Großmanöver der Nato: Immer kriegsbereit

Nato-Militärübung zur Abschreckung Russlands hat begonnen

  • René Heilig
  • Lesedauer: 4 Min.

Die Nato sieht sich – so macht der der Codename des angelaufenen Kriegsspiels »Steadfast Defender 2024« deutlich – als unerschütterlicher Verteidiger von Demokratie und Freiheit. Es handelt sich um die größte Übung des Bündnisses seit 1988. Damals übten 125 000 Soldaten im kalten Krieg zwischen den Systemen. Seit fast zwei Jahren tobt nun ein heißer Krieg in der Ukraine. Die Nato-Staaten unterstützen die Ukraine bei der Abwehr des russischen Angriffs. Zugleich bemüht sich das größte Militärbündnis der Welt, seine Kampfbereitschaft zu steigern.

Dazu gehören neben der weiteren Aus- und Aufrüstung die Planung und das Training eigener Operationen. 90 000 Soldatinnen und Soldaten aus allen 31 Nato-Staaten sowie dem künftigen Nato-Land Schweden werden teilnehmen. Rund 50 Marineschiffe, 80 Flugzeuge und über 1 100 Kampffahrzeugen würden aufgeboten, erklärte US-General Christopher Cavoli in der vergangenen Woche.
Der Nato-Oberbefehlshaber für Europa unterstrich, das Kriegsspiel werde »eine klare Demonstration unserer Einigkeit, Stärke und Entschlossenheit sein, uns gegenseitig, unsere Werte und die auf Regeln basierende internationale Ordnung zu schützen«. Bei der Nato in Brüssel spricht man von einem »simulierten aufkommenden Konfliktszenario mit einem nahezu ebenbürtigen Gegner«.

Die Planer nutzten Erfahrungen aus dem aktuellen Krieg. Auch deshalb dauert die Übung, die aus einer Reihe kleinerer Einzeloperationen besteht, ungewöhnlich lang und ist von Nordamerika bis zur Ostflanke der Nato nahe der russischen Grenze angelegt. Vor allem die USA wollen bis in den Mai hinein zeigen, dass sie willens und in der Lage sind, den euro-atlantischen Raum durch die rasche und massive Verlegung von Streitkräften zu verstärken. Militärisch sind solche Operationen erprobt. Politisch geht es um mehr. Die US-Regierung unter dem Demokraten Joe Biden will – nach innen deutlich sichtbar – stabile Bündnispfeiler einrammen. Vor wenigen Tagen erst beschloss der US-Kongress, dass künftig kein US-Präsident befugt sei, sich aus der Nato zurückzuziehen. Egal, wer künftig im Weißen Haus regiert, ein solcher Schritt bedarf nun der Zustimmung des Kongresses und einer Zwei-Drittel-Mehrheit im Senat. Damit versucht man sich auf eine – ab 2025 erneut mögliche – Präsidentschaft des Republikaners Donald Trump einzustellen, der bereits mehrfach die Nato infrage gestellt hat. Zugleich signalisiert man in Richtung Moskau, dass man sich dort keine Hoffnungen auf einen Zerfall der Nato machen sollte.

Im Westen glaubt man an eine langfristige Schwächung Russlands durch den Krieg in der Ukraine. »Der Ausgang dieses Kriegs wird das Schicksal der Welt bestimmen«, so Admiral Rob Bauer. Der Vorsitzende des Nato-Militärausschusses meint, Moskau fürchte etwas, »das viel mächtiger ist als jede physische Waffe auf der Welt – die Demokratie«. Jenseits der militärischen Demonstration geht es darum, die Menschen in den Nato-Staaten auf eine mögliche Verschärfung der Sicherheitslage vorzubereiten. Bauer und andere Nato-Größen fordern vehement, dass Verbündete ihre industriellen Produktionskapazitäten ausbauen müssen und sich die Gesellschaften in Europa, die sich an den Frieden gewöhnt haben, besser vorbereitet werden müssten. »Wir suchen keinen Konflikt, aber wenn sie uns angreifen, müssen wir bereit sein«, so der niederländische Admiral. Die Menschen müssten verstehen, dass nicht alles planbar sei und in den nächsten 20 Jahren nicht alles gut laufen werde. Nach seiner Ansicht seien Russlands Landstreitkräfte durch den Krieg in der Ukraine zwar stark geschwächt, jedoch verfügten Marine und Luftwaffe weiter über beträchtliche Kräfte. Wenn es zum Schlimmsten komme, dann wäre die gesamte Gesellschaft in einen Krieg verwickelt, »ob wir wollen oder nicht«, so Bauer.

Auch Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) warb bereits mehrfach eine kriegstüchtige deutsche Armee. Auch medial wird aufgerüstet. So »enthüllte« die Bild-Zeitung jüngst einen angeblich geheimen Plan der Bundeswehr. In ihm werde beschrieben, wie die Nato einen russischen Angriff parieren wolle. Was »Bild« beschrieb und andere Medien begierig aufgriffen, ist so banal wie öffentlich bekannt. Die Bundeswehr ist nicht – wie oft behauptet – überrascht oder überfordert von der »Steadfast« -Übung. Bereits während die Deutsche Luftwaffe im Sommer 2023 bei »Air Defender« ihre Fähigkeiten demonstrierte, bereitete das Heer bereits die Großübung »Quadriga 2024« vor. Laut »Quadriga«-Plan sollen mehr als 12 000 Bundeswehrangehörige die Alarmierung und Verlegung Landstreitkräften Richtung Bündnisgrenze-Ost trainieren.

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Von Mitte Mai an wird die 10. Panzerdivision auf verschiedenen Wegen Soldaten und Gefechtsfahrzeuge nach Litauen verlegt, um dort zu üben. So will man weitere Erfahrungen sammeln, um dort in Kürze eine gesamte deutsche Kampfbrigade dauerhaft zu stationieren. Die Verlegung größerer Einheiten verfolgt auch den Zweck, die Leistungsfähigkeit der nationalen Infrastruktur genauer zu bestimmen. Es gibt begründeten Zweifel, dass die deutschen Straßen- und Schienenwege – anders als zu Zeiten des Kalten Krieges – auf massive militärische Bewegungen und die Sicherung von Nachschub vorbereitet sind. Während die Form des Übungsgeschehens für jedermann sichtbar ist, bleiben Außenstehenden das Training im Cyberraum weitgehend verborgen. Klar ist lediglich: Auch dabei geht es um eine bessere Verzahnung militärischer und ziviler Möglichkeiten.

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