Wer hat uns verraten

Christoph Ruf über die immer geringer werdende Bedeutung einer Partei, die den Bundeskanzler stellt

Die FDP hat eine Mitgliederbefragung über den Verbleib in der Ampel hinter sich gebracht. Eine knappe Mehrheit hat sich für den Machterhalt ausgesprochen. Was im Fall der FDP auch naheliegend ist, schließlich – da hat Parteichef Lindner völlig recht – setzen sich die Liberalen für eine Elf-Prozent-Partei erstaunlich oft durch in einer Ampel, die genau deswegen ökologisch nicht viel hinbekommt.

Erstaunlich an der Mitgliederbefragung ist vor allem, dass sie in der FDP stattfand. Und nicht in der SPD, die die jüngste Umfrage in Sachsen bei drei Prozent sieht. Bundesweit sind es laut einer Umfrage vom Samstag 16 Prozent. Die älteste deutsche Partei, die Partei von Otto Wels und Willy Brandt, stirbt vor sich hin – das aber als wohlgeordnetes Untergangskommando. Preußisch-diszipliniert hinter einem Kanzler, den die eigene Parteibasis bei der (so was gab es tatsächlich einmal) Urabstimmung über den SPD-Vorsitz gnadenlos durchfallen lassen hatte.

Heute wird er von denen unterstützt, die sich damals gegen ihn durchsetzten, den Eskens, Kühnerts und Lauterbachs. Die dürfen dafür immerhin ihre jämmerlichen Pöstchen behalten und sich im Fall von Kühnert berechtigte Hoffnungen machen, den Laden in naher Zukunft übernehmen zu können.

Der einst so freche Kühnert ist im Übrigen SPD-Generalsekretär. Das ist das zweitwichtigste Parteiamt hinter dem Vorsitz. Als Generalsekretär ist man fürs Konzeptionelle zuständig, für die Beantwortung der Zukunftsfragen. Kühnert übersetzt das Wort hingegen als »erster Sekretär« und steht ganz kurz davor, Scholz auch noch die Aktentasche zum Auto zu tragen.

Christoph Ruf

Christoph Ruf ist freier Autor und beobachtet hier politische und sportliche Begebenheiten.

In den Neunzigern habe ich Zivildienst in einem Hamburger Altenpflegeheim gemacht, Olaf Scholz hatte damals noch Haare und galt als etwas dröger, aber intellektuell satisfaktionsfähiger kommender Mann der als stockkonservativ geltenden Hamburger SPD. Eines war aber damals noch klar: CDU und FDP waren die Parteien der reichen Elbvororte, SPD wählten die Menschen in den Arbeiterquartieren und in den Sozialberufen. Also auch die acht Altenpflegerinnen und der eine Altenpfleger auf meiner Station. Als eine junge Auszubildende durchblicken ließ, dass sie am darauffolgenden Sonntag Besseres zu tun habe, als zur Urne zu gehen, bekam sie eine sehr energische Ansprache von der Stationsschwester zu hören. Man müsse schon wissen, auf welcher Seite, man stehe, fand sie. Das Wort »Gerechtigkeit« kam vor. Und der Widerstand gegen Hitler war auch ein Thema. Ich fand die Ansprache damals sehr beeindruckend und stamme aus einer Familie, in der sehr viele Menschen immer noch SPD wählen.

Wenn ich mir den Zustand der SPD anschaue, ist da also weniger Häme als Fassungslosigkeit über eine konturlose Partei, die spätestens seit dem Weggang von Oskar Lafontaine, vergessen hat, wofür sie zumindest historisch einmal stand. Für das Wissen, dass eine sozial gerechte Gesellschaft keine ist, in der per Gießkanne Almosen verteilt werden. Sondern eine, in der man sich mit den Überpriviligierten, den Eliten und Lobbys anlegen muss. Die SPD ist anno 2024 eine Partei, die sich selbst fremd ist und vom allerletzten Aufgebot angeführt wird.

Ist das nur Masochismus? Oder ist das schon Todessehnsucht? Warum die nach wie vor vielen aufrechten Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten an der Basis sich die Selbstverzwergung der eigenen Partei so seelenruhig anschauen, ist mir jedenfalls ein völliges Rätsel.

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