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Bericht aus dem Süden Libanons: »Bomben fielen wie Regen herab«

Ihab Serhan lebt direkt an der libanesisch-israelischen Grenze. Trotz der heftigen Gefechte nach dem 7. Oktober blieb er dort

Sie leben in Kafarkila, einem Dorf direkt an der libanesisch-israelischen Grenze, wo es seit der Hamas-Attacke auf Israel am 7. Oktober fast täglich zu militärischen Auseinandersetzungen zwischen Hisbollah und Israel kam. Wie haben Sie die vergangenen Wochen erlebt?

Das Kriegsgeschehen höre und sehe ich aus nächster Nähe. Ich konnte beobachten, wie Bomben auf den Hügel direkt vor unserem Haus abgeworfen wurden. Einige, die am Himmel explodierten und wie Regen herabfielen. Andere, die Feuer fingen, als sie den Boden berührten, und wieder andere, die beim Einschlag alles zerstörten, was ihnen im Weg stand. Dazu kommt schweres Geschützfeuer, das täglich von beiden Seiten abgefeuert wird. Dadurch, dass ich so nah an der Grenze bin, höre ich nicht nur die Explosionen auf beiden Seiten, sondern auch die Rakentenwarnsirenen in den israelischen Dörfern hinter der Grenze – bei uns gibt es solche Sirenen nicht. Wir haben in den vergangenen Wochen immer besser gelernt abzuschätzen, wo und wann die Raketen einschlagen werden. Das hartnäckigste Geräusch ist jedoch das laute Surren der Drohnen, das ständig am Himmel zu hören ist. Manchmal gesellt sich der Lärm von Kampfjets mit dazu.

Der Großteil der Anwohner der Grenzdörfer hat den Süden verlassen, um sich weiter im Norden in Sicherheit zu bringen. Warum haben Sie sich dazu entschlossen, in Kafarkila zu bleiben?

Interview

Ihab Serhan wurde 1965 in Südlibanon geboren. Während des libanesischen Bürgerkrieges lebte er in der Slowakei und später in Deutschland. 2013 zog er zurück in sein Heimatdorf Kafarkila. Serhan war ehemals in der Kommunistischen Partei Libanons (LCP) aktiv.

Von den geschätzten fünf Prozent, die geblieben sind, sind die meisten Männer, die ihre Familien und Kinder in sicherere Gebiete gebracht haben. Einige beschließen zu bleiben, weil sie nirgendwo anders hingehen können. Andere bleiben aus gesundheitlichen Gründen, wie meine Stieftante Um Ali, für die ein Umzug aufgrund ihres hohen Alters von 90 Jahren schwierig ist – also blieb sie, obwohl ihr Haus direkt unter Beschuss stand. Ihr Sohn und ihre Tochter blieben auch, um sich um sie zu kümmern. Ich selbst bin alleine hiergeblieben, meine Mutter und mein Neffe gingen nach Beirut. Als alleinstehender Mann kümmere ich mich um das Land, die Ernte, die Hühner und unsere trächtige Hündin, die am 15. November Welpen geboren hat.

Versuchen Sie, inmitten der Aggression Ihr normales Leben weiterzuführen? Wie schützen Sie sich?

Ein normales Leben gibt es entlang der südlibanesischen Grenze seit dem 8. Oktober, als die Auseinandersetzug hier anfing, nicht mehr. Die meisten Menschen, die noch hier sind, verlassen ihre Häuser nur, wenn es nötig ist, um in den wenigen Geschäften, die noch einige Stunden am Tag geöffnet haben, Lebensmittel oder Medikamente zu kaufen – wenn es die Situation erlaubt. Je weniger man das Haus verlässt, desto sicherer ist man in der Regel.

In einem Nachbardorf, Al Bouston, setzte Israel laut Human Rights Watch weißen Phosphor ein, eine Chemiewaffe, die nach internationalem Recht verboten ist. Sie selbst leben von Ihrem eigenen Land, auch insgesamt ist die Grenzregion ein landwirtschaftliches Gebiet. Was sind die langfristigen Folgen von weißem Phosphor für die Landwirtschaft dort?

Dazu habe ich mit meinem Neffen, Hadi Awade gesprochen, er arbeitet als Berater für Permakultur und ist in Kontakt mit Agrarforschern der American University of Beirut. Aufgrund der Situation können aktuell noch keine Proben aus dem Boden entnommen werden. Wir wissen aber mit Sicherheit, dass der Überschuss an Phosphor zu einer Verschlechterung des Bodens führen wird, indem er die Mikroorganismen und den lebenden Boden abtötet. Darüber hinaus wird der Phosphor in das unterirdische Wasser gelangen, das nicht nur die Region, sondern alle Wassereinzugsgebiete, Flusssysteme und Flussufer bis hin zum Meer beeinträchtigen wird. Um die Auswirkungen der Kontamination besser zu verstehen, müssen nach dem Ende der Aggression Tests durchgeführt werden.

Haben auch die Kampfhandlungen selbst Auswirkungen auf die Landwirtschaft?

Teller und Rand – der Podcast zu internationaler Politik

Teller und Rand ist der nd.Podcast zu internationaler Politik. Andreas Krämer und Rob Wessel servieren jeden Monat aktuelle politische Ereignisse aus der ganzen Welt und tischen dabei auf, was sich abseits der medialen Aufmerksamkeit abspielt. Links, kritisch, antikolonialistisch.

Ja, unser Nachbardorf, das für seine riesigen Monokulturen bekannt ist, ist jetzt völlig verlassen, da viele Arbeiter bei den Bombardierungen und Schießereien getötet oder verletzt wurden. Die Olivensaison wurde durch die israelischen Gegenangriffe, die genau zur Erntezeit begonnen haben, stark beeinträchtigt. Sich in den Olivenhainen aufzuhalten, ist sehr riskant, weil man für einen Kämpfer gehalten werden könnte. Auch die psychische Belastung ist kaum auszuhalten.

Kafarkila wurde während des libanesischen Bürgerkrieges besetzt. Erst im Jahr 2000 gelang es der Hisbollah, das Land zurückzugewinnen. Wie erlebten die Dorfbewohner diese Zeit?

Kafarkila gehörte zu einer Reihe von Dörfern, die schon vier Jahre vor der israelischen Invasion von 1982 besetzt waren, als die Südlibanon-Armee (SLA) unter der Führung von Saad Haddad gegründet wurde. Die SLA unterstand direkt dem Kommando der israelischen Armee. Die Zivilbevölkerung litt insbesondere unter dem obligatorischen Wehrdienst, den die SLA damals einführte. Und an den schwerwiegenden Folgen für alle, die ihn verweigerten. Das galt aber nicht für alle gleichermaßen: Wer einer höheren Wirtschaftsschicht angehörte, konnte sich durch Bestechung korrupter SLA-Offiziere der Wehrpflicht entziehen. Darüber hinaus mussten die Grenzbewohner immer wieder Verhaftungen und Verhöre über sich ergehen lassem, die von der SLA selbst oder indirekt von Israel angeordnet wurden. In einigen der Grenzdörfer herrschte ein reges Wirtschaftsleben aufgrund der Wanderarbeiter, die täglich nach Israel reisten, um dort in der Landwirtschaft, im Tourismus oder im Baugewerbe zu arbeiten. Das brachte den Familien Geld ein, was wiederum das wirtschaftliche Leben unter der Besatzung erleichterte, insbesondere da es keine staatliche Unterstützung gab.

Die Hisbollah hat sich seit ihrer Gründung in den 80er Jahren und insbesondere nach der Befreiung der Grenzdörfer als politische Partei und Miliz etabliert, die von vielen Menschen im Süden Libanons unterstützt wird. Wie blicken Sie auf die Rolle, die die Hisbollah seit dem 7. Oktober einnimmt?

Es ist noch zu früh, um zu sagen, welche neuen Vereinbarungen und Allianzen in der Region nach dem Ende des Krieges getroffen werden und was mit Hisbollah geschehen wird. Sicher ist jedoch, dass unter denjenigen, die die Rolle der Hisbollah in Frage gestellt haben, eine Verschiebung stattfinden wird, je nach Ausgang des Krieges. Insbesondere bei denen, die an der südlibanesischen Grenze direkt betroffen sind oder vertrieben wurden. Die Rolle der Hisbollah hat sich seit ihrer Gründung kaum geändert. Die Parteiführung hat nie versucht, ihre Zugehörigkeit zu einer Front zu verbergen, die politisch und ideologisch über den Libanon hinausgeht und von Iran angeführt wird. Auf diese Weise bindet die Hisbollah den Libanon politisch und militärisch in einen regionalen Kampf ein, dessen Folgen der Libanon in seiner derzeitigen katastrophalen politischen und wirtschaftlichen Lage nicht zu bewältigen vermag.

Was müsste geschehen, damit eine politische Alternative zu der Hisbollah und ihrer Schwesterpartei Haraket Amal im Süden wieder stärker wird? Können Sie sich ein solches Szenario überhaupt vorstellen?

Solange offene Fragen im Verhältnis zwischen Israel und Libanon ungeklärt bleiben – etwa die israelische Besatzung der libanesischen Sheba Farmen –, wird Hisbollah ihre Position auf der nationalen Ebene aufrechterhalten können. Auf der regionalen Ebene steht ihr Machterhalt in direktem Zusammenhang mit dem Konflikt zwischen den besetzten palästinensischen Gebieten und Israel. Der legitime palästinensische Kampf für Freiheit und Gerechtigkeit auf der einen Seite und die fehlende Verpflichtung Israels, sich an alle internationalen Resolutionen zu halten, die seit Jahrzehnten zu diesem Thema in Bezug auf eine Zwei-Staaten-Lösung verabschiedet wurden, auf der anderen Seite, werden die Länder in der Region weiterhin in einem Zustand der Unsicherheit und drohenden Gefahr lassen. Solange das der Fall ist, wird die Hisbollah stark bleiben.

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