Gastronomie in Berlin: Druck auf Gäste und Beschäftigte

Wo die Erhöhung der Mehrwertsteuer nicht zu Preiserhöhung führt, wird an anderer Stelle gespart

  • Moritz Lang
  • Lesedauer: 4 Min.

Seit Anfang des Jahres gilt für Essen vor Ort wieder der Mehrwertsteuersatz von 19 Prozent. Für die Zeit der pandemiebedingten Krise in der Gastronomie wurde seit 2020 nur der ermäßigte Steuersatz von sieben Prozent verlangt. Dieser gilt sonst nur für Essen zum Verzehr an Stehtischen oder zum Mitnehmen sowie auf Grundnahrungsmittel.

Die Bundesregierung verspricht sich von der Erhöhung drei Milliarden Euro an Mehreinnahmen, parallel steigen die Abgaben auch in anderen Bereichen. Während des Wahlkampfs hatte Olaf Scholz 2021 noch versprochen, die Steuer dauerhaft bei sieben Prozent zu belassen.

»Jetzt zahle ich auf 1000 Euro Umsatz mit Speisen 190 statt 70 Euro Steuern«, sagt Ludger Schallenberg. Er betreibt die »Ankerklause«, hier kann man Frühstücken und sich zum Getränk auch Speisen wie Schnitzel bestellen. Durch die hippe Lage an der Grenze zwischen Kreuzberg und Neukölln laufe das Geschäft momentan sehr gut, sagt Schallenberg. Trotzdem spüre man auch nach dem Ende der Pandemie die drastischen Preissteigerungen in allen Bereichen, besonders bei den Lebensmitteln.

Er hofft dennoch vorerst die Preise nicht erhöhen zu müssen: »Um das nicht an die Gäste weiterzugeben, muss ich gucken, wo ich sparen kann.« In Zukunft müssen sich die Gäste nachmittags dann vielleicht ihr Essen selbst von der Theke holen. »Der Nachteil davon ist, dass damit ein Arbeitsplatz verloren geht«, so der Betreiber.

Die »Ankerklause« sei eine klassische Schankwirtschaft – wer speiselastiger sei, bekomme dagegen echte Probleme, befürchtet Schallenberg: »Da kommen die Gäste seltener oder sparen am Trinkgeld.« Für die Kellner*innen bei den ohnehin niedrigen Löhnen in der Gastronomie fatal.

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Die Steuererhöhung gefährdet nicht nur den günstigen Restaurantbesuch – auch das Mittagessen in Schulkantinen wird teurer. Mehrere Caterer erkärten gegenüber »nd«, sie reichten die Steuererhöhung komplett oder zu großen Teilen an die Kunden weiter. Und Kunde ist in Berlin der Staat selbst, hier ist das Essen für Grundschulkinder kostenlos.

»Ab Januar wird das Geld für eine ausgewogene, vollwertige Mittagsmahlzeit nicht mehr ausreichen«, sagt Klaus Kühn, Geschäftsführer der Drei Köche GmbH. Der Schul-Caterer versorgt 20 000 Berliner Schüler*innen mit Mittagessen. 4,36 Euro kostet ein Grundschulessen, der Preis wurde trotz enorm gestiegener Einkaufskosten seit 2020 nicht erhöht. »Die Mehrwertsteuersenkung auf sieben Prozent konnte da ein wenig ausgleichen«, so Kühn. Oberschüler müssen dagegen das Essen selbst zahlen. Bei Drei Köchen werde man den Preis von 4,75 Euro dabei um etwa zehn Prozent erhöhen.

Auch die deutschlandweit tätige Vielfaltmenü GmbH preist die Steuererhöhung seit Jahresbeginn ein. Sprecherin Julia Glückselig sagt »nd«, der Staat müsse die Schul- und Kitaverpflegung stärker fördern, um unabhängig vom Einkommen der Eltern eine warme Mahlzeit für alle Kinder sicherzustellen – und vermutlich auch, um das eigene Geschäftsmodell nicht zu gefährden.

Marcel Fratzscher vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung hält die Steuersenkung für nicht mehr gerechtfertigt, da diese der Branche nur über die Pandemie helfen sollte. Die Steuereinnahmen würden dagegen dringend gebraucht. Er erwartet Preissteigerungen von etwa zehn Prozent, was aber vor allem Besserverdienenende belaste – wer zum Mindestlohn arbeite, könne sich einen Restaurantbesuch in der Regel ohnehin nicht leisten.

»Für die ärmere Hälfte der Bevölkerung macht es aber sehr wohl einen Unterschied, ob die Pizza 1,50 Euro mehr kostet«, sagt dagegen Ökonom Maurice Höfgen gegenüber »nd«.

Auch sei die Situation nicht entspannter, nur weil die Pandemie vorbei sei: »Krise ist in der Gastro noch immer. Die Erhöhung kommt viel zu früh.« Er verweist auf die zum Vorjahr inflationsbereinigt fast 15 Prozent niedrigeren Umsätze im vergangenen Herbst. »Der Schaden ist nicht nur ökonomisch, sondern auch politisch«, sagt Höfgen. Wenn Scholz sein Versprechen breche, spiele das der AfD in die Karten – besonders dort, wo Ortskerne und Innenstädte aussterben.

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