Abends leuchtet im Bühnenhintergrund ein Bild auf, so wie ein Fenster auf dem Computerbildschirm: eine sich drehende Torte (Bühnenbild: Judith Oswald). Das Geburtstags-Piktogramm eines digitalen Zeitalters. Dann folgt eine lange Schwarzblende wie ein sich öffnender Abgrund. Aus dem Menschen als träumendes Tier wurde längst das rechnende Tier, aber auch das wirkt seltsam in die Ferne gerückt. Hier geht es nun um das sterbende Tier.

Und so sehen wir acht Schauspieler und Schauspielerinnen mit einem großartigen Ulrich Matthes als Big Daddy im Zentrum. Der trägt den Tod längst in sich und scheint doch immer noch der vitale Kern dieser Familie zu sein. Ein Patriarch auf Widerruf – kein selbstgerechter Machtmensch, sondern ein hochgradig unsicherer alter Mann, der am Leben hängt, dabei ein skeptisches, mitunter auch zynisches Schutzschild gegen die Welt vor sich herträgt. Wem soll er etwas vererben? Besser, so scheint ihm, es gäbe gar nichts zu verteilen und er stünde in seiner letzten Stunde nackt da. Dann wüsste er jetzt die Wahrheit über sich.

So wandelt sich die Szenerie in eine Art modernen Totentanz. Lorena Handschin zeigt uns eine Maggie, die sich von den degenerierten Vertretern dieser Familie nicht aufhalten lassen will. Sie hat ein handfestes Ziel, für dessen Erreichen sie jede Demütigung in Kauf nimmt: die Absicherung eines hohen Lebensstandards. Denn sie kommt aus dem sozialen Abseits, weiß, was Mangel bedeutet. Jeremy Mockridges Brick dagegen scheint wie aus Watte gemacht. Selbst die Aggression des Trinkers liegt hinter ihm, es ist ihm alles gleich in seinem Lebensekel. Brick verkörpert hier den totalen Nihilismus, er will nichts mehr – er hängt, im Unterschied zu Big Daddy, nicht am Leben, fühlt sich, als wäre er längst gestorben.

Welch starke kollektive schauspielerische Leistung, die an den Ensemblegeist längst vergangener DT-Tage erinnert! Dieser zeigt sich auch darin, dass scheinbar ausrechenbare Nebenfiguren eine unerwartete Präsenz erlangen. So Miriam Maertens als Big Mama, die – trotz der ihr von allen Seiten entgegengebrachten Missachtung – um ihr Bild von heiler Familie kämpft, auch wenn sie dabei unweigerlich zur lächerlichen Figur wird. Ihr erstgeborener Sohn Gooper (Jonas Hien) ist ein Erfolgsanwalt und darum ganz und gar uninteressant – dagegen erlangt Julischka Eichel als seine Frau Mae eine unerwartete Präsenz. Klug unterläuft sie das Klischee jener notorisch fruchtbaren Gebärmaschine, die sie in den Augen nicht nur von Maggie und Brick, sondern auch von Big Daddy ist. Gewiss, ihre fünf »halslosen Monster« schickt sie am Geburtstag Big Daddys zur Untermauerung des Erbanspruchs des Erstgeborenen konsequent in den Kampf ums sehr bald zu verteilende Geld, aber sie macht dies mit einem weltläufig-glatten Manager-Charme.

So sind es hier drei Frauen, die mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln um ihre Zukunft kämpfen, während die Männer längst kapituliert haben. Und die fünf »halslosen Monster«, für welche Zukunft stehen sie? Nimmt man nur die Vornamen der Kinder, die diese hier am DT spielen, ahnt man einiges: von Anna Amalia, Kyra Liana bis Zita Theresa klingt es nach künftigen Thronanwärterinnen. Aber wenn alle herrschen wollen, wer dient dann noch?

Der feministischen Stück-Lesart von Anne Lenk muss man nicht folgen, aber Rhythmus und Intensität der Inszenierung, trotz – oder wegen – ihrer offenkundigen Handlungsstillstellungsmomente, frappieren. Welch irritierendes Vexierbild eines Bestiariums der modernen Familie, die vor allem ein Wirtschaftsverbund zu sein scheint, angeführt von überaus zielstrebigen Frauen.

Nächste Vorstellungen: 14, 20. und 25. Dezember www.deutschestheater.de

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