Genossenschaften in Berlin: Der Reiz des Eigentums

Wohnungsgenossenschaften brauchen Kapital, dabei lockt der Rückgriff auf den Verkauf des Bestandes

  • Günter Piening
  • Lesedauer: 5 Min.
Wohnungsneubau kostet. Auch für neue Genossenschaften, wie die Spreefeld eG (im Hintergrund), geht es nicht ohne die ökonomischen Voraussetzungen.
Wohnungsneubau kostet. Auch für neue Genossenschaften, wie die Spreefeld eG (im Hintergrund), geht es nicht ohne die ökonomischen Voraussetzungen.

Wenn Michael LaFond darüber nachdenkt, warum es so weit gekommen ist, dann kommt er zu dem Ergebnis: »Die Eigentumsorientierung hat uns fertiggemacht!« LaFond wohnt in einer WG in der Bau- und Wohngenossenschaft Spreefeld Berlin – oder besser: in dem, was davon übrig geblieben ist. 2009 hatte eine Gruppe von Architekt*innen und Wohnengagierten die Vision, auf einer Brache am Spreeufer in Berlin-Mitte eine Genossenschaft für rund 140 Menschen aufzubauen, in der Arbeiten und Leben zusammengeführt werden, mit vielen Wohngemeinschaften und großen Kollektivräumen, die auch die Allgemeinheit nutzen kann: eine solidarische Gemeinschaft, demokratisch organisiert nach innen und offen nach außen. Die Lobeshymnen in der Fachwelt überschlugen sich, als das Projekt 2011 startete. »Bauen als politische Aussage, nicht von oben instruiert, sondern von kundigen Architekten angestoßen, die das Wohnen in der Stadt anders organisieren wollen«, schwärmte die Bauwelt, und für das Deutsche Architekturmuseum entstand da am Ufer der Spree gar der »Gegenentwurf zur Stapelung autistischer Eigentumswohnungen«. Das Internet wimmelt noch heute von solchen Lobpreisungen.

Sie ragen in die Gegenwart wie Ruinen einer gescheiterten Utopie. Denn das Projekt hatte einen Geburtsfehler. Es war eine »eigentumsorientierte Genossenschaft«.

Eigentumsorientierte Genossenschaft:

In einer Wohnungsbaugenossenschaft sind die Häuser Gemeinschaftseigentum. Mieter*innen – in Genossenschaften heißen sie »Nutzer*innen« – haben lebenslanges Wohnrecht, können die Wohnungen aber nicht erwerben. Im Zuge der neoliberalen Offensive wurde 1996 die »eigentumsorientierte Genossenschaft« erfunden. Mitglieder einer solchen Genossenschaft können zu Privatbesitzer*innen werden und staatliche Förderungen nach dem Wohnungsbauprämiengesetz in Anspruch nehmen. Im Ostteil Berlins wurden die meisten Arbeiterwohnungsgenossenschaften (AWG) notgedrungen eigentumsorientiert, um die Quote von 15 Prozent Privatisierung zu erfüllen, die das »Altschuldenhilfegesetz« von 1993 ihnen aufgedrückt hatte. Aber auch Neugründungen wurden »eigentumsorientiert«, weil durch die damit verbundenen Fördergelder die Kreditbelastung reduziert werden konnte.

Die Spreefeld-Gruppe brauchte Startkapital und da boten einige gutbetuchte Genoss*innen an, mit größeren Kapitalsummen einzusteigen. Ihre Bedingung: In der Satzung der Genossenschaft müsse festgeschrieben werden, dass die Wohnenden später die Wohnungen zum Erstellungspreis kaufen können. Zähneknirschend stimmte man zu. LaFond rückblickend: »Wir hofften, dass die Lust am Privateigentum sinkt, wenn die Gemeinschaft erst einmal erlebbar wird.«

Das Gegenteil war der Fall. Nach dem Einzug begannen Jahre zermürbenden Streits, die schließlich zur Aufteilung führten. Etwa ein Drittel der Bewohner*innen verblieb in der Genossenschaft, der Rest kaufte die Wohnung zu einem Preis, der nur einen Bruchteil des Marktwertes ausmachte. Heute gehört das Spreefeld einer Eigentümergemeinschaft aus Privatbesitzer*innen und Genoss*innen. Immerhin, beruhigt sich LaFond, habe man noch eine Sperrminorität, sodass zentrale Entscheidungen gegen die Genossenschaft nicht möglich sind.

Es sind die Reste einer Utopie gerade für einen Genossenschafter aus Leidenschaft wie LaFond, der sich selbst nicht als Architekten, sondern als stadtpolitischen Aktivisten und Idealisten bezeichnet. Wenn er in dem kleinen Büro an der Spree im Gespräch mit »nd« Bilanz zieht, dann redet er nachdenklich, nicht aufgebracht oder wütend. Das Verhältnis zwischen Privatisierer*innen und Genoss*innen sei wieder erträglich, ja, er könne sogar ein wenig Verständnis aufbringen für die Aussteiger*innen. Es sei ein Fehler des Systems und nicht der Einzelnen, wenn geglaubt wird, »Freiheit und Sicherheit« biete nur das Privateigentum. Die Privatisierung der Daseinsvorsorge und die durch die Bodenspekulation angeheizte Wertsteigerung von Immobilien verlocke geradezu, an den Spekulationsgewinnen zu partizipieren.

LaFond kann dieser Fixierung auf Privatbesitz nichts abgewinnen. »Sicherheit habe ich auch in einer Genossenschaft, die mir lebenslanges Wohnrecht bietet. Und was ist das für eine Freiheit, die in Einsamkeit und Vereinzelung endet, unter der heute schon die Hälfte der Menschen leidet.« Dinge gemeinschaftlich zu nutzen ist für ihn auch die Konsequenz aus Ressourcenknappheit und ökologischer Krise. Seine Überzeugung ist, dass eine Gesellschaft aus solchen, dem Gemeinschaftlichen verpflichteten Leuchtturmprojekten lernt und sich auf den Weg macht. »Aber dieser Lernprozess braucht politische Rahmenbedingungen. Boden sollte auch an gemeinwohlorientierte Träger nur in Erbbaurecht vergeben und nicht mehr verkauft werden – das bremst die Spekulation. Es braucht eine Deckelung der Gewinne aus Immobilien, wie sie die Neue Gemeinnützigkeit vorsieht, und eine klare Priorisierung von Gemeinschaftseigentumsformen in der Förderpolitik.« Auch die Architektur sei gefordert, müsse wegkommen vom klassischen Zuschnitt der Häuser, mehr Gemeinschaftsflächen bieten und eine flexiblere Umgestaltung des Raums ermöglichen.

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Ortswechsel: Auch in der Satzung der im Jahr 2000 von 28 Mieter*innen im Prenzlauer Berg gegründeten Genossenschaft »Am Ostseeplatz eG« stand ursprünglich die Eigentumsorientierung. Die Genossenschaft hat nicht so viel Aufsehen erregt wie das Spreefeld. Weniger bedeutsam für den Berliner Wohnungsmarkt ist sie aber keinesfalls. Sie ist eine der rührigsten und wohnungspolitisch aktivsten Genossenschaften mit inzwischen 630 Wohnungen an verschiedenen Standorten. Dazu gehört auch das vielfach prämierte Holzhaus in der Lynarstraße – ein Haus mit einer Bewohner*innenschaft, so bunt wie Berlin: Menschen mit und ohne körperliche, geistige oder seelische Beeinträchtigung, Geflüchtete, Traumatisierte, von Obdachlosigkeit Betroffene. »Wir sind für die da, die rausgedrängt werden aus der Stadt und entziehen die Wohnungen dem Markt. Wer 16 Euro pro Quadratmeter bezahlen kann, findet eine Lösung auch ohne uns,« erläutert Vorstand Richard Schmitz die Firmenphilosophie gegenüber »nd«.

Die Eigentumsorientierung war aus der Not heraus in die Satzung gekommen. »Wir brauchten 300 000 Euro Eigenkapital, um die Belastung für die Wohnenden erträglich zu halten, und nur mit der Eigentumsorientierung bekamen wir die Förderung,« erinnert sich Schmitz. Die Gefahr, den gewaltigen Wertgewinn der Häuser in Prenzlauer Berg, Neukölln und Kreuzberg zu Geld zu machen, lauerte also auch bei dieser Genossenschaft. Vorstand und Aufsichtsrat begannen, für die Streichung des Passus aus der Satzung zu werben. Mit Erfolg. Als auf der Mitgliederversammlung, dem höchsten Beschlussgremium der Genossenschaft, der Antrag gestellt wurde, die Eigentumsorientierung zu streichen, gab es eine Zustimmung von 100 Prozent. Schmitz: »Wer bei uns wohnt, ist froh, dem kapitalistischen Wohnungsmarkt entronnen zu sein. Die Leute spüren, dass es ein Wert an sich ist, in einer Genossenschaftswohnung und nicht in einer Eigentumswohnung zu wohnen. Wenn dieses Bewusstsein da ist, entwickelt man kein Bedürfnis, durch Privatisierung von Kollektiveigentum sein privates Schnäppchen zu machen.«

An diesem »Wert an sich« wollen auch die letzten Genossenschafter*innen der Spreefeld eG festhalten. Und ab dem 31. März 2024 können sie sicher sein, dass ihnen keine Privatisierung mehr in die Quere kommt. Dann läuft die Frist aus, innerhalb derer Wohnungen privatisiert werden können. Die Spreefeld eG – oder das, was noch davon übrig ist – hat dann die Eigentumsorientierung hinter sich gelassen und ist wirklich eine Genossenschaft, deren gemeinschaftlicher Besitz dauerhaft dem Markt entzogen ist.

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