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  • Besetzung der Dondorf-Druckerei

Häuserkampf ist Klimaschutz

Im Dezember ließ das Präsidium der Goethe-Universität Frankfurt die Dondorf-Druckerei zum zweiten Mal räumen. Trotzdem ist die Besetzung ein Erfolg

  • Lukas Geisler
  • Lesedauer: 7 Min.

Knappe 110 Stunden dauerte die Räumung der Dondorf-Druckerei. Über sechs Tage versuchten Einsatzkräfte der Polizei die verbliebenden Besetzer*innen vom Dach des Gebäudes zu holen. Bis zum frühen Morgen des 19. Dezembers 2023, als die verbliebenden acht Personen auf dem Dach im Schlaf von Sondereinsatzkräften überrascht wurden, blieben die Versuche vergeblich. Dies bedeutete: 110 Stunden Belagerungszustand, die Verweigerung von Trinken und Essen sowie die ständige Beobachtung der Aktivist*innen durch Drohnen, Kameras und Polizeikräfte von gegenüberliegenden Dächern oder Balkonen. Und unten vor dem Gebäude eine Mahnwache, bei der Tag und Nacht – mal mehr, mal weniger – Menschen tanzten, sangen und den Besetzer*innen zuriefen, »Ihr seid nicht allein!« und »Ihr seid so stabil!«.

Nur ein Medienspektakel?

Eine klassische Pattsituation und in mehrfacher Hinsicht ein Spektakel: Hunderte polizeiliche Einsatzkräfte band die Aktion über Tage. Am 17. Dezember fand eine Demonstration statt, an der hunderte Menschen teilnahmen. Linke Künstler*innen aus ganz Deutschland wie Disarstar, ZSK oder Mal Élevé, machten auf die Situation aufmerksam. Es gab zudem einen Unterstützer*innen-Brief, der von unzähligen Initiativen aus Frankfurt, Personen des öffentlichen Lebens, der Goethe-Universität und politischen Parteien unterschrieben wurde. Unter den Unterzeichnenden sind Jutta Dittfurth, Stephan Lessenich, Janine Wissler und Andrea Ypsilanti.

Auch medial berichteten lokale sowie überregionale Zeitungen. Schnell war das dominante links-liberale Narrativ gefunden: Heroische Aktivist*innen wollen den Traum von einem sozio-kulturellen Kulturzentrum trotz aussichtsloser Situation nicht aufgeben. Konservative Medien lobten dagegen das Durchhalten der Einsatzkräfte und die harte Linie der Landespolitik, namentlich der scheidenden Wissenschaftsministerin Angela Dorn (Grüne) und des Präsidenten der Goethe-Universität, Enrico Schleiff, der den Strafantrag wegen Hausfriedensbruch gegen die Besetzer*innen gestellt hatte.

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Dies sind die gängigen Erzählungen der Ereignisse um die Dondorf-Druckerei. Doch verstellt das Spektakel die mögliche wegweisende Bedeutung der Besetzung für den Kampf für eine klimagerechte Stadt. Hier könnte der erfolgreiche Kampf um die Druckerei zum Vorbild werden. Um dies zu verstehen, muss man allerdings zurück zum Anfang.

»Druckerei für Alle!«

Die Dondorf-Druckerei ist ein 130 Jahre altes, fünfstöckiges Backsteingebäude, gebaut von der jüdischen Unternehmerfamilie Dondorf, die während der NS-Zeit verfolgt und teilweise ermordet wurde. Sie befindet sich im Frankfurter Stadtteil Bockenheim auf dem alten Campus der Goethe-Universität. Von 1961 bis 2022 war dort die Kunstpädagogik untergebracht. Eigentümerin des Gebäudes ist das Land Hessen, die Goethe-Universität besitzt auch noch heute das Nutzungsrecht. Das Erbpachtrecht wurde der Max-Planck-Gesellschaft übertragen, die, wie im Frühjahr 2023 herauskam, das Gelände für einen Neubau des Max-Planck-Instituts für empirische Ästhetik abreißen wollte, anstatt das bestehende Gebäude zu nutzen. Am Mittwoch, den 10. Januar, wurde bekannt, dass die Max-Planck-Gesellschaft aufgrund des öffentlichen Drucks von ihren Plänen absieht und nach einem neuen Grundstück sucht. Ein stadt- und klimapolitischer Erfolg.

Um den Abriss des historischen Gebäudes zu verhindern, war am 24. Juni 2023 die Dondorf-Druckerei zum ersten Mal besetzt worden. Ein Besetzungskollektiv forderte ein »Abrissmoratorium« und »dass die Dondorf-Druckerei zu einem Pilotprojekt für eine Umbauordnung wird«. Als positiver Gegenentwurf zum Abriss sollte die »Druckerei für Alle!« entstehen, ein »Ort an dem Menschen teilhaben können, ohne Geld ausgeben zu müssen«. 19 Tage lang gab es diesen Ort mitsamt Ateliers und Proberäumen, dann wurde das erste Mal geräumt. Danach stand das Gebäude wieder leer, bis es am 9. Dezember erneut besetzt und geräumt wurde.

Verlust von »Grauer Energie«

Medial wurde die Zukunft der Dondorfschen Druckerei zwar breit diskutiert, weniger Aufmerksamkeit bekam hingegen der ursprüngliche Grund für die Besetzung: Der Verlust der »Grauen Energie«, nämlich die 1,2 Millionen Kilogramm an CO2-Emissionen, die im Gebäude stecken und bei einem Abriss verloren gehen würden. Der Begriff »Graue Energie« gibt an, wie viel CO2 in den verschiedenen Phasen des Bauprozesses ausgestoßen wurde, einschließlich Rohstoffgewinnung, Herstellung, Transport, Bau und Entsorgung von Baustoffen. Der mit dem Konzept verbundene Ansatz zielt darauf ab, eine umfassendere und nachhaltigere Bewertung von Bauprojekten zu ermöglichen.

Denn eine solche ist dringend geboten. Nach Angaben von Architects for Future (A4F)gehen circa 40 Prozent der gesamten deutschen CO2-Emmissionen auf den Bau und Betrieb von Gebäuden zurück, 60 Prozent des gesamten Müllaufkommens fällt allein durch die Baubranche an und 90 Prozent der mineralischen, nicht-nachwachsenden Rohstoffe werden zu Baustoffen. Beim Abriss von Gebäuden wie der Dondorf-Druckerei ist der Verlust der »Grauen Energie« so hoch, dass diese auch bei energieeffizienten Ersatzneubauten nicht wieder eingespart werden kann. Dazu kommen die verlorenen Rohstoffe, die allzu oft nicht recycelt werden sowie die enorm hohe Müllproduktion.

In einem offenen Brief wandten sich daher die A4F Ende Juli 2023 an den Vorsitzenden der Max-Planck-Gesellschaft. Sie schrieben: »Wir sehen Sie als öffentliche Bauherrin in der Pflicht, am Einhalten der Ziele des Pariser Klimaschutzabkommens aktiv mitzuwirken«. Bei einem Neubau könnten nicht ansatzweise so viel Emissionen – beispielsweise durch die Installation von Photovoltaik – eingespart werden, »wie durch einen Ersatzneubau dieses einen Gebäudes erzeugt würden«.

Die Causa der Dondorf-Druckerei hat einen exemplarischen Charakter. Das Thema »Graue Energie« ist in der Mainstream-Klimadebatte bisher nicht angekommen. Auch in aktivistischen Kontexten spielt es kaum eine Rolle. Doch dass viele ältere Gebäude abgerissen werden sollen, hat oft mehr mit geltenden Bauordnungen zu tun als mit dem tatsächlichen Zustand der Bauten. Die Vorgaben für Instandsetzungen von alten Gebäuden orientieren sich nämlich an den Standards für Neubauten. Deshalb haben A4F bereits 2021 einen Vorschlag für eine sogenannte »UMbauordnung« vorgelegt, der von der Bundesarchitektenkammer und dem Bund Deutscher Architekten unterstützt wird und Grundstein für eine »Bauwende« sein soll.

Zwar liegen Bauordnungen im Kompetenzbereich der Bundesländer, aber der Bund gibt in regelmäßigen Abständen Musterbauordnungen heraus, die die Landesbauordnungen vereinheitlichen sollen. Auf Bundesebene ist das Bundesministerium für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen unter Klara Geywitz (SPD) dafür verantwortlich. Gerade ihr Ministerium verpasst die selbstgesteckten Klimaziele der Bundesregierung. Dass Bauen im Bestand oft unwirtschaftlich ist – das gängigste Argument gegen den Erhalt vieler alter Gebäude –, liegt daran, dass Bauordnungen keinen Unterschied zwischen Bauen im Bestand und Neubau machen. Das Beispiel Dondorf-Druckerei zeugt davon.

Besetzungen als Klimaaktivismus

Damit eine solche »UMbauordnung« umgesetzt wird, braucht es – neben offenen Briefen und konkreten Vorschlägen von Expert*innen – politischen Druck. Gerade Besetzungen, die sich als Aktionsform bei Gebäuden geradezu aufdrängen, gehören dabei zum gängigen Aktionsrepertoire der Klimabewegung: Gegen den Abbau von Braunkohle im rheinischen Revier wurden der Ort Lützerath und der Hambacher Forst besetzt. Auch gegen den Ausbau von Autobahnen oder anderen fossilen Verkehrsinfrastrukturen gehören Besetzungen, vor allem von Wäldern, zur aktivistischen Normalität. Warum also keine klimapolitischen Besetzungen gegen den Abriss von Gebäuden?

Welche ungeheuren Dimensionen der Abriss in Deutschland hat, macht beispielsweise das Projekt des Abriss-Atlas mit einer interaktiven Karte deutlich. Er soll »Gebäudeabrisse in Deutschland fassbar« und damit nicht nur auf das Thema »Graue Energie« aufmerksam machen, sondern auch auf die Verluste an historischer Baukultur, Freiräumen und sozialen Netzwerken. Dass auch die Stadt ein wesentliches Aktionsfeld der Klimabewegung ist, weil gerade hier soziale und ökologische Themen verbunden werden und an der Lebensrealität von Millionen vom Menschen angesetzt werden könnte, muss daher mehr in das öffentliche und vor allem in das klimaaktivistische Bewusstsein rücken.

Gerade in deutschen Großstädten, in denen das Wohnen und Leben immer teurer wird, ist es an der Zeit, dass auch die fossile Baubranche in den Fokus der Klimabewegung gerät. Wie der Kampf um die Dondorf-Druckerei zeigt, ist es ein Leichtes, die Kämpfe gegen Gentrifizierung und neoliberale Stadtpolitik mit dem Kampf für Klimagerechtigkeit zu verbinden – und auch zu gewinnen. Angesichts der fortschreitenden Klimakrise wäre eine Renaissance des Häuserkampfs geboten, um eine Bauwende von unten voranzutreiben. Die Besetzungen der Dondorf-Druckerei könnten dabei erste Gehversuche gewesen sein.

Lukas Geisler ist Autor und Aktivist. Er ist bei Druckerei für Alle! und End Fossil: Occupy! organisiert. Er knüpft mit seinem Beitrag an die Artikel »Schafft zwei, drei, viele Lützeraths« und »Kein Zurück zur Feuertonne« über den Stand der deutschen Klimabewegung an, die bereits in »nd.DieWoche« erschienen.

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