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Taiwan: Peking schaut nach Taipeh

Taiwans Wahlen drehen sich um die Positionierung zum Festland

  • Felix Lill
  • Lesedauer: 4 Min.

Wenn William Lai dieser Tage durch die Straßen des Landes zieht, ist immer wieder ein Slogan zu hören: »Taiwan friedlich beschützen!« Dies habe Priorität für den studierten Arzt, der sich seit den 90er Jahren politisch engagiert und am Samstag Taiwans Präsident werden will. Als Kandidat der Demokratischen Fortschrittspartei (DPP), die auch in den vergangenen acht Jahren regiert hat, gilt Lai damit als Favorit. Denn seine Partei steht dafür, Abgrenzung von Festlandchina zu suchen. Und die meisten Menschen in Taiwan sind misstrauisch gegenüber dem Festland eingestellt.

Bei der taiwanischen Präsidentschaftswahl am 13. Januar treten drei Kandidaten gegeneinander an, die sich auf allen möglichen Politikfeldern miteinander streiten könnten. Aber entscheidend wird wohl die Position gegenüber dem von Peking aus regierten Festlandchina. Immerhin betrachtet China, dieser bevölkerungsmäßig, ökonomisch und militärisch übermächtige Nachbarstaat, das demokratisch und unabhängig regierte Taiwan als Teil des eigenen Territoriums. Pekings Präsident Xi Jinping hat wiederholt die »Wiedervereinigung« mit Taiwan angekündigt – notfalls unter Zwang.

In Taiwan ist man alarmiert, wappnet sich gegen eine mögliche Invasion. William Lai, der bis jetzt als Vizepräsident hinter der nach acht Jahren im Amt scheidenden Präsidentin Tsai Ing-wen mitregiert hat, will die Außenpolitik seiner Vorgängerin fortsetzen: Gegenüber China, dem wichtigsten Handelspartner, zeigt man sich für Gespräche offen, will aber gleichzeitig betonen, dass Taiwan eine eigenständige Insel ist. Die wirtschaftliche Abhängigkeit von China will Lai reduzieren, den Austausch mit anderen Demokratien der Welt dafür intensivieren. Alles soll Taiwans Sicherheit dienen.

Kurios dabei: Lais Slogan könnte auch von seinen Mitbewerbern stammen, denn auch sie wollen Taiwan »friedlich beschützen«. So betont Hou Yu-ih von der Nationalen Volkspartei (KMT), die bis Mitte der 80er Jahre Taiwans Militärdiktatur stützte, die Notwendigkeit, das Land vor einer Invasion zu bewahren. Nur will er dies eher durch Austausch und Verzahnung mit dem ungeliebten Nachbarn auf dem Festland erreichen. Der in Umfragen fast abgehängte Ko Wen-je, bis 2022 Bürgermeister der Hauptstadt Taipeh, propagiert einen Mittelweg zwischen diesen zwei etablierten Positionen.

Was die drei Kandidaten gemein haben: Weder fordern sie eine Vereinigung mit China noch eine formale Unabhängigkeitserklärung. Die Unterschiede in ihrer China-Politik sind von Nuancen geprägt. Hintergrund ist der Chinesische Bürgerkrieg, der 1949 damit endete, dass die unterlegenen Nationalisten der KMT auf die Insel Taiwan flohen und von hier lange noch die Rückeroberung des Festlands planten, wo längst die Kommunisten regierten. Während dies in Taiwan niemand mehr fordert, halten die Kommunisten weiterhin an ihrem Anspruch fest, auch über Taiwan zu regieren.

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»Die Frage, wie man sich gegenüber Festlandchina positioniert, definiert und dominiert den gesamten politischen Diskurs in Taiwan bis heute«, sagt Nathan Batto, der als Forscher für Academia Sinica in Taipeh arbeitet. Denn obwohl die Unterschiede zwischen den Kandidaten von außen betrachtet eher klein sind, seien sie im taiwanischen Kontext grundsätzlich. »Wenn heute die DPP regiert, tritt Peking weniger freundlich gegenüber Taiwan auf, als wenn die KMT an der Macht ist, mit der man sich in Peking eher arrangiert hat und eine gemeinsame Ebene etablieren konnte.«

»Heute gibt es viele andere Politikthemen, die die Menschen sehr beschäftigen«, sagt Marcin Jerzewski vom Thinktank Taiwan Next Gen Foundation in Taipeh. »Das sind zum Beispiel die hohen Kosten für die Ausbildung des Nachwuchses, die ein wichtiger Grund sind, warum Familien hier kaum Kinder zur Welt bringen.« Hinzu kommen der vielerorts prekäre Arbeitsmarkt sowie die hohen Mieten und Immobilienpreise in den Städten. Aber auch Jerzweski beobachtet: »All das ändert nichts an der Tatsache, dass es die Bedrohung von außen gibt.«

Tatsächlich haben die zwei etablierten Parteien – die KMT und die DPP – ihre Identitäten zu einem Großteil auf der China-Frage aufgebaut. Die KMT, die ihre Ursprünge auf dem Festland noch vor Zeiten des Chinesischen Bürgerkriegs hat, beansprucht, Festlandchina am besten zu verstehen und den Konflikt mit Peking besser zu managen. Die DPP dagegen ist ein Produkt der demokratischen Opposition gegen Taiwans Militärdiktatur, die in den 80er Jahren endete. »Die KMT steht für chinesischen Nationalismus, die DPP prägt taiwanischen Nationalismus«, so Jerzewski.

Und der Fokus der Parteien auf die China-Frage habe eine Konturierung auf anderen Politikfeldern verhindert, so Nathan Batto: »Indem sich alles an der Position gegenüber China aufhängt, die ja zumindest prinzipiell von existenzieller Bedeutung ist, sind die Positionen bei anderen Themen ziemlich verschwommen.« Tendenziell steht die DPP für einen großzügigeren Sozialstaat, während die KMT hier eher konservativ ist. »Aber dies kommt auf das jeweilige Thema an und unterscheidet sich auch je nach Abgeordneten«, betont Batto.

Für die Wählerinnen ist das ein Problem. Denn bis auf die Außenpolitik ist oft kaum klar, welchen Ideen man bei einer Wahl in Taiwan seine Stimme gibt – auch wenn soziale Fragen heutzutage ähnlich wichtig sind wie die der grenzüberschreitenden Politik.

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