Spanien: Linkspartei Podemos feiert ernüchtert Geburtstag

Zehn Jahre nach der Gründung steckt die linke Formation tief in der Krise

  • Raul Zelik
  • Lesedauer: 5 Min.
Pablo Iglesias im Kreis von Getreuen im Jahr 2014: Die einseitige Orientierung auf Führungspersonen schlug mittelfristig fehl.
Pablo Iglesias im Kreis von Getreuen im Jahr 2014: Die einseitige Orientierung auf Führungspersonen schlug mittelfristig fehl.

Als sich am 17. Januar 2014 unter Führung des charismatischen Journalisten Pablo Iglesias die neue spanische Linkspartei Podemos gegründet wurde, setzte man sich nicht weniger als »die Eroberung des Himmels« zum Ziel. Heute, ein Jahrzehnt später, ist von diesem Höhenflug nicht mehr viel übrig. Im Dezember sind die letzten fünf Podemos-Abgeordneten aus der Linke-Fraktion im spanischen Parlament ausgetreten. Für die anstehenden Regionalwahlen im Februar in Galicien hat Parteigründer Pablo Iglesias zur Stimmabgabe für die Unabhängigkeitsbewegung Bloque Nacionalista Galego (BNG) aufgerufen, obwohl Podemos in Galicien antritt. Wie konnte es so weit kommen?

Aufstand der »Empörten«

Ausgangspunkt der Parteigründung waren die Massenproteste der »Empörten« 2011. Als Hunderttausende Spanier*innen im Zusammenhang mit der Hypothekenkrise Wohnungen und Jobs verloren und die Bankenrettung mit brutalen Sozialkürzungen erkauft wurde, präsentierte sich Podemos als soziale Alternative zum abgewirtschafteten Parteiensystem. Zwar gelang der beabsichtigte schnelle Durchmarsch nicht ganz. Doch bei den Wahlen 2016 erhielten Unidas Podemos und die verbündeten Listen Comunes, Compromis und Marea mit insgesamt sieben Millionen deutlich mehr Stimmen als die sozialdemokratische PSOE.

Der Erfolg von Podemos war auch ein Ergebnis der Tatsache, dass die Parteigründer ihr Projekt »als ein allen Bürgern offen stehendes Partizipationsinstrument« anpriesen. Alle wichtigen Entscheidungen sollten in offenen Online-Abstimmungen gefällt werden.

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Die internen Widersprüche jedoch wurden eher autoritär gelöst. Als erste bekamen das die marxistischen Anticapitalistas zu spüren – eine kleine Strömung, die allerdings bei der Parteigründung wichtige Organisationsarbeit geleistet hatte. Um sich vor Hasardeuren und Narzissten zu schützen, die die junge Partei magisch anzog, hatte sich die Podemos-Führung ein besonderes Wahlverfahren ausbedungen: Der Parteivorstand sollte zwar basisdemokratisch gewählt werden, die erfolgreiche Liste aber sämtliche Führungsposten allein besetzen können. Auf diese Weise schaltete die Führungsgruppe um Pablo Iglesias die Parteilinke um die Andalusierin Teresa Rodríguez schnell aus.

Begrenzte Erfolge der Regierungsbeteiligung

Kaum hatte der Führungszirkel eine homogene Führungsgruppe installiert, kam es 2016 zu einem neuerlichen Bruch – diesmal zwischen Iglesias und seinem Stellvertreter Íñigo Errejón. Während Iglesias für ein Wahlbündnis mit der traditionellen Linkspartei Izquierda Unida plädierte, wollte Errejón eine populistische Strategie in Reinform verfolgen: Podemos dürfe sich nicht im Links-Rechts-Spektrum einsortieren, so Errejón, und müsse einen eher unbestimmten politischen Diskurs pflegen. Als Gegner solle »die politische Kaste« attackiert, die eigene Basis als »99 Prozent« adressiert werden.

Das Problem an dieser Offenheit war, dass sie von rechts schnell gekapert werden konnte. Schon 2014 hatte der Bankier Josep Oliu gefordert, es brauche eine rechte Alternative zu Podemos. In diesem Sinne wurde die katalanische Regionalpartei Ciudadanos (Bürger) von den Medien als »vernünftige« Antwort auf die Krise des Parteiensystems aufgebaut. Im Grunde genommen waren die Ciudadanos stramm rechts – neoliberal und spanisch-zentralistisch. Sie gewannen ihre 3,5 Millionen Stimmen in erster Linie aus dem Lager der rechtskonservativen PP und wurden ab 2019 von der rechtsextremen Vox beerbt. Doch die wichtigste Funktion von Ciudadanos (und später Vox) war, dass Podemos das Alleinstellungsmerkmal als Anti-Establishment-Partei verlor.

Trotz der nicht zu übersehenden Probleme war die neue Linkspartei aber durchaus auch erfolgreich. Zunächst setzte Podemos gegen harte Widerstände die erste Koalitionsregierung in Spanien durch. Voraussetzung dafür war die Unterstützung der katalanischen und baskischen Unabhängigkeitslinken, die wiederum von der sozialdemokratischen PSOE vehement abgelehnt wurde. Doch Podemos machte zunächst den PSOE-Vorsitzenden Pedro Sánchez mit einem konstruktiven Misstrauensvotum 2018 zum Chef einer Minderheitsregierung und überzeugte ihn 2020 schließlich auch von der Bildung einer Koalitionsregierung.

Zwar blieben die Erfolge der neuen Regierung begrenzt – neben einer Anhebung von Mindestlohn und Renten sind hier vor allem die auf zwei Jahre befristete Vermögenssteuer und die Einführung des kostenlosen Nahverkehrs in Teilen des Eisenbahnnetzes zu nennen. Doch allein die Tatsache, dass das bestehende Machtgefüge im Staat infrage gestellt wurde, machte Podemos zur Zielscheibe rechter Kampagnen. So versammelten sich Rechtsradikale monatelang vor dem Wohnhaus von Iglesias, der Inlandsgeheimdienst streute Falschinformationen an die Medien, und die Podemos-Ministerin für Gleichheit Irene Montero wurde nach Verabschiedung des »Nur-ja-ist-ja«-Gesetzes, das Frauen vor sexuellen Übergriffen schützen soll, aus der Justiz attackiert: In einer konzertierten Aktion ließen Richter verurteilte Sexualstraftäter frei, weil das neue Gesetz eine größere Spannbreite von Strafen vorsieht.

Der Druck wurde so groß, dass Podemos innerhalb des Linksbündnisses zusehends als Last betrachtet wurde. Entnervt legte Pablo Iglesias daraufhin 2021 alle Ämter nieder und überließ die Führung der Arbeitsministerin Yolanda Díaz, die zwar Mitglied der Kommunistischen Partei ist, aber dem sozialdemokratischsten Flügel der Linken zugerechnet wird. Díaz’ erklärtes Ziel war es, die Linke neu zu vereinen. Mit Unterstützung von Barcelonas Ex- Bürgermeisterin Ada Colau gründete sie ein neues Bündnis namens Sumar, das sich von Podemos scharf abgrenzte. Paradoxerweise wurde der autoritäre Politikstil, der die fatale Dynamik der Diadochenkämpfe 2015 in Gang setzte, damit weiter verfestigt. Sumar ist noch stärker als Podemos eine Top-Down-Partei, in der die Vorsitzende entscheidet. In diesem Sinne untersagte Díaz der Podemos-Ministerin Montero (die zugleich Lebensgefährtin von Iglesias ist) eine Kandidatur auf der Sumar-Liste.

Bei den Wahlen 2023 hat die spanische Linke zwar ein Ergebnis von immerhin noch drei Millionen Stimmen und zwölf Prozent eingefahren, doch die Lage ist prekär. Sumar verfügt über keine eigenen Basisstrukturen und ist als Juniorpartner der Sozialdemokratie weitgehend ausgeliefert.

Wenn es ein Fazit der Podemos-Gründung gibt, dann also wohl dieses: Die einseitige Orientierung auf Führungspersonen und Medienpräsenz (zulasten eines Organisationsaufbaus von unten und der Erarbeitung inhaltlicher Gemeinsamkeiten) hat sich nur kurzfristig ausgezahlt. Heute ist die spanische Linke schwächer als vor zehn Jahren, das Klima innerhalb der Linken noch vergifteter als in Deutschland.

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