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Danton’s Clown World!

Johan Simons inszeniert an der Wiener Burg Büchners Drama »Dantons Tod« mit Nicholas Ofczarek und Michael Maertens als revolutionäre Clowns

  • Stefan Schmitzer
  • Lesedauer: 5 Min.
Revolutionär sitzt, hat Clownsgesicht, ist dem Ende nah: Nicholas Ofczarek spielt den Danton.
Revolutionär sitzt, hat Clownsgesicht, ist dem Ende nah: Nicholas Ofczarek spielt den Danton.

Ein Lieblingsbegriff rechter Online-Trolle, um die Gesamtheit der Errungenschaften der Aufklärung seit der Französischen Revolution bündig abzukanzeln, lautet »Clown World«. Die Clowns seien Clowns, weil sie die »natürliche Ordnung« zum eigenen Nachteil ignorierten. Johan Simons’ Inszenierung von »Dantons Tod« im Wiener Burgtheater macht die Wendung für eine Selbstkritik linken Geschichtsbewusstseins seit Georg Büchner produktiv. Und auch körperlich spürbar.

Büchners dramatische Bearbeitung der Konflikte wichtiger Gruppierungen wie Individuen der Französischen Revolution spielt auf dem Höhepunkt der sogenannten Terrorherrschaft im Frühjahr 1794. Die Bühne im Burgtheater aber ist eine Zirkusmanege, die gern ein Hörsaal wäre – oder umgekehrt. Im Souffleurkasten befindet sich ein Souffleur (Ole Lagerpusch), der gelegentlich hervorkommt und sich in das Spiel der Herren Machthaberfiguren einmengt. Zunächst ist er, wie es scheint, von dem Impuls geleitet, es gehe hier eigentlich doch um ihn! ihn! ihn!, aber rasch wird der kindliche Narzissmus an seinen Platz am Rande verwiesen.

Er wird oft zurückkehren als Allzweck-Gegenüber für die tatsächlichen Akteure von »Dantons Tod« im Burgtheater. Er wird die elenden Bürger auf der Gasse verkörpern und ihr fortdauerndes Elend anklagen, an dem die Revolution nichts zu ändern vermochte; er wird sich von den großen Revolutionären respektive Clowns Robespierre (Michael Maertens) und Danton (Nicholas Ofczarek) Propagandaphrasen und -choreografien einbläuen lassen; und er wird vor allem an einer Stelle dem ganzen Büchner-Zirkus das »Nachtstück« – ein Zwischenspiel aus Heiner Müllers Stück »Germania Tod in Berlin« aus den 90ern – gegenüberstellen bzw. gegenüberträumen. Denn im »Nachstück« wird das Bild vom »Menschen, der eine Puppe sein könnte«, noch mal expliziter nahegelegt.

Wir verstehen die Anordnung: Weder verkörpert der Souffleur eindeutig »das Volk« (gegenüber den Revolutionshelden im Rampenlicht), noch ist er Sprecher »der Theorie« (gegenüber der Praxis). Und genauso wenig ist er Vertreter einer »Gegenwart«, von der aus die Vergangenheit Sinn ergeben könnte, sondern sozusagen alles drei. Seine Präsenz ist der Schlüssel zur Inszenierung von Johan Simons (Regie) und Sebastian Huber (Dramaturgie). Sie reicht überraschenderweise schon, um uns die Manege im Burgtheater als eine Welt zu zeigen, in der es überhaupt einmal irgendeine Theorie gibt, die über das blanke Recht des Stärkeren hinausgehen kann und irgendwelche anderen politische Rücksichten kennt als die biografischen Marotten der Herren Gewaltherrscher.

Nicht dass dieses »Andere« besonders machtvoll von draußen nach drinnen wirken würde – der Souffleur als Figur ist ein eindrucksvoll armes Würstchen. Aber er ist zumindest einmal da. Das allein erlaubt dann Maertens und Ofczarek als den buchstäblichen »Stars in der Manege«, just ihre individuellen Marotten ganz breit und tragikomisch auszuagieren, ohne dass deshalb etwas von der politischen Brisanz und poetischen Komplexität des Büchner’schen Texts verloren ginge. Der handelt ja nicht zuletzt genau von dem Mangel an individueller Souveränität vor dem »ehernen Gesetz, es zu erkennen das Höchste, es zu beherrschen unmöglich«, wie es in einem seiner Briefe heißt. Davor schreibt er: »Der einzelne nur Schaum auf der Welle, die Größe ein bloßer Zufall, die Herrschaft des Genies ein Puppenspiel.« Simons bzw. sein Team haben diesen Brief an geeigneter Stelle den Anhängern Dantons in den Mund gelegt – eine kluge Entscheidung.

Folgerichtig sind die Dantonisten in Simons’ Zirkus keine heroischen oder selbst nur widersprüchlich-dreidimensionale Figuren – eben Menschen –, sondern lauter Clowns, Bühnenpersonae. Ihre Eigenschaften sind so aufgemalt wie ihre Gesichter (wenige Jahrzehnte nach Büchner wird Karl Marx den Begriff von der »Charaktermaske« prägen); unausweichlich vollzieht sich durch sie und an ihnen etwas, woran durch Einsicht individuell nichts zu ändern ist. Mehr als der Fatalismus der zur Guillotine Verurteilten ist innerhalb dieses Spiels und dieser Anordnung nicht zu bekommen. Als Optimismus geht da schon durch, wenn am Ende nicht nur klar ist, dass es bald auch den noch siegreichen St. Just und Robespierre an ihre Kragen gehen werde, sondern diese selbst auch schon so fatalistisch in die Zukunft schauen wie ihre Opfer, die Dantonisten, die einander auf dem Weg zum Richtplatz verabschieden.

Die Kostümierung und das Spiel der beiden Hauptfiguren miteinander ist an die traditionell wiedererkennbare Darstellung der beiden Wartenden auf »Godot« angelehnt. Ofczarek gibt den Danton als grobschlächtigen, leicht geduckten Weißclown, dessen Schminke auch ohne Zutun nach Totenschädel aussieht. Zu dieser leichten Duckhaltung passt, dass der Schauspieler auch seine Stimme gewissermaßen etwas kleiner und gepresster macht (ohne, wie sicherheitshalber dazugesagt sei, an Deutlichkeit bis in die hintersten Ränge einzubüßen). Die resultierende Spannung erzählt von einem seiner Natur nach hemmungslosen Gourmet, der sich als Repräsentationsfigur der Republik auf Jahre hin »zusammenreißen« musste.

Ihm gegenüber ähnelt Maertens’ tugendhafter Robespierre im Auftreten einer Slapstickfigur wie Buster Keaton oder Chaplins »Tramp« – nur ohne den Slapstick. Statt dass sich die in der Physis immer wieder hochkochende Panik vermittels spielerischen Gestolpers abführen könnte, vermag Robespierre nur noch plötzlich anzufangen zu schreien. Es ist nicht einmal sehr laut, dieses Schreien, aber beängstigend. Die Versuchung, den guten Mann aus dem nordfranzösischen Städtchen Arras wie FPÖ-Chef Herbert Kickl klingen zu lassen, muss nahegelegen haben; umso besser, dass man ihr nicht nachgab.

Ist dieser Danton nun also »unpolitisch«? Just nicht. Er handelt letztlich greifbar von einer zentralen Forderung der Aufklärung: dass Politik nicht mehr wesentlich der Kampf wetteifernder Räuberbanden sei, wesentlich angetrieben von kontingenter individueller Loyalität. Der Abend handelt aber auch davon, dass so eine Forderung, da selbst geschichtlich kontingent, auch schnell wieder kassiert werden kann. Auch gerade im Namen der Aufklärung.

Auffällig ist auch, dass alle männlichen Figuren außer dem Souffleur in der einen oder anderen Weise hinken, dies in Verbindung mit Kostümen (von Greta Goiris), die alle im Oberkörperbereich asymmetrisch sind, Buckel und/oder verkümmerte Arme andeuten. Komisch oder lächerlich sind die Clowns auf dieser Bühne also genau in dem Ausmaße, in dem sie sich erfolgreich zu Karikaturen Richards III. gemacht haben, des alten Oberintriganten europäischer Theatertradition. Auch das mag als geradezu optimistische Aussage gelten: dass sie nur genauso weit zum Scheitern verurteilte Clowns sind, wie sie sich die Clownsnase (den Clownsbuckel) der instrumentellen Vernunft umschnallen.

Nächste Vorstellungen: 18.1., 26.1., 31.1., 3.2.

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